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Pressestimmen von Samstag, 25. November 2006

Christoph Schmidt24. November 2006

Wende im Mannesmann-Prozess / EU-Russland-Gipfel

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Im Mannesmann-Prozess hat die Staatsanwaltschaft zugestimmt, das Verfahren gegen eine Geldauflage von insgesamt 5,8 Millionen Euro einzustellen. Falls auch die Richter zustimmen, würden die Angeklagten - darunter Deutsche-Bank-Chef Ackermann und Ex-Mannesmann-Chef Esser - das Gericht ohne Vorstrafe verlassen. Abermals steht der Prozess somit im Mittelpunkt der Pressekommentare. Ein weiteres Thema dieser Presseschau ist der Gipfel zwischen der Europäischen Union und Russland in Helsinki.

Die Berliner Zeitung DIE WELT begrüßt die Wende im Mannesmann-Verfahren, sieht aber zwei Grundprobleme:

"Das eine ist der Widerspruch zwischen dem breiten Ermessensspielraum des Aktienrechts bei Managervergütungen und dem viel strengeren Strafrecht. Das andere ist der Umgang der deutschen Gesellschaft mit ihren Topmanagern. Denn die von Neidreflexen geprägte Diskussion über den Fall Mannesmann und die Bezahlung von Führungskräften hat ein Klima geschaffen, in dem das öffentliche Gerechtigkeitsempfinden über das Kriterium der Leistung gestellt wird. Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist dies ausgesprochen schädlich."

Der BERLINER KURIER lenkt den Blick auf den Chef der Deutschen Bank, der sich wegen Genehmigung der Zahlungen als Aufsichtsrat verantworten muss:

"Er hat es gewusst, als er seine Finger zum höhnischen Siegeszeichen formte. Ackermann war klar, dass er davonkommen würde. Die Justiz zeigt, wie man mit Arroganz und Reichtum Unrecht ungeschehen machen kann - statt wegen Untreue hinter Gitter zu wandern. Für seine Freiheit bietet der Bank-Lenker einen kleinen Preis, Peanuts. Die Richter zahlen einen größeren. Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Gerechtigkeit? Von wegen! Geld regiert die Welt."

Im GENERAL-ANZEIGER aus Bonn heißt es dagegen:

"Wenn nun aber feststeht, dass Millionen im Rahmen einer Selbstbedienungsaktion aus der Kasse entwendet wurden, kann es nicht sein, dass niemand Schuld auf sich geladen hat. Wer diese Schuld bestreitet, versündigt sich am Rechtssystem, weil Unrecht Unrecht bleibt und Gerichte dies sanktionieren müssen. Der Hinweis, die Mannesmann- Affäre könne sich so nicht wiederholen, reicht als Erklärung für eine Einstellung nicht aus."

Und der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth meint:

"Wann, wenn nicht jetzt, muss die Justiz ein langwieriges Verfahren in Kauf nehmen, um der beispiellosen Selbstbedienung von Top-Managern für die Zukunft einen Riegel vorzuschieben? Ackermann bleibt der Mann, der als Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums über die unglaubliche Höhe der Extrazahlungen von insgesamt 57 Millionen Euro maßgeblich mitentschieden hat. Der Verdacht eines unmoralischen Deals einer Manager-Clique ist nicht vom Tisch. Es bleibt dieses dumpfe Gefühl, dass Recht gesprochen wird ohne Gerechtigkeit zu bewirken."


Themenwechsel: Polen hat per Veto Gespräche über ein neues Partnerschaftsabkommen der EU mit Russland blockiert. Darüber sollte eigentlich beim Gipfeltreffen beider Seiten in Helsinki verhandelt werden. Jüngster Streitpunkt ist das russische Einfuhrverbot für polnisches Fleisch. Russland fühlt sich zudem beim EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens übergangen. Die Pressekommentare widmen sich dem schwierigen Verhältnis der EU zu Russland.

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock bemerkt zur Rolle Polens:

"Ein kluges Sprichwort sagt: Diplomatie ist die Fähigkeit, den Hund so lange zu streicheln, bis der Maulkorb fertig ist. Die Polen wollten nicht streicheln. Als einzige legten sie ihr Veto gegen das neue Kooperations-Abkommen mit Russland ein. Warschau will die EU- Staaten zwingen, der wachsenden russischen Energiemacht ein Verbraucherkartell entgegenzusetzen. Daher mag das polnische Veto diplomatisch ungeschickt sein. In der Sache ist es durchaus richtig."

Auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG zeigt Verständnis für die polnische Haltung:

"Die Klagen über Polen sind oft nicht frei von Selbstgerechtigkeit. Im Streit mit Rußland verdient Warschau jedenfalls die Solidarität der EU. Warschau hat ja recht, wenn es von Rußland die Ratifizierung der Energie-Charta verlangt, schließlich hat das führende EU-Personal unlängst genau das verlangt. Der Einfuhrstopp, den Moskau für polnische Agrargüter verhängt hat, und die Ankündigung, wegen des Beitritts von Bulgarien und Rumänien die Fleischeinfuhren der EU insgesamt zu stoppen, riechen allzu sehr nach alter Kreml-Politik. Die Großmacht kann das Strafen nicht lassen, und bilateral hat sie's am liebsten."

Dem WIESBADENER KURIER erscheint die russische Außenpolitik unberechenbar:

"Wieder einmal zeigt Russland den Nachbarn sein Janusgesicht. Während beim Gipfel mit der EU in Helsinki die Zeichen auf mehr Zusammenarbeit und einen baldigen Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO stehen, belasten gleichzeitig die bizarre Mordaffäre um den vergifteten Ex-Agenten Litwinenko und eine blanke Provokation Moskaus Beziehungen zur westlichen Welt. Die jetzt gestartete Lieferung modernster russischer Abwehrraketen an Iran kann nur als zynische Herausforderung betrachtet werden."

Und die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz blickt auf Russlands innere Lage:

"Im Wettlauf um Bodenschätze und Macht gilt ein Menschenleben nicht viel. Wer nun Anna Politkowskaja ermordet, wer Litwinenko vergiftet hat, der angeblich den Tod dieser kritischen Journalistin aufklären wollte, bleibt im Dunkeln. Bedenklich stimmt dabei, dass Wladimir Putin ignoriert, wie in seinem Land der Demokratisierungsprozess stockt. Wird ihm das Chaos nutzen, wenn er abtreten müsste, aber das Volk nach einem starken Mann ruft? Dann wäre die Zeit für Zar Wladimir gekommen. Eine schreckliche Vorstellung."