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Einer wehrt sich

12. Oktober 2009

Der tschechische Regierungschef Vaclav Klaus blockiert weiterhin den EU-Reformvertrag. Im Interview bei DW-WORLD.DE ist Bernd Posselt, Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) und Sprecher der Sudetendeutschen.

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Bernd Posselt im europäischen Parlament (Foto: dpa)
Bernd Posselt im europäischen ParlamentBild: picture-alliance/ dpa

Das tschechische Parlament hat dem Vertrag schon längst zugestimmt. Der Europagegner Klaus forderte jedoch seine Regierung dazu auf, für die Fortführung der so genannten "Benes-Dekrete" zu sorgen. Damit soll verhindert werden, dass Vertriebene mögliche Ansprüche auf Basis der EU-Grundrechte-Charta stellen können.

DW-WORLD.DE: Herr Posselt, Vaclav Klaus zieht die Karte der Vertriebenen, wie bewerten Sie das?

Bernd Posselt: Also zunächst einmal bin ich entsetzt, dass er etwas wiederbelebt, was man durch geduldige Bemühungen überwunden hatte. Nämlich die Kluft zwischen Tschechen und Sudetendeutschen. Es ist ein zynisches Spiel von Herrn Klaus, dass er versucht, seine anti-europäischen Aktionen und Vorbehalte auf dem Rücken von Millionen von vertriebenen, entrechteten Menschen und ihren Nachkommen auszutragen. Ich finde das absolut inakzeptabel, unmoralisch, anti-europäisch und rückwärts gewandt.

Und ist es nicht auch paradox, mit EU-Rechten gegen den Vertrag von Lissabon mobil zu machen?

Es ist vollkommen paradox. Man muss sich über eines im Klaren sein: Herr Klaus weiß ganz genau, dass die Grundrechte-Charta nicht die Eigentumsordnung der Mitgliedsstaaten berührt. Er versucht einfach demagogische Stimmung zu machen, also mit populistischen Methoden nationalistische Ängste zu bedienen, die eigentlich längst überwunden waren. Kein tschechisches Verfassungsorgan, nicht das Parlament, nicht der Senat und auch nicht die Regierung, hat derartige Ängste mobilisiert und er versucht das quasi in letzter Minute. Es ist ein äußerst durchsichtiges Manöver.

Vaclav Klaus argumentiert, dass er Klagen von Vertriebenen zur Eigentumsrückgabe befürchtet und meint damit offensichtlich die mehr als zwei Millionen Sudetendeutschen, die nach dem 2. Weltkrieg auf Grundlage der umstrittenen Benes-Dekrete enteignet und vertrieben wurden. Deshalb will er, dass die EU-Grundrechte-Charta für Tschechien ausgesetzt wird. Ist die Befürchtung realistisch?

Juristisch habe ich ja gesagt, dass das absolut nicht stichhaltig ist. Die EU-Grundrechte-Charta begründet keine neuen Zuständigkeiten, sondern sie bindet lediglich die EU-Organe bei der Ausübung von EU-Recht. Das hat damit also überhaupt nichts zu tun. Im Grunde genommen wird das schlechte Gewissen deutlich. Diese Frage wurde unterdrückt und verdrängt und was wir wollen ist, sie im ehrlichen Dialog mit dem tschechischen Volk aufzuarbeiten. Es gibt immer mehr Politiker, die dazu bereit sind. Erst dann wird dieses Problem wirklich gelöst sein.

Aber die Aufarbeitung bedarf Zeit. Wie kann denn die EU Druck ausüben?

Ich kann nur sagen, dass die tschechische Kritik an Herrn Klaus immer lauter und vernehmbarer wird. Ich rechne damit, dass er demnächst unterschreiben wird. Man tut ihm, glaube ich, jetzt einen Gefallen, wenn man zuviel Druck auf ihn ausübt. Er will sich ja als Märtyrer darstellen. Bei der letzten Europawahl hat er zwei euroskeptische Parteien unterstützt, bei denen auch seine Söhne beteiligt sind. Die haben beide zusammen zwei Prozent der Stimmen bekommen. So ist die wirkliche Stimmung im tschechischen Volk, die repräsentiert er längst nicht mehr. Er gerät im eigenen Land unter Druck. Ich kann allen Anti-Europäern nur sagen, dass sie den Lissabon-Vertrag unterstützen sollen. Denn da wird zum ersten Mal ein Austrittsrecht aus der EU verankert und dann könnten sie ihr eigenes Volk fragen, ob es austreten will oder nicht. Ich glaube, dass das tschechische Volk viel zu klug ist, um einen solchen Austritt aus der EU zu wollen. Aber drin sein und stören, dass geht nicht. Entweder austreten oder mitarbeiten.

Gesetz den Fall, Vaclav Klaus bleibt bei seiner Blockade-Haltung. Was bedeutet das dann für den Reform-Vertrag?

Der Präsident des tschechischen Verfassungsgerichts hat in aller Öffentlichkeit gesagt, dass es zwei Möglichkeiten gibt, um einen Präsidenten seines Amtes zu entheben. Entweder wegen Amtsverrat oder wegen Demenz. Er hat öffentlich die Frage aufgeworfen, ob der Herr Klaus sich nicht überlegen will, aus welchen der beiden Gründe er des Amtes enthoben werden will. So ist inzwischen die Debatte in der tschechischen Republik. Entweder unterschreibt Herr Klaus den Vertrag oder derjenige, der an seiner Stelle tritt, nach Willen des tschechischen Parlamentes. Das Parlament hat Herrn Klaus gewählt und das Parlament hat auch den Vertrag ratifiziert und da kann sich Klaus auf Dauer nicht entziehen.

Das Interview führte Karin Jäger.
Redaktion: Heidi Engels