Die wenigsten werden abgeschoben
21. September 2017Nur jedem zwanzigsten Flüchtling - wenn überhaupt - drohe eine Rückführung in die Heimat oder in ein anderes Land in der EU. Die amerikanischen Forscher stützen ihr Ergebnis auf Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat. Nach den Zahlen der Pew-Studie werden also nur drei Prozent aller Menschen, die sich um Asyl bewerben, in Europa tatsächlich abgeschoben.
Pro Asyl rechnet nach
Karl Kopp, Europareferent bei der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, kommt ins Grübeln. Mit unzulänglichen Daten solle keine Politik gemacht werden, lautet seine erste Reaktion. Kopp zweifelt an dem Zahlenmaterial und verweist auf die vielen Mängel in den europäischen Statistiken, die die Amerikaner ihrer Studie zugrunde legten. Da gäbe es eine Menge Doppelerfassungen von Flüchtlingen, auch eine Menge von Personen, die einen Asylantrag in mehreren EU-Ländern stellten. Andererseits fehlten genaue Zahlen zu Reisebewegungen oder Angaben zu längst aus der EU ausgereisten Asylbewerbern. Allein die Zahlen für Ungarn, die die Studie nennt, könnten nicht stimmen: 65.000 schwebende Verfahren? Kamen alle Ausreisepflichtigen wirklich als Flüchtlinge? "Für aussagefähige Vergleiche muss ich doch wissen, was ich gegenrechnen kann", bemerkt Kopp im Gespräch mit der DW.
Allerdings sprächen mehrere Punkte für die Grundtendenz der Pew-Studie. Da sind zunächst die häufigsten Herkunftsländer: Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea und Iran. Allein aus der Sicherheitslage dieser Länder würden sich hohe Schutzquoten ergeben, die auch staatliche Stellen wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Deutschland nicht ignorieren dürften. "Viele Asylsuchende können tatsächlich gar nicht abgeschoben werden." Kopp nennt die rasant angestiegene Zahl von Klagen vor deutschen Verwaltungsgerichten gegen ablehnende Bescheide und Ausreisefestsetzungen. Dasselbe Bild ergebe sich auch in anderen EU-Ländern. "Überall gibt es handwerkliche Fehler, wenn die Zahl der Abschiebungen - politisch gewollt - in den EU-Ländern hoch getrieben werden sollen." So sänken Abschiebequoten auch aufgrund fehlender einheitlicher Asylgesetze in Europa und aufgrund massiver Gegenwehr gegen Abschiebungsbescheide.
Abwehr macht stark
Tatsächlich hätte sich das Abschieberisiko noch deutlich verringert, seitdem sich Asylbewerber besser organisieren würden. "Es ist wichtig, sich sozial zu vernetzen und sich Verbündete und Rückendeckung zu verschaffen", sagt Helen Schwenken. Die Professorin am Institut für Migrationsforschung an der Universität Osnabrück hat dazu die Proteste gegen Abschiebungen untersucht. Verbündete gegen Abschiebungen seien engagierte Bürger, Vertreter von Kirchen und viele Politiker auf lokaler Ebene. "Druck bewirkt eine ganze Menge", gibt Schwenken zu bedenken. Dort, wo Fürsprecher, teils mit spezialisierten Fachanwälten, in Europa die Gegenwehr gegen Abschiebungen begleitet hätten, konnten sie rechtswidrige Abschiebungen verhindern und gute Chancen für ein Bleiberecht oder gar eine Rückkehr selbst nach bereits erfolgter Abschiebung aushandeln.
Abschiebetendenzen der EU-Länder
Wer schiebt am häufigsten und am strengsten in Europa ab? Mit solchen Fragen hat sich Sergo Mananashvili am Europäischen Hochschulinstitut (EUI) in Florenz beschäftigt. Mit Zahlen half das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO). Danach konnte selbst das strenge Österreich nur zehn Prozent der Asylsuchenden wieder abschieben. Frankreich kommt auf nur fünf Prozent. In Italien und Spanien schwanken die Quoten zwischen acht und fünfzehn Prozent aller Asylsuchenden. Deutschland holt erst jetzt auf, aber eine offizielle Quote gibt es noch nicht.
Der Trend ist jetzt - so das EUI - nicht mehr die Ausweisung in einem offiziellen Abschiebeverfahren. Mehr und mehr gingen EU-Länder dazu über, es den Asylbewerbern im Land im Leben so schwer zu machen, dass die Menschen freiwillig gingen. In Bulgarien, Ungarn, Griechenland und an der spanisch-marokkanischen Grenze würden zudem die Maßnahmen verstärkt, Asylsuchende noch vor dem ersten Betreten des Landes abzuwehren. So könne man sich teure Abschiebungen sparen.
In den Parlamenten etlicher EU-Länder gibt es zunehmend Beschwerden über die hohen Kosten für die Abschiebungen auf dem Luft-, Land- und Seeweg. Da hat es EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos schwer, wenn er die Mitgliedsstaaten auffordert, eine verschärfte Abschiebepraxis auszuüben. Die europäischen Staaten müssten dahingehend mehr tun, meint der EU-Kommissar. Nicht nur die Forscher am amerikanischen Pew-Institut wissen: Die Realität sieht anders aus.