Portugal, Griechenland, Zypern: Krise 2.0?
4. Juli 2013Andreas Rees, Chefvolkswirt der UniCredit Deutschland, reibt sich die Augen, wenn er in den Medien liest, dass die Schuldenkrise wieder aufgeflammt sei. Sicherlich gebe es politische Spannungen in Portugal, "aber wenn Sie sich anschauen, welche Fortschritte die Länder gemacht haben - sowohl was die Strukturreformen anbelangt als auch die Sparmaßnahmen - dann glaube ich nicht, dass man davon reden kann, dass jetzt die Krise zurückgekommen ist", sagt Rees gegenüber der Deutschen Welle.
Das sieht der Finanzexperte Wolfgang Gerke ganz anders. Für ihn war die Krise nie weg: "Sie ist nur durch extrem viel Notenbankgeld und Rettungsgeld verdrängt worden. Und es ist absolut nicht überraschend, dass die Märkte plötzlich wieder nervös werden, dass sie den Maßnahmen nicht trauen." Von daher sei die Schuldenkrise noch voll im Gange, sagt Gerke im Gespräch mit der DW.
Ein weiteres Rettungspaket für Portugal?
Krisenherd Nummer eins ist im Moment Portugal. Dort sind zwei Minister zurückgetreten, weil sie die umstrittene Sparpolitik der Regierung nicht mehr mittragen wollen. Neuwahlen und Verhandlungen mit der neuen Regierung würden Zeit kosten, die das Land nicht hat. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet damit, dass die Staatsschulden nächstes Jahr auf 140 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen könnten, wenn es mit der Konjunktur schlechter läuft als erwartet. Von daher ist es eher unwahrscheinlich, dass sich Portugal ab Mitte 2014 wieder selbst am Markt finanzieren kann, wenn die Kredite der Euro-Länder, der Europäischen Zentralbank und des IWF (Troika) auslaufen. Mit anderen Worten: Ein zweites Rettungspaket für Portugal muss her.
Das erinnert an Griechenland, den Krisenherd Nummer zwei. Dort prüfen gerade die Troika-Experten, ob Griechenland die Bedingungen für die nächste Tranche der Notkredite erfüllt. Am Mittwoch (03.07.2013) musste die Regierung in Athen zugeben, dass sie den Stellenabbau im öffentlichen Dienst nicht im vereinbarten Maße schaffen kann. Auch die Privatisierung kommt kaum voran. Andreas Rees legt dennoch ein gutes Wort für das Ursprungsland der Schuldenkrise ein: "Griechenland hat bei den Sparmaßnahmen schon sehr viel umgesetzt. Es ist natürlich richtig, dass es immer noch Nachholbedarf gibt bei einigen wichtigen Strukturreformen."
Ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland?
Trotz aller Sparmaßnahmen ist die Schuldenquote Griechenlands wieder auf 175 Prozent geklettert, das heißt, das Land macht deutlich mehr Schulden, als es wirtschaftlich leistet. Das Ziel der Geldgeber, sie bis 2020 auf 110 Prozent zu senken, scheint zunehmend unrealistisch. Für viele Experten ist ein weiterer Schuldenschnitt unausweichlich. Dann wären auch die deutschen Steuerzahler betroffen, denn inzwischen sind bereits 80 Prozent der griechischen Staatsschulden in öffentliche Hände gewandert. Ein heikles Thema für die Wahlkampfzeit. Deshalb rechnet Wolfgang Gerke nicht mit einem weiteren Schuldenschnitt für Griechenland vor der Bundestagswahl: "Nach der Bundestagswahl ist alles möglich. An den Märkten ist das schon fast in diese Richtung hin eingepreist."
Seiner Meinung nach hätte Griechenland längst aus dem Euro austreten müssen, begleitet durch ein Restrukturierungsprogramm. Das hätte dem Land besser geholfen, ist der Experte überzeugt.
Der erste Austritt aus dem Euro?
Über einen Austritt der Griechen aus dem Euro wurde bereits viel diskutiert und spekuliert. Seit einem Jahr ist das Thema vom Tisch. Nun könnte ein anderes Land von sich aus sein Glück außerhalb des Euro suchen. Das wäre Krisenherd Nummer drei: Zypern. Laut einer Umfrage wollen 67 Prozent der Zyprer der Gemeinschaftswährung den Rücken kehren. Die Bürger der Inselrepublik müssen 13 Milliarden Euro einsparen, um zehn Milliarden Euro Kredite von der Troika zu bekommen.
Angesichts des rapiden Rückgangs der Wirtschaftsleistung hatte die Regierung in Nikosia vor kurzem einen Hilferuf nach Brüssel gesendet, der ungehört blieb. Für die verzweifelte Lage der Menschen in Zypern, aber auch in Griechenland und Portugal, gibt Finanzexperte Gerke der Rettungspolitik eine Mitschuld: "Man hat versucht, die Banken zu retten. Man hat die großen internationalen Vermögen gerettet, aber der Bevölkerung hat man die Last aufgelegt, obwohl sie am wenigsten Schuld an den Problemen ist."