1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Polen: Ex-Vizepremier Giertych festgenommen

16. Oktober 2020

Die polnische Antikorruptionsbehörde CBA hat den Rechtsanwalt und Ex-Vizepremier Roman Giertych wegen des Verdachts der Geldwäsche festgenommen. Die Opposition sieht darin einen politischen Racheakt.

https://p.dw.com/p/3k2ht
Polen Krakau | Ex-Vizeministerpräsident | Festnahme Roman Giertych
Roman Giertych, Rechtsanwalt und Ex-Vizepremierminister Polens, bei einer Veranstaltung in Krakau im September 2017Bild: Artur Widak/NurPhoto/picture-alliance

Roman Giertych, Ex-Vizepremierminister Polens, ist als Rechtsanwalt seit Jahren in mehreren Fällen gegen die regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) tätig. Jetzt wird dem einstigen Verbündeten von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski "Betrug im Zusammenhang mit einem börsennotierten Unternehmen" und "Geldwäsche" im Wert von 22 Millionen Euro vorgeworfen. Er sei zusammen mit elf weiteren Personen in Gewahrsam genommen worden, wie ein Sprecher des polnischen Geheimdienstkoordinators mitteilte.

Bei der Durchsuchung seiner Villa in einem Vorort von Warschau wurde der 49-Jährige ohnmächtig und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Von seinem Gesundheitszustand wird abhängen, ob die Vorwürfe offiziell erhoben werden können. Dafür hat die Staatsanwaltschaft 48 Stunden Zeit.

Giertych war von 2005 bis 2007 Vizepremierminister in der Koalitionsregierung, die von der PiS mit seiner nationalistischen Liga polnischer Familien (LPR) und der Bauernpartei Selbstverteidigung gebildet wurde. Von 2006 bis 2007 war PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski als Premierminister also Giertychs direkter Vorgesetzter.

Polen Nationalkonservative PiS-Partei gewinnt Parlamentswahl
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski war von 2006 bis 2007 Roman Giertychs direkter Chef Bild: AP/D. Bandic

Nach der Kritik an brutalen Methoden der Sicherheitskräfte, unter anderem auch derselben Antikorruptionsbehörde CBA, die ihn am Donnerstag festnahm, verließ Giertych mit seiner Partei die Koalition. Das ebnete den Weg für die vorgezogenen Parlamentswahlen von 2007, die der damaligen PiS-Ära ein Ende setzten.

Der politisch engagierte Rechtsanwalt

Der 49-Jährige konzentriert sich seitdem auf seine Anwaltskanzlei und vertritt Mandanten in politisch relevanten Prozessen. Politisch hat er eine Kehrtwende gemacht und gehört inzwischen zu den lautstärksten PiS-Gegnern.

Als Vizepremierminister hatte Giertych Zugang zu geheimen Informationen über ein CIA-Gefängnis, das von 2002 bis 2004 in Polen existierte und in dem laut Medienberichten Häftlinge gefoltert wurden. Als Anwalt wirft er dem jetzigen Justizminister Zbigniew Ziobro vor, die Ermittlungen in dieser Sache nicht vorantreiben zu wollen.

Derzeit vertritt Giertych als Anwalt den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates und Ex-Premierminister Polens, Donald Tusk, dem die PiS eine Mitverantwortung für den Absturz der polnischen Regierungsmaschine im russischen Smolensk 2010 zuschreibt. Bei dem Unglück kam auch der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski, der Zwillingsbruder des PiS-Chefs, ums Leben.

Der Bankier im Visier der PiS

Zu Giertychs Hauptklienten gehört auch der Bankier Leszek Czarnecki, der die größte Bank mit privatem polnischen Kapital gegründet hat. Jetzt steht er unter dem Vorwurf, seine Kunden betrogen zu haben, indem seine "Getin Bank" ungültige Anleihen der Inkasso-Firma "Get Back" verkauft habe. Dadurch sollen Tausende Menschen insgesamt 700 Millionen Euro verloren haben.

Die Firma Get Back, die PiS-Politikern nahestand und regierungsfreundliche Medien unterstützte, hatte teilweise überfällige Verpflichtungen von staatlichen Banken aufgekauft. 2017 ging das Unternehmen an die Börse, 2018 war es bereits bankrott, nachdem der Skandal ans Licht kam. 

Polen Nationale Kommission für Finanzkontrolle KNF
Das Logo der polnischen Finanzaufsicht KNF in WarschauBild: picture-alliance/NurPhoto/J. Arriens

Obwohl die ungültigen Anleihen von Get Back auch von der Börse und von anderen, darunter auch staatlichen Banken angeboten worden waren, nahm die polnische Finanzaufsicht KNF nur die Bank von Czarnecki unter die Lupe. Er machte sich bei der PiS besonders unbeliebt, als er 2018 einen korrupten Vorschlag der Finanzaufsicht enthüllte: für 10 Millionen Euro Bestechungsgeld wollten die Behörden seine Bank in Ruhe lassen - so der Vorschlag, den Czarnecki nach eigenen Angaben abgewimmelt hat.

Am Freitag, dem 16.10.2020, sollte das Warschauer Gericht in Czarneckis Sache verhandeln. Nach der Festnahme des Rechtsanwalts Giertych am Vorabend wurde die Verhandlung verschoben.

Eine politische Festnahme?

Giertych sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen seiner Festnahme und dem für den Tag darauf angesetzten Gerichtstermin. "Ich wurde einen Tag vor der Verhandlung in Handschellen abgeführt", schrieb er auf Twitter. Weiter wirft er der PiS vor, mit solchen Aktionen von der schwierigen Corona-Pandemielage in Polen ablenken zu wollen.

Polen Stichwahl Präsidentenamt | Donald Tusk in Sopot
Donald Tusk, Ex-Präsident des Europäischen Rates und Ex-Premierminister Polens, bei den Wahlen im Juli 2020 Bild: Reuters/M. Niecko/Agencja Gazeta

"Ich habe mich nicht geirrt, leider. Ich kenne sie allzu gut", schrieb Donald Tusk auf Twitter und zitierte seine Aussage vom Februar, wonach Giertych den "korrupten Charakter" der PiS-Regierung enthüllt habe und diese ihm das "nicht vergeben" werde.

Der polnische Anwaltsrat (NRA) äußerte sich "sehr besorgt" über die Festnahme von Giertych. Der Ombudsmann für Menschenrechte Polens, Adam Bodnar, forderte eine Erklärung dafür, warum die Festnahme auf diese Art und Weise geschehen sei. Er erinnerte an ähnliche Situationen aus der Vergangenheit, bei denen die Sicherheitsorgane mit ihrer Brutalität "die Würde und die Gesundheit"  prominenter Personen verletzt hätten.

Einen Zusammenhang mit der Tätigkeit des Anwalts Giertych gegen die Regierungspartei schloss der Sprecher der Antikorruptionsbehörde aus. Der Fall sei "rein kriminell".

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau