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Politik

Europa ist ideologisch geteilt

29. Oktober 2018

Das Pew Research Center hat eine Studie zu in Europa hoch strittigen Themen veröffentlicht - etwa dem Verhältnis der Europäer zu Muslimen. Ergebnis: Je nach Region variieren die Antworten ganz erheblich.

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Symbolbild Europa Europaflagge mit Wegweiser zu Hauptstädten in Europa
Bild: Fotolia/montebelli

Die Mauer, die Europa bis 1989 durchschnitt, ist physisch längst gefallen. Kulturell aber steht sie weiterhin - zumindest haben sich einige Teile erhalten, die durch den regen Grenzverkehr längst noch nicht geschliffen sind. Das legt zumindest eine neue Studie des US-amerikanischen Pew Research Centers nahe, die die Haltung der Europäer zu einigen in der europäischen Öffentlichkeit derzeit stark diskutierten präsentiert: etwa ihre Haltung zu Muslimen und Juden; zur gleichgeschlechtlichen Ehe; zur Abtreibung oder auch ihr Verhältnis zur jeweils eigenen Kultur.

Deutlich zeigt sich der Riss, der sich durch West- und Osteuropa zieht, etwa an der Einstellung der Befragten zu Muslimen. Die größte Bereitschaft, Muslime als Teil der Familie anzuerkennen (etwa durch Heirat) zeigten die Norweger. 82 Prozent beantworteten die entsprechende Frage  mit "Ja" - dicht gefolgt von den Schweden mit 80 und, leicht abgeschlagen, den Finnen mit 66 Prozent. Ähnlich offen zeigen sich auch die Niederländer und Belgier mit 88 und 77 Prozent. Auch die Spanier (74 Prozent)  und Franzosen (66 Prozent) lassen eine hohe Toleranz erkennen.

Muslimische Frauen mit einem Kind auf der Straße in Brüssel
Unterschiedliche Wertschätzung: Muslime in EuropaBild: picture-alliance/dpa/W. Rothermel

Deutschland liegt mit 55 Prozent im Mittelfeld, ähnlich wie die direkten Nachbarn, die Österreicher und Schweizer, bei denen die Zustimmungsraten vergleichbar sind. In der östlichen Nachbarschaft nimmt die Bereitschaft hingegen deutlich ab. So könnte sich nur ein Drittel der Polen (33 Prozent) vorstellen, muslimische Verwandte zu haben. Unter den Ungarn ist es nur ein gutes Fünftel (21 Prozent) unter den Tschechen sogar nur ein gutes Zehntel (12 Prozent). Weiter im Südosten und Osten steigt die Bereitschaft wieder. So können sich gut die Hälfte der Kroaten (57 Prozent) und knapp die Hälfte der Slowaken (47 Prozent) als Verwandte vorstellen. Zurückhaltend zeigen sich auch Bulgaren, Rumänen, Griechen und Russen: In diesen Ländern beantwortete jeweils rund ein Drittel die Frage mit einem Ja.

Wertschätzung der eigenen Kultur

Offener zeigen sich die Befragten sämtlicher Länder gegenüber Juden. Jüdische Verwandte konnten dem Bericht zufolge am besten die Niederländer mit 96 Prozent vorstellen, gefolgt von den Norwegern (95 Prozent) und den Dänen (92 Prozent). In Deutschland, jenem Land, das die Vernichtung der europäischen Juden zu verantworten hat, konnten sich knapp zwei Drittel (69) Juden als Verwandte vorstellen. Am wenigsten dies die Bürger des stark muslimisch geprägten Bosnien: Dort würden nur 37 Prozent Juden als Familienmitglieder willkommen heißen.

Ein lesbisches Paar vor einem in Regenbogenfarben geschmückten Bau
Umstritten: Eheschließung homosexueller Menschen Bild: Casper Christoffersen/AFP/Getty Images

Bei westlichen und östlichen Ländern Europas gibt es auch Differenzen in der Frage der Wertschätzung der eigenen Kultur. Die stärkste Zustimmung findet die Frage, ob die eigene Kultur fremden überlegen sei, in Russland mit 69 Prozent, gefolgt von Rumänen (66 Prozent) und Bulgaren (69 Prozent). Noch selbstsicherer sind allein die Griechen: Dort bejahten 89 Prozent die Frage. Die geringste Wertschätzung erfährt die je eigene Kultur bei den Spaniern (20 Prozent), den Belgiern (21 Prozent) und den Niederländern (31 Prozent). Auch in Frankreich hält nur ein Drittel (36 Prozent) die eigene Kultur für überlegen. Deutschland hingegen befindet sich mit 45 Prozent in einem Mittelfeld, zu dem auch die Polen und Tschechen mit jeweils 55 gehören. Auch Slowaken und Ungarn haben mit 44 und 46 Prozent ein moderat positives Verhältnis zu ihrer Kultur.

Zahlreiche ideologische Gräben

Deutlicher ist die Distanz zwischen West- und Osteuropäern in der Frage der Heirat homosexueller Paare. Am höchsten ist die Zustimmung in Schweden, Dänemark und den Niederlanden (86 - 88) Prozent. Es folgen weitere westliche Länder, darunter Deutschland mit 75. Frankreich mit 73 und Spanien mit 77 Prozent. Unter den mitteleuropäischen Ländern ist die Zustimmung allein in Tschechien mit 65 Prozent vergleichsweise hoch. Hingegen lehnen im benachbarten Polen fast zwei Drittel (59 Prozent) die Heirat homosexueller Paare ab. Noch höher ist die Ablehnung in Rumänen (74 Prozent) und Bulgarien (79 Prozent). Spitzenwerte erreicht sie in Bosnien (84 Prozent), Litauen (85 Prozent) und Russland (90 Prozent).

Papst Franziskus bei einer Messe Litauen
Die Kirche als transzendente Instanz - so wünschen es die meisten Europäer Bild: pictrue-alliance/dpa/AP/M. Kulbis

In der Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Religion fällt der Graben zwischen Ost und West hingegen weniger tief aus. Spitzenreiter derer, die sich für eine Trennung der beiden Felder aussprechen, sind Schweden und Finnland mit 80 bzw. 77 Prozent - gefolgt von den Bosniern, die zu 76 Prozent für eine Trennung eintreten. Insgesamt unterstützen die Bürger nahezu aller europäischen Länder die Trennung. Allein in Russland, Weißrussland und Bulgarien sind die Bürger mit jeweils 50 Prozent unentschieden. Dafür, dass der Staat die Religion unterstützt, votieren mehrheitlich allein die Bürger in den europäischen Randgebieten: Georgier (52 Prozent) und Armenier (59 Prozent).

Die Studie lässt keinen Zweifel: Es zieht sich insgesamt zwar ein ideologischer Graben durch Europa mit den westlichen Staaten auf der einen und den östlichen auf der anderen Seite. Doch neben diesem gibt es zahlreiche andere Gräben, die Europa zerteilen. Denn auch innerhalb der einzelnen Länder sind die Fragen des Pew Centers sehr umstritten. 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika