1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Proteste gegen polnischen Rechtsruck

23. Januar 2016

Der innenpolitische Druck gegen die Politik der nationalkonservativen Regierung in Polen nimmt zu. Im ganzen Land haben Zehntausende gegen die jüngsten Reformen von Regierungschefin Beata Szydlo protestiert.

https://p.dw.com/p/1Hiuo
Proteste gegen die Regierung in Polen
Bild: Reuters/J. Rusek

Unter dem Motto "Zur Verteidigung Deiner Freiheit" hatte das "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) zu Kundgebungen in 36 Städten aufgerufen. "Wir sind keine Revolutionäre", betonte KOD-Gründer Mateusz Kijowski auf der Demonstration vor der Warschauer Regierungskanzlei. "Revolutionäre wollen zerstören, wir wollen die Demokratie und die Freiheit in Polen bewahren."

Starke Kritik von Lech Walesa

Der ehemalige Staatschef Lech Walesa warf der Regierung wegen ihrer Gesetzesänderungen im Justiz- und Medienbereich vor, "das Land zu ruinieren". Der ehemalige Chef der antikommunistischen Solidarnosc-Bewegung in Polen sagte dem Fernsehsender TVN24: "Wir haben hart gearbeitet, um die Freiheit zu erreichen. Gerade sind wir dabei, das zu vergeuden." An die Adresse der derzeitigen Regierung sagte er: "Alle Welt weiß, dass sie die Verfassung verletzt haben, und sie sagen uns frech ins Gesicht, dass das nicht stimme."

Regierungschefin Beata Szydlo hatte sich am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg gegen scharfe Kritik aus Brüssel verteidigt. Sie bezeichnete alle Maßnahmen als im Einklang mit der Verfassung und den EU-Verträgen stehend. "Ich habe noch nie eine so dicke Lüge gehört", sagte Walesa dazu.

Proteste gegen die Regierung in Polen Reuters/K. Atys
Immer wieder tauchten bei den Protesten Flaggen der Europäischen Union auf.Bild: Reuters/K. Atys

Ein Vertreter der ungarischen Oppositionsbewegung forderte die Demonstranten zum Kampf gegen ein "zweites Budapest in Warschau" auf. Sechs Jahre der nationalkonservativen Regierung von Viktor Orban hätten seinem Land Abbau der Demokratie, steigende Armut und Schrumpfung der Mittelklasse gebracht.

Zustimmung zur EU

Während der Proteste stand vor allem das neue Polizeigesetz im Mittelpunkt, das weitgehende Möglichkeiten der Datenerfassung gibt. "Nein zum Überwachungsstaat" hieß es auf Transparenten. "Achtung: Der kleine Bruder beobachtet", stand auf anderen mit dem Bild des nationalkonservativen Parteichefs Jaroslaw Kaczynski. Regierungschefin Szydlo wurde nach ihrem Auftritt bei der Polen-Debatte im Europaparlament als "Beata die Lügnerin" dargestellt. Über den Köpfen der Demonstranten in der Hauptstadt wehten Flaggen Polens und der Europäischen Union. Auf Plakaten hieß es: "Nein zur Putinisierung, nein zur Überwachung, nein zum Kommunismus!" oder "Ich liebe die EU, einschließlich Deutschlands" - eine Anspielung auf die Angriffe gegen Deutschland aus dem polnischen Regierungslager.

Gegenkundgebungen der Regierung

In mehreren Städten organisierten Anhänger der Nationalkonservativen Gegenkundgebungen oder posteten in sozialen Medien Bilder, auf denen die KOD-Demonstranten als Marionetten der EU dargestellt wurden. Unterstützung für KOD gab es dagegen in mehreren europäischen Städten. Auch im australischen Melbourne und in den USA war zu Kundgebungen aufgerufen worden.

Besonders Kritik an mangelnder Rechtstaatlichkeit

Bereits seit Wochen organisiert das KOD landesweite Proteste. Die spontan gegründete zivilgesellschaftliche Gruppe wird von den meisten Oppositionsparteien unterstützt. Sie wirft der seit November regierenden Kaczynski-Partei vor, die Schaltstellen der Macht in Polen mit ihr genehmen Vertretern zu besetzen, um ungestört ihre Regierungsvorhaben durchsetzen zu können. Besonders der Versuch der Regierungsmehrheit, das Verfassungsgericht durch die Ernennung von fünf neuen Richtern unter Kontrolle zu bringen, sorgt für Empörung. Auf Kritik, auch der EU, stößt zudem, dass die Chefs des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVP und des Radiosenders PR künftig direkt von der Regierung und nicht durch ein unabhängiges Gremium ernannt oder abberufen werden können. Die EU-Kommission leitete deswegen erstmals in ihrer Geschichte eine Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit ein.

cgn/stu (dpa, afp)