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PolitikPolen

Polen: Hilfe aus Deutschland willkommen

22. November 2022

Deutsche Kampfflugzeuge im Himmel über Polen? Das deutsche Angebot, die polnische Luftabwehr zu stärken, stieß in Warschau zunächst auf Skepsis. Doch Patriot-Systeme aus Berlin sind willkommen.

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Patriot Flugabwehrsystem
Ein deutsches Raketenabwehrsystem vom Typ PatriotBild: Bernd Wüstneck/dpa/picture alliance

Die Überraschung hätte größer kaum sein können: Der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak hat positiv auf ein Angebot aus Berlin reagiert - trotz antideutscher Vorbehalte der polnischen Regierung. Am Montag (21.11.2022) hatte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) Polen Unterstützung bei der Luftabwehr zugesagt. Deutschland könne das Raketenabwehrsystem Patriot zur Verfügung stellen, erklärte sie in zwei Zeitungsinterviews. Zuvor hatte sie bereits angeboten, mit Eurofightern den polnischen Luftraum zu überwachen.

Polen Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak spricht auf dem Warschauer Sicherheitsforum
Polens Verteidigungsminister Mariusz BlaszczakBild: Attila Husejnow/Sopa/Zuma/picture alliance

Auf Twitter antwortete Blaszczak nun "mit Genugtuung" auf die deutsche Offerte. Später bestätigten beide Ressortchefs in einem Telefonat die Vereinbarung über die Verlegung deutscher Patriot-Flugabwehrsysteme nach Polen und über die Absicherung des polnischen Luftraumes mit deutschen Eurofightern. Einzelheiten sollen Militärexperten beider Staaten klären.

Deutschland - Prügelknabe der polnischen Rechten

Die Überraschung über die schnelle Vereinbarung war groß, denn Deutschland dient der in Polen regierenden Koalition "Vereinigte Rechte" mit der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an der Spitze seit Jahren als Prügelknabe. Noch am Wochenende wetterte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bei einer Parteiveranstaltung in Südpolen gegen den westlichen Nachbarn. Die Deutschen versuchten, aus der EU ein von ihnen dominiertes Gebilde zu machen. Das Leben unter (deutschem) Stiefel sei aber das Böse, sagte Kaczynski. Er hatte in der Vergangenheit die Präsenz deutscher Soldaten auf polnischem Boden ausdrücklich abgelehnt.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Polens Premier Mateusz Morawiecki auf dem Westbalkan Gipfel in Berlin
Schwieriges Verhältnis: Bundeskanzler Olaf Scholz und Polens Premier Mateusz Morawiecki - hier beim Westbalkangipfel in Berlin am 3.11.2022Bild: Lisi Niesner/REUTERS

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine steht Deutschland besonders im Kreuzfeuer der Kritik in Polen. Das Regierungslager beschuldigt Berlin, mit seiner Russland-Politik, vor allem durch die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen, die Moskauer Aggression erst ermöglicht zu haben. In den vom Regierungslager kontrollierten Medien ist auch die zögerliche Haltung Deutschlands gegenüber den ukrainischen Wünschen nach schweren Waffen ein wiederkehrendes Thema.

Den Höhepunkt dieser Kontroversen stellte die Auseinandersetzung um den sogenannten Ringtausch dar. Polen sollte als Ersatz für der Ukraine übergebene T-72-Panzer sowjetischer Bauart moderne deutsche Kampfpanzer Leopard erhalten. Der geplante Deal kam jedoch bis heute nicht zustande.

"Kluger Schritt der deutschen Regierung"

"Es war ein sehr kluger Schritt der deutschen Regierung", beurteilt der Politikexperte Piotr Buras das deutsche Angebot, die polnische Luftabwehr zu stärken.

Portraitfoto Piotr Buras - Experte für deutsch-polnische Beziehungen
Der polnische Deutschlandexperte Piotr BurasBild: Piotr Buras

Der Chef der Warschauer Vertretung der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) sagt, Berlin habe seit langem nach einer Gelegenheit gesucht, einen positiven Akzent im Verhältnis zu Warschau zu setzen. 

