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Politisierte Gefühle in Korea

Martin Fritz (Tokio)20. Februar 2014

Angehörige von 150 Familien aus dem Süden und Norden dürfen sich erstmals seit Jahrzehnten wiedersehen. Aber die gefühlsreichen Verwandtentreffen wurden vor allem von Nordkorea politisch instrumentalisiert.

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Die Menschen in Korea werden bei der Familienzusammenführung von ihren Gefühlen übermannt
Bild: picture-alliance/dpa

Wenn sie sich endlich an den Händen fassen und in den Armen liegen, können die meisten Teilnehmer der Familientreffen ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren. Viele so lange getrennte Verwandte erleiden Weinkrämpfe und Zusammenbrüche oder bleiben vor Freude und Schmerz erst einmal stumm. 82 Südkoreaner trafen am Donnerstag (20.02.2014) in dem nordkoreanischen Feriengebiet Kumgang 180 Angehörige aus Nordkorea.

Die starken Emotionen sind das Echo eines unvorstellbar grausamen Krieges, der die koreanische Halbinsel vor mehr als 60 Jahren in zwei Teile zerschnitt. Beide Seiten kämpften mit außergewöhnlicher Brutalität: der Norden mit Partisanentaktik und chinesischer Unterstützung, der Süden unter Führung der Amerikaner mit Bombenteppichen und Napalm. Die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung war hoch. Mehrere Millionen Koreaner starben, zehntausende Familien wurden durch Krieg und Chaos zerrissen.

Schon nach der politischen Teilung, aber vor Beginn des Krieges 1948 waren 1,2 Millionen Nordkoreaner in den Süden geflohen. Mit dem Waffenstillstand von 1953 ging das Leiden für die getrennten Eheleute und Familien weiter. Denn die Demarkationslinie am 38. Breitengrad lässt bis heute kein Lebenszeichen durch. Zwischen dem Norden und Süden gibt es keinen Briefverkehr, keine Telefonate, fast keine Reisen, ja nicht einmal einen Informationsaustausch über Medien: Inkompatible TV-Standards verhindern, dass man die Programme der anderen Seite sehen kann. Der Norden untersagt das Hören von südkoreanischen Radio-Sendern. Beide Staaten stellen direkte Bürgerkontakte ohne offizielle Genehmigung unter Strafe.

Spiegel der innerkoreanischen Geschichte

Lee Young Sil (r), eine 87-jährige südkoreanerin trifft ihre 66-jährige Tochter Dong Myung Suk
Die Hälfte aller Teilnehmer des Treffens sind über 80 Jahre altBild: picture-alliance/dpa

Die wenigen Familienzusammenführungen spiegeln daher die harsche Teilung wider. Das erste offizielle Wiedersehen mit 151 Koreanern fand 1985 statt. 14 Jahre lang hatte sich das Rote Kreuz darum bemüht. Ein kurzes innerkoreanisches Tauwetter brachte den Durchbruch. Die ausgewählten Südkoreaner wurden in Pjöngjang von ihren Verwandten mit Lobeshymnen auf den damaligen Präsidenten Kim Il Sung empfangen. Danach ging der Kalte Krieg weiter. Erst beim historischen Gipfeltreffen zwischen den Staatsführern Kim Dae Jung und Kim Jong Il 15 Jahre später wurde das nächste Treffen in einer Kongresshalle in Seoul verabredet. Dabei provozierte der Norden damit, dass seine Delegationsleiterin Ryu Mi Yong eine prominente Überläuferin aus dem Süden war.

Immerhin konnten sich seit dieser Annäherung im Jahr 2000 unter der Organisation des Roten Kreuzes insgesamt 22.000 Koreaner aus mehr als 4000 Familien wiedersehen - die meisten persönlich, einige nur über Videokonferenzen. Das letzte Treffen fand 2010 statt. Der Süden wählt die Teilnehmer über eine Computer-Lotterie aus, an der zuletzt noch 72.000 Menschen teilnahmen. Doch die Zahl der Schicksale wird immer kleiner: 57.000 Südkoreaner, die ihre Verwandten im Norden ebenfalls sehen wollten, sind ohne Erfüllung ihres Wunsches gestorben. Mehr als die Hälfte der Koreaner, die sich jetzt in den Kumgang-Bergen sehen, ist über 80 Jahre alt.

Politisch instrumentalisierte Treffen

Tragisch an diesen Begegnungen ist, dass sie ein Spielball der Politik sind. Südkorea weiß inzwischen genau, dass Nordkorea für seine Einwilligung zu den Verwandtentreffen belohnt werden will - mit wirtschaftlichen Hilfen und politischen Zugeständnissen. Auch der Umkehrschluss ist meistens richtig: Der Norden scheint nur dann an den Begegnungen interessiert zu sein, wenn es für seinen Machthaber politisch oder wirtschaftlich notwendig und sinnvoll ist. So sagte Pjöngjang im Herbst 2013 das erste Treffen seit drei Jahren kurzfristig ab.

Nach Familienzusammenführung winken die Menschen zum Abschied den Bussen nach
Der Abschied ist bitter und fast immer endgültigBild: picture-alliance/dpa

Man warf Seoul "Feindseligkeit und Beschimpfungen" vor. Dabei reagierte man wohl auf die Festnahme eines südkoreanischen Abgeordneten, dem ein linksgerichteter Umsturzversuch vorgeworfen wurde. Den eigenen Preis hält Pjöngjang möglichst klein: Meist kommt auf vier bis fünf Südkoreaner nur ein Teilnehmer aus dem Norden. Sie werden wegen ihrer Linientreue ausgewählt und rund um die Uhr bewacht. "Vorher müssen sie ihre Antworten auswendig lernen, damit sie nichts Falsches sagen", berichtete ein nordkoreanischer Flüchtling der Deutschen Welle.

Treffen bringen keine Versöhnung

Auch vor dieser jüngsten Familienzusammenführung verband der Norden die humanitäre Frage mit der Forderung, dass eine Militärübung mit den USA abgesagt werden müsse. Politische Beobachter werten das Verwandtentreffen zwar als ein Zeichen für die vorsichtige Wiederannäherung zwischen Nord- und Südkorea, nachdem Nordkoreas Führer Kim Jong Un seinen mutmaßlichen Rivalen und Onkel Jang Song Thaek hinrichten ließ. Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye will anders als ihr Vorgänger Lee Myung Bak die Beziehungen.

Aber vermutlich geht es Nordkorea vor allem darum, mit der Wirtschaftshilfe aus dem Süden seine Abhängigkeit von China zu verringern. Zudem spielte Pjöngjang die südkoreanische Karte bisher vor allem aus, wenn man mit den USA ins Gespräch kommen wollte. Im Süden macht man sich daher keine Illusionen darüber, dass die Familientreffen eine Versöhnung herbeiführen könnten. Ohnehin enden die Begegnungen so grausam, wie die Menschen einst getrennt wurden: Denn auf das kurze Wiedersehen folgt unweigerlich der Abschied für immer.