"Die Praxis hinkt noch hinterher"
16. Juli 2012Frau Däubler-Gmelin, Sie haben vor zwölf Jahren als Justizministerin den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog begonnen. Mit welchen Erwartungen?
Herta Däubler-Gmelin: Uns ging und geht es darum, Informationen über Menschenrechte auszutauschen und damit zugleich die Bedeutung der Menschenrechte in Europa und in China, aber auch für unsere Politik auf globaler Ebene zu stärken.
Inzwischen hat es elf Runden dieser hochrangig besetzten Symposien gegeben. Inwieweit haben sich Ihre Erwartungen denn erfüllt?
Man braucht einen langen Atem. Bei den Gesetzen ist eine ganze Menge geschehen, die Praxis hinkt häufig noch hinterher. Der UN- Menschenrechtsrat in Genf hat mit dem Instrument der Regelmäßigen Berichte, also des "Universal Peer Review Mechanism", sehr gute Vergleichsmöglichkeiten geschaffen. Die zeigen, wo noch vieles nachgebessert werden muss und wo Fortschritte gemacht wurden. Diese Berichte vergleichen wir – das hilft.
Rechtsstaat hat viel mit Menschenrechten zu tun. In der Vereinbarung von 2000 hieß es, beide Länder wollen gewährleisten, dass "das Volk umfangreiche Rechte und Freiheiten nach dem Gesetz genießt, dass die Menschenrechte respektiert und garantiert und alles staatliche Handeln gesetzmäßig durchgeführt werden". Das klingt so gar nicht nach dem, was wir als Rechtswirklichkeit erfahren. Sehen Sie das Thema Menschenrechte im Rechtstaatsdialog ausreichend behandelt?
In den Dialogrunden des zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsdialogs geht es um den Umgang der Macht mit den Menschen. Da gibt es, wie schon erwähnt, erhebliche Fortschritte. Es bleibt aber noch viel zu tun.
Mir ist vor allem auch wichtig, dass Europa und China beide zu einer größeren Bedeutung der Menschenrechte in den Gremien etwa des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen beitragen.
In München geht es um Internetrecht: "Bürgerrechte und staatliche Gesetzgebung im digitalen Zeitalter". Bereits 2003 hat es ein Symposium zum Thema "Internetrecht" gegeben. Wenn wir an Internet und China denken, dann fallen uns zuerst die 68 Netzaktivisten ein, die laut Reporter ohne Grenzen derzeit in China in Haft sind. Wie viel Sinn macht unter diesen Umständen eine solche Gesprächsrunde?
Gespräche über solche Fragen machen immer Sinn. Allerdings muss unter Freunden dann auch über kritische Fälle und über Zensur offen gesprochen werden. Das erhoffe ich mir auch von dem Münchner Forum.
Was entgegnen Sie Menschen, die kritisieren, der Rechtstaatsdialog diene lediglich dazu, ein kniffliges Thema im bilateralen Verhältnis in eine nicht-öffentliche Veranstaltung auszulagern, die dann als Feigenblatt herhalten muss?
Ich halte wenig von Veranstaltungen, die nicht öffentlich stattfinden. Vertrauliche Runden können helfen, ganz ohne Zweifel. Der zivilgesellschaftliche Menschenrechtsdialog geht jedoch ganz bewusst auch an die Öffentlichkeit, in China zum Beispiel an Polizeihochschulen und in Diskussionsveranstaltungen mit Journalisten.
Herta Däubler-Gmelin (SPD) war von 1998 bis 2002 Bundesjustizministerin. Sie ist nun Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin und Gastprofessorin an der RWTH Aachen.
Das Interview führte Matthias von Hein.