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Politik

Polnische Linke hofft auf schwulen Bürgermeister

10. September 2018

Er steht für ein weltoffenes Polen und wird damit zur Ikone der Linken. Viele vergleichen den Bürgermeister von Słupsk, Robert Biedroń, mit Emmanuel Macron - als Herausforderung für das Establishment.

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Robert Biedron
Bild: picture-alliance/NurPhoto/M. Fludra

Bei Treffen mit seinen Anhängern gibt er sich fröhlich, dynamisch und siegessicher. Seit Monaten wirbt Robert Biedroń, der erste offen schwule Bürgermeister Polens, für seine Partei, die er im Februar 2019 gründen will. Die "Brainstormings mit Biedroń" werden von hunderten, manchmal von tausenden Menschen besucht. 

Seine Parolen klingen nach dem klassischen linken Programm. Er will das Sozialgefälle reduzieren, das Abtreibungsgesetz liberalisieren, mehr Kita-Plätze schaffen und das staatliche Gesundheitswesen verbessern. Doch die persönliche Ausstrahlung von Biedroń ist wichtiger als das, was er sagt. Er ist locker und redet nicht so gestelzt wie etablierte Politiker. Es ist aber vor allem sein Lebensweg, der ihn authentisch und glaubwürdig macht.     

Schwul in einem katholischen Land

Biedroń stammt aus dem erzkonservativen Südpolen. Wegen seiner Homosexualität wurde er als Jugendlicher ausgegrenzt, er hat so sehr darunter gelitten, dass ihn Suizidgedanken plagten. Als Politiker engagierte er sich später für die Rechte der Homosexuellen. 2001 startete er die "Kampagne gegen Homophobie", die im konservativen Polen viele Kontroversen ausgelöst hat. 2011 wurde er zum ersten offen schwulen Abgeordneten in Polen. 

Seinen langjährigen Partner möchte der polnische Patriot Biedroń heiraten - allerdings nur in Polen. "Ich bin Pole, ich zahle meine Steuern und diene meinem Land seit vielen Jahren, deshalb erwarte ich, dass ich in meinem Staat gleichberechtigt behandelt werde", sagt der 42-Jährige in der Hoffnung, dass die Homo-Ehe in Polen irgendwann zugelassen wird. Heiraten möchten die beiden in Słupsk (Deutsch: Stolp), wo Biedroń seit 2014 Bürgermeister ist.

Massive Diskriminierung von Homosexuellen in Polen

Ein politischer Einzelgänger

Seine Amtszeit in der nordpolnischen Stadt mit 93.000 Einwohnern endet im November 2018. Biedroń wird nicht wieder kandidieren, da er in die nationale Politik zurück will. Doch falls er es sich anders überlegt, würden ihn Umfragen zufolge 60 Prozent der Einwohner wieder zum Bürgermeister wählen. Nicht zuletzt, weil die früher verschuldete Stadt am Ende der Biedroń-Ära wieder schwarze Zahlen schreibt. 

Den Nationalkonservativen ist der Einzelgänger Biedroń ein Dorn im Auge. Sogar im links-liberalen Lager hat er keine politischen Freunde. Dem liberalen Wahlbündnis Bürgerkoalition, das aus den Parteien Bürgerplattform (PO) und Die Moderne (Nowoczesna) besteht, könnte Biedroń einen Teil der Wähler wegnehmen, weil er offen das brisante Problem der Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes anspricht. Das wagt die Bürgerkoalition nicht, um ihre konservativeren Anhänger aus der Mitte nicht abzuschrecken.

Der "polnische Macron"

Viele soziale Themen, die traditionell zur linken Agenda gehören, werden seit Jahren durch die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) besetzt. Ihr Flaggschiff-Projekt Kindergeld kann man mit keinem anderen sozialen Projekt in der neuesten Geschichte Polens vergleichen. Doch Bürger, die für soziale Projekte, aber gegen den national-konservativen Kurs der PiS sind, fühlen sich durch keine Partei repräsentiert. Damit könnten sie eine perfekte Zielgruppe der künftigen Partei von Robert Biedroń werden. 

Robert Biedron
Biedroń bei einem Marsch für Menschenrechte und Gleichberechtigung in der moldauischen Hauptstadt Chisinau, 2014 Bild: picture-alliance/EPA/Dumitru Doru

Journalisten und Beobachter vergleichen den polnischen Politiker mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Mit seinem Charisma führt er in Polen einen neuen Politik-Stil ein. Das Establishment hat gute Gründe zu befürchten, dass er die polnische Parteienlandschaft aufmischen kann. In den Medien wird auch darüber spekuliert, dass er mit Macrons Partei vor der Europawahl und danach im EU-Parlament eine gemeinsame Front bilden könnte.

Die EU-Wahl wird zur Probe

Nach der Europawahl, die zur ersten Probe für die neue Partei Biedrońs wird, kommen die noch wichtigeren polnischen Parlamentswahlen im Herbst 2019. Im Interview mit dem polnischen Boulevardblatt Super Express zeigte sich der "polnische Macron" selbstbewusst, als er gefragt wurde, ob er Premierminister werden wolle: "Ich gehe in die Politik, um Polen zu verändern, und nur ein Premierminister hat einen realen Einfluss auf die Wirklichkeit." 

Laut einer Umfrage aus diesem Sommer könnte er in der polnischen Präsidentschaftswahl 2020 auf dem dritten Platz landen, nach dem jetzigen Präsidenten Andrzej Duda und dem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, der als wichtigster Kandidat der Opposition gilt. Die Spekulationen über eine Präsidentschaftskandidatur weist Biedroń nicht zurück. 

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau