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Pressestimmen von Montag, 30. Juni 2003

Reinhard Kleber29. Juni 2003

Kabinettsklausur zur Steuerpolitik / Abbruch der Metaller-Streiks in Ostdeutschland

https://p.dw.com/p/3nMM

Die Kommentare der deutschen Tagezeitungen befassen sich vor allem mit zwei Themen: dem Beschluss des Bundeskabinetts über ein Vorziehen der Steuerreform und dem Scheitern der Streiks in der ostdeutschen Metallindustrie.

Zu den angekündigten Steuersenkungen merkt die Berliner Zeitung DIE WELT an:

"Der Kanzler hat in Neuhardenberg das seit Tagen erwartete Signal gesetzt. Er will die Steuerreform auf das nächste Jahr vorziehen. Das ist immerhin ein Schritt in die ordnungspolitisch richtige Richtung, dem Vorschläge zur Konsolidierung des Etats 2004 vorangegangen waren. Aber der mit Reminiszenzen an eine große Staatsreform spielende Auftritt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Steuersenkung auf Risiko spielt; dass sie nur im
allergünstigsten Fall funktionieren kann. Dann nämlich, wenn die Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung und zum Subventionsabbau den Bundesrat passieren."

Positiver beurteilt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG die Beschlüsse:

"In den nächsten Monaten werden die Deutschen viele schlechte Nachrichten lesen. Rentner und Patienten müssen sich auf Einbußen einstellen. Handwerker, Pendler und Eigenheimbesitzer auch und vielleicht Nachtarbeiter. Sie alle werden leiden, wenn die Regierung Subventionen und Vergünstigungen abbaut. Die Lobbyisten werden aufschreien und die Menschen nur sehen, was ihnen der Staat nehmen
will. In diese Wüste will Schröder ein Pflänzchen setzen. Bei allen Negativbotschaften sollen sich die Bürger etwas freuen können - auf ein paar Euro vom Finanzamt, auch wenn nur Cents übrig bleiben werden."

Die BERLINER ZEITUNG gibt demgegenüber zu bedenken:

"Kein Zweifel: Deutschland muss sich vom Land der Nörgler zur Nation notorischer Optimisten wandeln. Viele Bürger werden sich fragen: War das nun der Aufbruch zu echten Reformen oder war das die Auffahrt zur letzten Rumpelstrecke Richtung Abgrund? Wehte da wirklich der
Geist des preußischen Reformer-Freiherrn von Hardenberg oder wirkte da doch wieder nur Genosse Murks? Dies sei, formulierte der grüne Vizekanzler Joseph Fischer ungewohnt unbeholfen,'eine strukturelle Aufbruchsituation'. Vom Vertrauen, das die Deutschen solchen Ankündigungen noch entgegenbringen, wird abhängen, ob Schröders Kalkül aufgeht - dass die Steuerersparnis wirklich zu Konsum und
Investitionen wird."

Zum Streikdebakel der IG Metall lesen wir im KÖLNER
STADT-ANZEIGER:

"Der scheidende Vorsitzende Klaus Zwickel hat Recht. Die IG Metall kann jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Couragiert hat Zwickel das Ende des Streiks verkündet, bevor die zuständigen Gremien darüber befinden konnten. Er durchkreuzte so die absurden Pläne seines Vize Jürgen Peters, den Arbeitskampf auszuweiten. Zwickel hat damit der IG Metall einen letzten großen Dienst erwiesen. Der IG Metall ist jetzt zweierlei zu wünschen: Die pragmatischen, innovativen Kräfte dürfen nicht länger kuschen vor dem wortradikalen Lager. (...) Und die IG Metall muss sich fragen, ob sie gut beraten ist, im Oktober wie geplant Jürgen Peters zum neuen Vorsitzenden zu wählen."

Die JUNGE WELT aus Berlin fragt nach den Folgen für die
Beschäftigten in Ost und West:

"Ob Flächentarifvertrag oder 35-Stunden-Woche - all das steht nun auch in den alten Ländern zur Disposition. Zumal die IG Metall durch die sang- und klanglose Kapitulation ihre Kampagnenfähigkeit erst einmal weitgehend eingebüßt haben dürfte. Auch die halbherzigen 'Proteste' gegen Schröders asoziale 'Agenda 2010' deuten darauf hin. Offensichtlich will die Gewerkschaftsspitze keinen konsequenten Kampf, weder gegen Sozialabbau noch für tarifliche Forderungen."

Zum Schluss zitieren wir zu diesem Thema die FRANKFURTER ALLGEMEINE, die vor allem die tarifpolitischen Konsequenzen beleuchtet:

"Die historische Niederlage einer der mächtigsten Gewerkschaften Europas markiert das Ende des Flächentarifvertrages - nicht nur im Osten. Auch im Westen wird sich die Durchlässigkeit dieser Verträge in absehbarer Zeit beträchtlich erhöhen. Denn der Osten hat gezeigt:
Widerstand lohnt sich - Widerstand gegen die widersinnige und ökonomisch verheerende Gleichmacherei beim Lohn, einem der wichtigsten Kostenfaktoren der Unternehmen."