Patricia Highsmith zum 100. Geburtstag
19. Januar 2021"Sie hatte einen unstillbaren Appetit auf das Groteske, Grausame und Makabre", schreibt ihr Biograf Andrew Wilson in dem Buch "Schöner Schatten" (2017) über die US-amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith. Ihr Name ist vor allem durch eine ihrer durchtriebensten und zugleich sympathischsten Romanfiguren bekannt: Tom Ripley. Mehrfach wurden die fünf Romane, die von dem Hochstapler, Kunstfreund, Dahlienliebhaber und Serienmörder erzählen, von und mit Größen des Kinos verfilmt. 1999 erschien in der letzten Verfilmung von "Der talentierte Mr. Ripley" die erste Garde von US-Schauspielern auf der Kinoleinwand: Matt Damon, Jude Law, Gwyneth Paltrow und Cate Blanchett.
Tagebücher, Serie, Kinofilm: 2021 feiert Highsmith
2021 geht es weiter: Im Jahr des 100. Geburtstags von Patricia Highsmith wird die erste Staffel der Ripley-Verbrechen beim US-Kabelsender Showtime verfilmt. Regie führt Oscar-Preisträger Steve Zaillian, Andrew Scott spielt die Rolle von Tom Ripley und Johnny Flynn tritt als Dickie Greenleaf an. Was Highsmith genau im Sinn hatte, als sie den ersten Band der Geschichte des skrupellosen Trickbetrügers und Emporkömmlings im Jahr 1954 in nur sechs Monaten niederschrieb, kann man ab Herbst 2021 auch in ihren Tagebüchern nachlesen, die der Diogenes-Verlag dann erstmals als Gesamtausgabe veröffentlicht.
Highsmiths Talent zeigte sich schon in der Schulzeit
Patricia Highsmith, am 19. Januar 1921 als Mary Patricia Plangman in Forth Worth in Texas geboren, kommt unter einem "unglücklichen Stern" zur Welt. So beschreibt sie es 1942 auch in einem von ihr verfassten Gedicht. Ihre Mutter versucht die Tochter abzutreiben, indem sie Terpentin trinkt. Kurz vor der Geburt lässt sie sich von Patricias leiblichen Vater scheiden. Von Fort Worth zieht Patricia mir ihrer Mutter und dem neuen Stiefvater, dem sie den Nachnamen Highsmith verdankt, nach New York. In der Schule gilt sie als hochbegabt. Eine Leseratte, die früh Erwachsenenliteratur liest. Mit 14 schwärmt sie für Mädchen ihrer Schule und macht erste körperliche Erfahrungen. Ihre Homosexualität stößt auf Ablehnung bei der Mutter. Highsmith sieht sich "als männliches Wesen in einem Frauenkörper", wie sie 1950 rückblickend in ihrem Notizbuch schreibt.
Ein großes Thema ihrer Romane ist die "Kippfigur". Warum werden aus normalen Menschen Mörder? Wann geben sie ihre Moral preis? Diese Frage steht bald im Mittelpunkt fast aller Werke von Highsmith. Dafür interessiert sie sich schon, seit sie acht Jahre alt ist und im Bücherregal ihrer Großmutter das Werk "Die Seele des Menschen" von Carl Menninger findet. Der deutsch-amerikanische Psychologe führte in den USA eine Klinik, die sich um Kriegsveteranen kümmerte.
Durchbruch mit "Zwei Fremde im Zug"
Tagebuch führt die junge Patricia ab ihrem 15. Lebensjahr. Die einzelnen Bände fungieren auch als Notizbücher. Erste Kurzgeschichten, die von ihren homosexuellen Sehnsüchten handeln, wie "Salz und sein Preis" (heute bekannt als "Carol" in der Verfilmung mit Cate Blanchett), erscheinen unter Pseudonym. Sie sind ihr peinlich. Highsmiths Durchbruch kommt mit dem Roman "Zwei Fremde im Zug" (1950). Ein Buch über das perfekte Verbrechen. Zwei Männer, die sich zufällig während einer Zugfahrt kennenlernen, planen einen Mord. Alfred Hitchcock kauft der 30-jährigen Autorin für 8000 US-Dollar die Rechte an ihrer Geschichte ab und verfilmt den Thriller 1951. Da ist Patrica Highsmith gerade mit ihrem Studium der englischen Literaturwissenschaften, Latein, Griechisch und Zoologie am Barnard-College in New York, das nur Studentinnen aufnimmt, fertig. Sie jobbt in einem Comic-Shop, um über die Runden zu kommen.
