Proteste bei Taiwan-China-Treffen
23. Dezember 2009"Taiwan ist nicht China. Wir sind Taiwaner, keine Chinesen." So schallt es aus dem Lautsprecherwagen, der an einer mehrere hundert Meter langen Stachdraht-Barrikade vorbeifährt. Dahinter, in einem luxoriösen Hochhaus-Hotel, laufen gerade Verhandlungen zwischen Taiwan und China. Vor der Absperrung protestieren einige Hundert Menschen gegen die China-Politik ihrer Regierung.
Universitäts-Dozent Lee verteilt Handzettel. "Ich möchte keine Vereinigung mit China", sagt der etwa Fünfzigjährige, der beim Studium in Freiburg Deutsch gelernt hat. "Es wäre nicht gut für unsere Demokratie. Auch nicht für unsere Menschenrechte und unser Leben. Die meisten Taiwaner möchten keine Vereinigung mit China."
Wirtschaftsfragen im Vordergrund
Dabei steht bei dem Treffen in der Millionenstadt Taichung die Politik offiziell gar nicht auf der Tagesordnung. Und eine Vereinigung schon gar nicht. Es geht um ein großes Wirtschaftsabkommen, das im nächsten Jahr verabschiedet werden soll. China und Taiwan reden erst seit gut anderthalb Jahren wieder miteinander. Damals hatte Taiwans Präsident Ma die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die Beziehungen zu China zu verbessern. Zugleich erteilte er dem Streben der Vorgängerregierung nach formaler Unabhängigkeit Taiwans eine Absage.
Seitdem treffen sich Vertreter beider Seiten regelmäßig. Weil die Regierungen in Peking und Taipeh keine offiziellen Beziehungen haben, laufen die Verhandlungen über halbstaatliche Institutionen. Chinas Chef-Unterhändler Chen Yunlin gab sich trotzdem ganz staatsmännisch, als er in seinem von Demonstranten belagerten Hotel vor die Presse trat: "Denen, die protestieren, sage ich: Wir werden Eure Meinung respektieren. Denen, die uns willkommen heißen, sage ich: Danke."
Proteste gegen China
Doch viele Menschen trauen der Regierung in Peking nicht, die noch immer mit Krieg droht, sollte Taiwan sich offiziell für unabhängig erklären. Gut 50.000 Personen waren am Wochenende in Taichung auf die Straße gegangen. Aufgerufen hatte die oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei (DPP). Vor dem Hotel stehen immer noch hunderte Anhänger der Falun-Gong-Bewegung Spalier mit großen Fotos von chinesischen Folter-Opfern. Unabhängigkeits-Befürworter verbrennen eine chinesische Flagge und bringen große Raketen-Attrappen in Stellung, die auf das Hotel zielen. Chinas Unterhändler sollten selbst einmal fühlen, wie es ist, von Raketen bedroht zu werden, sagen sie.
Bei all dem halten sich die Polizisten am Stacheldrahtzaun zurück. Das hat Taiwans Regierung ausdrücklich angeordnet, nachdem es bei Verhandlungen in Taipeh vor einem Jahr zu Übergriffen gekommen war. Damals waren Demonstranten und Journalisten verletzt worden. Nur, wenn doch mal einer die Absperrungen durchbricht, kommt es zu Jagdszenen, wie bei einem jungen Mann, der Chinas Gesandtem zu nahe kommen wollte: "Taiwan und China, ein Land auf jeder Seite!" ruft er, bevor er zu Boden gerissen wird.
Wirtschaftsabkommen geplant
Von solchen Protesten unbeirrt, knüpft Taiwans Regierung die wirtschaftlichen Bande zu China immer enger. Für das Jahr 2010 ist geplant, die gegenseitigen Zollschranken und Investitionsbeschränkungen für zahlreiche Wirtschaftszweige aufzuheben. Durch das Abkommen könne Taiwan wirtschaftlich von China profitieren, ohne politisch an Boden zu verlieren, heißt es.
Aus China jedoch ist immer wieder zu hören, die Vereinbarung sei ein wichtiger Schritt hin zur Vereinigung Taiwans mit dem Festland. Solche Äußerungen seien ihm bekannt, sagt Taiwans Premierminister Wu Den-yih. Sie seien aber unerheblich, denn es gehe nur um Wirtschaftsthemen. "In Zukunft könnten wir auch über Politik reden", sagt Wu. "Aber zunächst müssen wir noch mehr Vertrauen schaffen und die Beziehungen ausbauen. Erst wenn die Zeit reif ist, wird es auch um politische Fragen gehen."
Opposition kritisiert mangelnde Transparenz
Was das Wirtschaftsabkommen genau regeln soll, ist noch unklar. Taiwans Opposition kritisiert mangelnde Transparenz und fordert eine Volksabstimmung über die Vereinbarungen. Die Regierung will es nur vom Parlament absegnen lassen, in dem die Regierungspartei Kuomintang eine satte Mehrheit hat. Viele Arbeitsplätze seien gefährdet, sagt Shieh Jhy-wey, der ehemalige Gesandte Taiwans in Berlin. Und es könnte China ermöglichen, Freihandelsabkommen zwischen Taiwan und anderen Ländern zu unterbinden: "Das würde bedeuten, dass Taiwan sich nur mit China als Vormund bewegen kann. Und das bedeutet, es besteht immer eine Gefahr. Wir würden uns in eine Lage versetzen, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wir werden dann erpressbar."
Unterzeichnet werden soll das Wirtschaftsabkommen möglichst schon in einem halben Jahr, bei der nächsten Verhandlungsrunde in China. Dort dann ungestört von Demonstranten.
Autor: Klaus Bardenhagen
Redaktion: Silke Ballweg