Nach dem Raketeneinschlag in Ostpolen mit zwei Toten durch eine offenbar fehlgeleitete ukrainische Abwehrrakete hätten die Deutschen dann für ihre Verhältnisse überraschend schnell ein gutes Angebot unterbreitet. "Das konnte die polnische Regierung trotz antideutscher Vorbehalte nicht ausschlagen", so Buras.

Polnische Oppositionszeitung lobt Annahme des deutschen Angebots

Diese Einschätzung teilt auch Pawel Wronski von der links-liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza. Verteidigungsminister Blaszczak sei ein "Prahlhans", der gern auf Twitter behaupte, dass Polen die beste und modernste Armee besitze und keine Hilfe brauche. "Vor einem Monat kritisierte der Verteidigungsminister den deutschen Vorschlag eines europäischen Raketenschirms und stellte fest, dass Polen bereits ein mehrschichtiges System der Luftverteidigung aufgebaut habe. Deshalb brauche Polen keine deutschen Programme, die weniger fortgeschritten seien."

Tatsächlich verfüge Polen aber derzeit nur über zwei Patriot-Systeme, die zudem erst im Sommer 2023 einsatzbereit sein würden. Weitere sechs Systeme seien bestellt, aber noch nicht geliefert, schreibt Wronski an diesem Dienstag (22.11.2022) in einem Artikel. "Eine Ablehnung des deutschen Angebots wäre in dieser Situation extrem unverantwortlich. Blaszczak hat die richtige Entscheidung getroffen", betont Wronski im Gespräch mit der DW und lächelt süffisant: "In diesem Fall unterstützt die größte Oppositionszeitung die Regierung."

Patriot für Warschau wichtiger als Eurofighter

Doch obwohl die deutsche Seite Eurofighter und Patriot-Systeme angeboten hat, spricht man in Polen nur von dem Luftabwehrsystem und erwähnt die Flugzeuge mit keinem Wort. Justyna Gotkowska, Vizedirektorin der renommierten polnischen Denkfabrik Osrodek Studiow Wschodnich (OSW) sieht darin kein Problem. "Die Unterstützung in der Absicherung des polnischen Luftraums allein mit Eurofightern, wie anfangs von Verteidigungsministerin Lambrecht angeboten, braucht man zurzeit nicht unbedingt. Eurofighter helfen nicht gegen Raketenbeschuss und sind eher eine symbolische Geste", erläutert sie.

Zwei Eurofighter der Bundeswehr im Flug
Deutsche Eurofighter könnten bald den polnischen Luftraum überwachenBild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Gotkowska unterstreicht, dass es zurzeit im polnischen Luftraum italienische und französische Eurofighter sowie amerikanische Maschinen gebe. "Deswegen ist das Flugabwehrsystem Patriot aus polnischer Perspektive viel wichtiger als der deutsche Eurofighter, und deswegen wird es von der polnischen Seite vor allem genannt."

Dennoch sind deutsche Soldaten auf polnischem Boden eine Herausforderung für die rechte Wählerschaft der PiS. Noch ist nicht entschieden, ob die Patriotsysteme samt deutscher Besatzungen nach Polen verlegt würden. Nach Ansicht von Pawel Wronski von der Gazeta Wyborcza wäre es jedoch absurd, abzuwarten, bis man polnische Soldaten geschult habe. "Wir haben keine Zeit zu verlieren", so der Journalist.

Herausforderung für rechte Wähler

Nach der polnischen Zustimmung zum deutschen Hilfsangebot liefen rechte Twitter-Nutzer regelrecht Sturm gegen die Vereinbarung. Von Landesverrat war die Rede und vom Einknicken vor Berlin.

"Kaczynski wird Probleme haben, seinen antideutschen Anhängern diese Wende zu erklären", sagt Agnieszka Lada-Konefal, Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt. "Aber die Kooperation findet nicht bilateral, sondern im NATO-Rahmen statt. So können die Hardliner das leichter schlucken."

Könnte die deutsch-polnische Militärkooperation über das Vereinbarte sogar noch hinausgehen? Die Zeitung Rzeczpospolita ist skeptisch: "Die Deutschen sind bereit, mehr zu tun, sogar Bundeswehreinheiten nach Polen zu verlegen. Solche Verbände sind seit langem in Litauen stationiert. Für die polnische Regierung wäre das aber zu viel. Es sei denn, der Krieg in der Ukraine eskaliert noch weiter", schreibt das Blatt am Dienstag.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.