Highsmith untergräbt Thriller-Genre
"Sie war die erste, die aus einem Thriller Literatur machte", schreibt François Rivière, Autor der 2003 in Frankreich erschienen Biographie "Ein langer und wunderbarer Selbstmord. Ein Blick auf Patricia Highsmith" (Verlag Calmann-Lévy). Sie untergrabe das Genre des Thrillers, weil "der Leser Partei ergreift für die Seite des Mörders". Sogar ein Serienkiller wie Tom Ripley, der alle Widersacher kaltblütig aus dem Weg räumt, findet die Sympathie des Lesers. Die Erfindung des Parvenu, der vorgibt ein anderer, nämlich der reiche Erbe Dickie Greenleaf zu sein, und bis zur Perfektion in dessen Rolle schlüpft, bezeichnet Rivière als eine Art Doppelgänger von Patricia Highsmith. Als sie für "Der talentierte Mr. Ripley" für den Edgar-Allen-Poe-Award nominiert wird, schreibt sie "...und Ripley" hinter ihren Namen. Auch Briefe soll sie ab und zu mit "Tom Ripley" signiert haben.
Alle Ripley-Romane spielen übrigens in Europa. Dorthin reist Highsmith 1949 erstmalig - mit dem Schiff. In ihr Notiz- und Tagebuch notiert sie die aus heutiger Sicht geradezu visionären Zeilen: "Meine hartnäckige Obsession ist, dass Amerika sich fatalerweise...von der eigentlichen Wirklichkeit wegbewegt, dass nur die Europäer über diese Wirklichkeit verfügen." 1963 zieht sie endgültig nach Europa um: zuerst nach Italien, dann nach Großbritannien, Frankreich und schließlich in die Schweiz.
Die dunklen Schatten von Patricia Highsmith
Schuld, Herkunft, Moralverlust ziehen sich als Themen durch ihr Werk, genauso wie "die illusionäre Natur der Liebe", wie einer ihrer Kritiker urteilt. Nicht nur die Ripley-Romane, sondern auch die meisten ihrer überaus spannenden Geschichten wie "Der Stümper" (1954), "Schrei der Eule" (1962) und "Edith Tagebuch" (1977) handeln von Außenseitern - ihren seelischen Abgründen und ihrer Selbstgenügsamkeit. "Jeder Mensch birgt in sich eine schreckliche andere Welt, höllisch und unbekannt", schreibt Highsmith 1942 in ihr Notizbuch. Sie verfasst nicht nur 22 Romane, sondern auch zahlreiche Short Stories. Zwei handeln von ihrer Vorliebe für Schnecken. In einem Interview, das sie 1974 auf Deutsch dem Schweizer Fernsehen gibt, erzählt sie, dass sie Schnecken als Haustiere schätze. Sie seien interessant, "weil sie sich seit Millionen Jahren nicht verändert haben". Sie soll sie sogar in der Handtasche spazieren geführt haben.
Alkoholismus, Antisemitismus und Rassismus
In Gefühlsdingen hat Patricia Highsmith kein gutes Händchen. Mit ihren zahlreichen Liebhaberinnen, von denen einige sie als frauenfeindlich beschreiben, verbringt sie meist nur kurze glückliche Phasen. Oft genug greift sie missgelaunt zur Flasche und trinkt übermäßig viel. Sie zieht hasserfüllt über den Literaturbetrieb, aber auch über Juden und Schwarze her. Bis heute hängt ihr der Vorwurf des Antisemitismus nach. Wenn im Herbst ihre Tagebücher erscheinen, ist vielleicht mehr darüber zu erfahren, wie tief dieser Antisemitismus wirklich wurzelte. Kritiker fragen schon, inwieweit Werk und Person diesbezüglich zu trennen sind. Ihre Figuren zumindest geben über ihre Haltung keinen Aufschluss.
Der Filmbetrieb liegt ihr trotzdem zu Füßen. 1978 wird Highsmith zur Präsidentin der internationalen Jury der Berlinale berufen, obwohl sie das Kino nicht mag. Doch 28 Mal wurden ihre Romane auf die Kinoleinwand gebracht, vielleicht weil sich ihre Milieustudien so gut für eine Verfilmung eignen. Ruhm wird der Autorin, die wie besessen arbeitet, schnell zu viel. Oft genug zieht sie sich zurück. Am Ende ihres Lebens ins Tessin. Dort stirbt Patricia Highsmith am 4. Februar 1995 an einem Krebsleiden mutterseelenallein in einem Krankenhaus.
Dieser Artikel wurde am 19. Januar aktualisiert und um die Abbildung der Antisemitismus-Debatte ergänzt.