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Prozess gegen Polizeigewalt

Fabian Fischerkeller/Anja Fähnle23. Juni 2014

Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer gegen Stuttgart 21-Demonstranten: Bei der gewaltsamen Räumung des Schlossgartens 2010 wurden Hunderte verletzt. Jetzt hat der Prozess gegen Einsatzleiter der Polizei begonnen.

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Im Stuttgarter Schlossgarten geht die Polizei mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vor (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Seit jenem Tag dürfte er der wohl bekannteste Demonstrant Deutschlands sein: Am 30. September 2010, dem sogenannte Schwarzen Donnerstag, demonstrierte der Rentner Dietrich Wagner im Schlossgarten gegen das Projekt Stuttgart 21, den umstrittenen Umbau des Bahnhofs. Als die Polizei mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten vorging, traf ihn der harte Wasserstrahl direkt ins Gesicht, seitdem ist der heute 69-Jährige nahezu blind.

"Dieser Tag hat sein Weltbild völlig verändert. Er vertraut dem Staat nicht mehr", sagte sein Anwalt Frank Ulrich Mann im Gespräch mit der DW. Er habe beobachtet, wie mit Pfefferspray auf Kinder gesprüht worden sei. Aus Sicht des Rentners habe sich die Wasserwerfer-Besatzung einen regelrechten Spaß daraus gemacht, auf die Köpfe der Demonstranten zu zielen. Diese Taten will sein Mandant nun gesühnt sehen. "Ihm geht es darum, dass endlich Verantwortliche dafür bestraft werden", so Anwalt Mann. Gegen vier Polizisten wurden bereits Strafbefehle erlassen. Am Dienstag (24.06.2014) hat nun der Prozess gegen zwei Einsatzleiter begonnen, die den Gebrauch von Wasserwerfern genehmigt hatten. Ihnen wird Fahrlässigkeit vorgeworfen.

Polizeigewerkschaft schweigt

Polizisten halten einen Mann am Boden fest. Foto Peter Steffen dpa
Polizeigewerkschafter Rainer Wendt: Strafanzeigen gegen Polizisten konstantBild: picture-alliance/dpa

Der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft Baden-Württemberg, Joachim Lautensack, wollte sich im Gespräch mit der DW nicht zur Sache selbst äußern. Er betonte jedoch, dass die Gewerkschaft voll und ganz hinter den zwei angeklagten Polizisten stehe.

"Wir haben kein Problem mit Polizeigewalt", meint auch Rainer Wendt, Vorsitzender der deutschen Polizeigewerkschaft. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Polizisten liege seit Langem konstant bei 2500 bis 3000 Fällen pro Jahr, sagte er der Zeitung "Die Welt". Den Vorwurf, dass Polizisten immer härter gegen Demonstranten vorgehen, hält Wendt für ungerechtfertigt. Es sei vielmehr so, dass sich die Beamten zunehmenden Anforderungen ausgesetzt sehen. Unter anderem gebe es zu wenig Personal für die wachsende Zahl schwieriger Einsätze.

Polizisten decken sich gegenseitig

Werden Polizeibeamte wegen ihrer harten Vorgehensweise gegen Bürger angezeigt, verlaufen die Gerichtsprozesse oftmals anders als normale Strafverfahren. "Wir haben sehr hohe Einstellungsquoten und nur geringe Anklagequoten", sagt Tobias Singelnstein, Rechtswissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Dass viele Verfahren gegen Polizisten im Sande verlaufen, liege an der Polizeikultur. "Kollegen sagen in aller Regel nicht gegen Kollegen aus", so der Jurist im DW-Interview.

Tobias Singelnstein, Rechtswissenschaftler. Foto: FU Berlin
Singelnstein: Den Aussagen von Polizisten wird mehr Glauben geschenktBild: Freie Universität Berlin

Es komme sogar häufig vor, dass Polizisten sich untereinander decken und zu Gunsten des anderen aussagen. Wenn es bei einem Prozess keine stichfesten Beweise gebe, stehe dann Aussage gegen Aussage. "In den meisten Fällen wird dann den Angaben der Polizisten Glauben geschenkt", sagt der Rechtswissenschaftler. Sie stünden in der Glaubwürdigkeitshierarchie der Justiz weit oben.

Veränderung der Polizeikultur nötig

Ein weiterer Grund, warum viele Verfahren gegen Polizeibeamte eingestellt werden: Gewalttätige Polizisten können oft nicht zweifelsfrei identifiziert werden. Die Bundesländer Berlin und Brandenburg wollen deshalb Polizeierkennungsnummern einführen.

Neben solch organisatorischen Korrekturen hält Singelnstein eine öffentliche Debatte zu dem Thema für nötig - und einen Bewusstseinswandel innerhalb der Polizeibehörden. „Die Polizeikultur muss sich verändern, damit die Polizei in der Lage ist, solche Fehler anzuerkennen und zu verarbeiten“ - und das mache sich dann auch im Strafverfahren bemerkbar, so der Berliner Strafrechtswissenschaftler.

Das Urteil im Prozess gegen die beiden Polizisten vor dem Stuttgarter Landgericht soll im Dezember 2014 gesprochen werden. Bis dahin muss der Rentner Wagner abwarten, ob er als Opfer von Polizeigewalt Recht bekommt.