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Portugal hat im Viertelfinale die besseren Nerven

1. Juli 2006

Nach torlosen 120 Minuten endete die Viertelfinal-Begegnung zwischen England und Portugal genau wie das Deutschland-Argentinien-Spiel mit Elfmeterschießen. Die Engländer zeigten Nerven. Portugal steht im Halbfinale.

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Drei Elfmeter gehalten: Portugals Torwart RicardoBild: AP
Fußball, WM 2006, England - Portugal, 01.07.2006
Portugals Cristiano Ronaldo feiert seinen Elfmetertreffer gegen EnglandBild: AP

Torhüter Ricardo hat Portugal zum ersten Mal seit 1966 wieder ins Halbfinale einer WM geführt und damit alle Titelträume der Engländer auf einen Schlag beendet. Nach einer Nullnummer über 120 Minuten hielt der 30-Jährige von Sporting Lissabon im "Shootout" als erster Schlussmann überhaupt drei Elfmeter. Den entscheidenden Treffer zum 3:1 erzielte schließlich Cristiano Ronaldo. Zuvor hatten die Iberer beim Viertelfinale in Gelsenkirchen eine einstündige Überzahl nicht nutzen können: Stürmerstar Wayne Rooney war in der 62. Minute nach einer Tätlichkeit an Ricardo Carvalho mit Rot vom Platz geflogen. Die Nerven der Engländer hatten nicht zum ersten Mal versagt, als es ums Elfmeterschießen ging: Vor zwei Jahren hatten sich Portugal und England im Viertelfinale der EM gegenübergestanden. Auch damals verlor England die Partie im Elfmeterschießen. David Beckham hatte den Ball übers Tor gejagt. Portugal trifft nun im Halbfinale am Mittwoch (5.7., 21 Uhr) auf Frankreich.

Aus für Englands Trainer


Die Amtszeit von Englands Trainer Sven-Göran Eriksson ist ab sofort beendet. Trotzdem zeigte er sich zwar ratlos, aber als guter Verlierer: "Wir haben sehr gut dagegen gehalten - und dann das Elfmeterschießen. Ich weiß nicht, was wir noch machen sollen." Es tue ihm leid für die Fans; sie hätten das Finale verdient gehabt, sagte Eriksson.

Abseits bei Postigas Kopfballtreffer

Portugals größte Siegchance in der regulären Spielzeit
vereitelte Englands Torhüter Paul Robinson, der einen Schuss des kurz danach ausgewechselten Luis Figo mit einer Glanzparade abwehrte (79.). Auch in der Verlängerung, als sie das Tor der Engländer geradezu belagerte, spielte sich Scolaris Mannschaft keine zwingenden Torchancen heraus. Ein Kopfballtreffer von Helder Postiga wurde zu recht wegen Abseits nicht anerkannt (108.).

In der ausverkauften Veltins-Arena entwickelte sich von Beginn an ein von viel Taktik und gegenseitigem Respekt geprägtes Spiel, das den 52.000 Zuschauern kaum Höhepunkte bot. Bei Temperaturen von über 30 Grad unter dem geschlossenen Arena-Dach taten sich die Spieler bei jedem Antritt sichtlich schwer. Tempo-Fußball war kaum
zu sehen.

Schwache Begegnung

Nach einer noch ansehnliches Anfangsphase waren die Engländer das aktivere Team, doch Portugal vergab in der 13. Minute die größte Chance. Nach einem Freistoß von Kapitän Luis Figo legte Gary Neville unfreiwillig auf Tiago ab, doch der Spielmacher des französischen Meisters Olympique Lyon verstolperte freistehend vor Torwart Paul Robinson. Danach verflachte die ohnehin schwache Begegnung noch weiter, von zahlreichen kleinen Konzentrationsfehlern in beiden Deckungsreihen konnte niemand profitieren.


Scolari, der nach dem "Kartenspiel" im Achtelfinale gegen die
Niederlande (1:0) die gesperrten Deco und Costinha ersetzen musste, ließ Simao zunächst überraschend auf der Bank und brachte Tiago auf der Position hinter den Spitzen. Figo spielte in seinem 125. Einsatz für Portugal damit wieder auf seiner rechten Seite, die er zeitweise immer wieder mit Linksaußen Cristiano Ronaldo tauschte.

Eriksson mit Bestbesetzung

Eriksson konnte seine Bestbesetzung aufbieten, von der er
überzeugt war, dass sie Portugal "auf jeden Fall" schlagen werde. Gary Neville, der beim 1:0 im Achtelfinale wegen einer
Wadenverletzung gefehlt hatte, kehrte für Michael Carrick in die Startelf und auf seine angestammte Position rechts in der
Viererkette zurück. Von dort rückte Bayern-Profi Owen Hargreaves wieder ins defensive Mittelfeld.

Rot für Rooney


Nach der Pause kamen die Engländer besser ins Spiel. Lampard (53.) und Ashley Cole (59.) verpassten aber aus aussichtsreicher Position. Danach schwächten sich die Briten selbst. Kurz nach dem Wiederanpfiff nahm Eriksson den angeschlagenen Beckham vom Platz, der blass geblieben war und nicht einmal mit seinen Freistößen Akzente setzen konnte. Der Kapitän wirkte nach seiner Auswechslung völlig ausgepumpt und musste mit den Tränen kämpfen.Große Aufregung in der 62. Minute: Nach einem verbissenen Zweikampf zwischen Ricardo Carvalho und Rooney tritt der englische Jungstar seinem Gegenspieler in den Unterleib.

Fußball, WM 2006, England - Portugal, 01.07.2006
Rooney und Carvalho: schmerzhafter TrittBild: AP
Fußball, WM 2006, England - Portugal, 01.07.2006, Rooney sieht rot
Angemessene Konsequenz: Rooney sieht RotBild: AP

Der argentinische Schiedsrichter Horacio Elizondo, der direkt daneben stand, fackelt nicht lange und zeigt Rooney Rot. Dennoch besaßen die Engländer in der 83. Minute noch einmal die Chance zum Sieg, als Lampard mit einem Freistoß und der eingewechselte Aaron Lennon an Torhüter Ricardo scheiterten.

Enttäuschung in England

Millionen britischer Fans reagierten erschüttert auf das Ausscheiden des englischen Teams. Vor Videobildschirmen in etlichen Städten und in tausenden Pubs des Königreichs gab es nach dem entscheidenden Elfmeter-Tor von Cristiano Ronaldo für Portugal Aufschreie des Entsetzens und Tränen. "England kann einfach kein Elfmeterschießen gewinnen", sagte der Spielkommentator des BBC-Fernsehens. Die überwiegende Meinung war, dass England insgesamt besser gespielt habe als Portugal. Es sei schon ironisch, dass mit Ronaldo "die Hoffnungen der Nation zum Schluss ausgerechnet von einem Spieler zunichte gemacht wurden, der sein Geld in der englischen Premier League verdient", schrieb die britische Presse-Agentur PA.

Verständnis für Rooneys Rot

Die Rote Karte für Wayne Rooney 30 Minuten vor dem normalen Spielende wurde in britischen Kommentaren meist als bedauerlich, aber gerechtfertigt bewertet. "Er hat den Fitness-Test bestanden, aber nicht den Gentleman-Test", sagte ein BBC-Kommentator. Rooneys Tritt in die Leistengegend von Ricardo Carvalho sei "völlig sinnlos" gewesen, betonte ein Radio-Moderator in London. (chr)