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Politische Gefangene in Belarus: Alltag in der Verbannung

22. März 2007

In Belarus werden Regimegegner in abgelegene Regionen verbannt und dort als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Harte körperliche Arbeit soll sie zu "besseren" Menschen machen. DW-RADIO hat mit einem von ihnen gesprochen.

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Abgeschirmt von der GesellschaftBild: AP

Menschen wie Nikolaj Statkewitsch sind für das autoritäre Regime in Belarus gefährlich. Vor zwei Jahren hat der Oppositionspolitiker seine Mitbürger aufgerufen, gegen die gefälschten Ergebnisse der Parlamentswahl zu demonstrieren. Mehrere tausend Menschen sind damals seinem Aufruf gefolgt. Am gleichen Tag wurde Statkewitsch verhaftet und kurz darauf zu drei Jahren Haft verurteilt. Er musste aber nicht ins Gefängnis. Der damalige Chef der Sozialdemokratischen Partei wurde verbannt - in ein kleines Dorf, weit von der Hauptstadt Minsk entfernt.

14 Stunden Arbeit täglich

Über seinen Alltag sagte er DW-RADIO: "Hier repariere ich landwirtschaftliche Maschinen. Die ersten beiden Monate waren sehr hart. Ich musste 14 Stunden am Tag arbeiten, ohne Pausen, auch am Wochenende. So wollte man mich kaputt machen. Ich habe es aber ausgehalten. Jetzt sieht mein Arbeitsplan etwas lockerer aus", erzählt Nikolaj Statkewitsch. Wenn es nichts zu reparieren gibt, werde er überall eingesetzt, wo es Arbeit gibt - als Holzfäller, Handwerker oder Erntehelfer. Die Absichten seiner Vorgesetzten sind ihm klar. So wollen sie die Politik endgültig aus seinem Kopf vertreiben.

Schweine kastrieren als Strafe

Der Kontakt zu Gleichgesinnten ist verboten. Umso schwieriger ist es für den Oppositionspolitiker, Informationen von außen zu bekommen. Die einzige Quelle dafür sind zensierte Briefe seiner Anhänger. Nikolaj Statkewitsch lässt keine Gelegenheit aus, die politischen Ereignisse in der Hauptstadt zu kommentieren. Die Reaktion der Regimevertreter lässt nicht lange auf sich warten. Häufig wird er dafür bestraft, erzählt er: "Am Valentinstag wurde ich auf die Schweinefarm geschickt und musste helfen, die Schweine zu kastrieren. Zum ersten Mal weigerte ich mich, das zu tun, obwohl das für mich strafrechtliche Konsequenzen haben könnte".

Längere Spaziergänge sind verboten

Doch diesmal hatte Statkewitsch Glück. Als politischer Gefangener sollte man auf alles gefasst sein, sagt er. Zwar darf der 51-jährige sich auf dem Dorfgelände frei bewegen, aber etwa einen längeren Spaziergang zu machen kann er sich nicht leisten. Das wäre kriminell: "Dann holt mich sofort ein Wagen ein. Dort sitzen KGB-Leute, die mir ständig nachspionieren. Aber ich bespitzele sie auch. So weiß ich ganz genau, dass sie gerne in meinem Zimmer herumschnüffeln, wenn ich bei der Arbeit bin. Besonders, nachdem mich ausländische Botschafter besucht haben".

Absurde Methoden

Doch das kommt eher selten vor. Ähnliche Besuche werden nur in Einzelfällen erlaubt. Seine Familie sieht Statkewitsch auch nicht allzu oft. Im Winter durfte er für ein paar Tage nach Hause. Kurz entschlossen wollte er sich mit seinen Anhängern am Hauptbahnhof treffen. Doch die KGB-Mitarbeiter kamen ihm auf die Schliche. So riefen sie einen Bombenalarm aus und umzingelten den Hauptbahnhof. Das Treffen konnte nicht stattfinden. Nikolaj Statkewitsch schüttelt den Kopf und lächelt müde. Er kennt viele solcher Tricks. Je schwächer das politische Regime wird, desto absurder sind seine Methoden.

Große Sorgen bereiten dem Oppositionspolitiker die neuesten Tricks: Regimegegner bereits vor geplanten Aktionen hinter Gitter zu stecken. Ob das wirklich nötig sei, stellt Nikolaj Statkewitsch in Frage: "Die Opposition stellt keine reale Bedrohung für das Regime dar. Die Chance auf eine Revolution hat sie verschenkt - nach der Präsidentschaftswahl im letzten März. Jetzt hat sie sich für den Slogan "Belarus nach Europa" entschieden. Was für eine tolle Idee! Dafür würden mindestens 55 Prozent der Menschen in Belarus sofort stimmen. Was hält sie denn davon ab, diese Stimmen zu sammeln?"

Die Trägheit sei der Opposition zum Verhängnis geworden, so Statkewitsch. Weil sie nichts unternehme, könne die Diktatur in Belarus weiter existieren. Das hätten die Menschen im Land nicht verdient. Sein Plan steht fest: Weiter zu kämpfen – für seine Freiheit und die seiner Mitbürger. "Solange ich noch Anhänger an meiner Seite habe, kann ich nicht aufhören. Das wäre ein Verrat!", so die Überzeugung des Politikers.

Olja Melnik
DW-RADIO/Belarus, 20.3.2007, Fokus Ost-Südost