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Presseschau zum Baker-Bericht

7. Dezember 2006

Viele europäische Zeitungen kommentieren den Bericht der Kommission von James Baker, die die Irak-Politik von U.S.-Präsident George W. Bush evaluiert hat. Die Kommentatoren sehen in dem Bericht eine Ohrfeige für Bush.

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Der Wiener "Kurier" schreibt am Donnerstag (7.12.2006) über die Vorschläge der Baker-Kommission zur Situation der USA im Irakkrieg:

"Unübersehbar aber ist, dass sich in Washington die Zeichen guter altmodischer Realpolitik wieder mehren. Da erklärt nach Jahren des Mauerns und Lügens, wie es Ex Verteidigungsminister Rumsfeld pflegte, sein designierter Nachfolger Gates in schonungsloser Offenheit, dass der Krieg im Zweistromland nicht mehr gewonnen werden kann. Und da empfehlen die betagten Herren (plus einer Dame) der Baker-Kommission im übertragenen Sinne: Was sich nicht ändern lässt, muss in Lösungsversuche einbezogen werden: Die USA müssen über ihren Schatten springen, ihre Niederlage eingestehen und mit dem verfeindeten Iran und Syrien verhandeln.

Ein derartiges Vorgehen wäre die radikale Kehrtwende zu der seit der Ära von Präsident Bush im Weißen Haus gepflogenen Ideologie der Neokonservativen. Eine gewaltige Veränderung, ein Fortschritt in Richtung realitätsbezogener Politik - gewiss. Eine Garantie für einen gesichtswahrenden Ausweg aus dem Irak ist das aber noch lange nicht."

Die französische "Libération" kommentiert:

"Der Beweis ist erbracht, dass Zynismus sogar in der Weltpolitik teuer zu stehen kommen kann. Nicht, weil jeder Krieg ungerecht, jede Intervention verboten oder jeder Gewalteinsatz unmoralisch sei. Das Prinzip der äußeren Einmischung bleibt - oder bliebe - legitim, wenn es von internationalen Institutionen geregelt wird und auf gutem Recht und realistischem politischen Kalkül beruht. Und wenn es von einem unterdrückten Volk verlangt wird, das die eingesetzten Soldaten als Befreier und nicht als Ziele ansieht. Die US-Regierung hat mit ihrem blindwütigen Rennen in die Falle dieser Idee schwer geschadet. In ihren historischen Träumen sahen sich die USA gerne als Paladine der Freiheit. Auch diese Mythologie hat George W. Bush entstellt."

Das "Luxemburger Wort" schreibt dazu:

"Die Zeichen mehren sich: Ein Strategiewechsel der US-amerikanischen Streitkräfte im Irak steht unmittelbar bevor. Nun muss selbst George W. Bush die Zeichen erkennen und sich eingestehen, dass ein Augen zu und durch im Zweistromland politisch keine Mehrheit mehr findet. Denn all zu deutlich ist der Machtverlust. Die neuen Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress bringen die Bush-Administration unter Zugzwang. Die groß angelegte Irak-Strategie verwandelt sich in einen Boomerang, der auf seinem Rückflug einer nach dem anderen die Pfeiler des US-Präsidenten mitreißt (...) Aber die wohl deutlichsten Zeichen für das Scheitern des US-Einsatzes sind im Irak zu finden: Mehr als 2900 US-Soldaten ließen bisher ihr Leben; 13.000 zivile Opfer sind von Juli bis Oktober innerhalb von nur vier Monaten zu beklagen; weitere 22.000 Kriegsverletzte und rund 350 Milliarden Dollar an Kriegskosten. Das alles ist die traurige Bilanz des Irak-Feldzuges. Die Baker-Studie zieht daher die Notbremse und spricht sich für einen progressiven Rückzug ab 2008 aus: ein letzter Strohhalm für Bush."

Die katholische französische Tageszeitung "La Croix" meint:

"Die Falle ist zugeschnappt, in die US-Präsident George W. Bush im Irak getappt ist. Im Irak zu bleiben, wird unmöglich sein. Die Truppen abzuziehen, ist gefährlich, wollen die USA nicht das irakische Volk seinem Schicksal überlassen. Immerhin haben die Amerikaner dazu beigetragen, die Iraker von Saddam Hussein zu befreien. Doch ist das Land in einen Strudel der Gewalt unter den Gruppen geraten. Jedes Rückzugs-Szenario wird von vielen Unbekannten behindert. Auch wenn Handeln dringlich ist, sollte dabei nichts überstürzt werden. Trotz allem wird die internationale Gemeinschaft die amerikanischen und britischen Bemühungen, aus der Krise herauszukommen, unterstützen müssen. Damit die täglichen Meldungen von Tod und Gewalt abebben."

In der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" heißt es:

"George W. Bush wollte 'neue Augen' im Pentagon, und die hat er jetzt erhalten. Bei seiner Anhörung im Streitkräfteausschuss des Senats, die ihm eine einvernehmliche Zustimmung erbrachte, hätte der künftige Verteidigungsminister Robert Gates keine größere Unschuld an den Tag legen können. Seine Ausführungen haben so gut wie alle politischen Dogmen der Regierung verletzt. Die Vereinigten Staaten, so sagte Gates etwa, 'sind nicht dabei, den Krieg im Irak zu gewinnen." (...) Für Präsident Bush, der an diesem Mittwochabend den scheidenden US-Generalsekretär Kofi Annan zum Abendessen empfängt, handelt es sich um den schwierigsten Moment seit der Invasion im Irak. Vor drei Jahren hatte er erklärt, die 'Mission ist erfüllt', doch heute weiß er nicht, wie er sich aus der Krise herauswinden kann."

"Le Figaro" aus Frankreich meint zum Baker-Bericht:

"Der unabhängige Baker-Bericht zur Irak-Politik wird an dem katastrophalen Zustand nichts ändern, in dem das Land dreieinhalb Jahre nach der US-Intervention und dem Sturz von Saddam Hussein ist. Es ist auch zu früh zu sagen, ob die Experten um James Baker ihre Ziele erreichen werden, doch hat allein schon die Schaffung dieser Kommission einiges ausgelöst. Ob nun Pentagon, Weißes Haus oder Außenministerium, es gibt praktisch keine Regierungsstelle, die nicht die Irak-Politik von Kopf bis Fuß überprüft hätte. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen dazu. (...). Präsident George W. Bush hat nicht gesagt, dass er die Baker-Ideen akzeptieren wird. Die Kommission kann auch nicht für den Präsidenten über die Irak-Politik entscheiden. Es ist ihr aber dennoch bereits gelungen, die Diskussion umzukrempeln."