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Gesellschaft

Papu. Terra. K.I.

Gilda-Nancy Horvath
8. April 2021

Papu, der fünffache Urgroßvater, programmierte bereits, bevor es den Heimcomputer "Commodore“ gab. Er glaubt an den technologischen Fortschritt und zweifelt an der menschlichen Moral.

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Projekt | Glaso-Stimme | Bronislav Nikolic | Papu
Bronislav Nikolic, genannt "Papu"Bild: Privat

Vor 75 Jahren, am 12. Mai 1941, stellte Konrad Zuse den Z3 - den ersten Computer der Welt - in einer Berliner Werkstatt der Öffentlichkeit vor. 30 Jahre später, als Papu kaum zwölf Jahre alt war, las er in einer Zeitschrift davon - und ihn erfasste eine Begeisterung, die ihn sein Leben lang begleiten sollte. Nach einer Anleitung in der Zeitschrift wollte er sich selbst einen Computer bauen - denn ein "fertiger" wäre für jeden "Normalsterblichen" zu jener Zeit einfach unbezahlbar gewesen:

"Anstatt ins Kino zu gehen, sparte ich nun mein Geld und kaufte nach und nach die Teile für den Computer. Dieser Computer lief über unseren alten Fernseher, der natürlich die ganze Familie benutzte. Nachts aber durfte ich ihn als Computer verwenden. So lernte ich BASIC programmieren. Ich tippte viele Seiten Text ein - aber sobald man ihn ausgeschaltet hatte, vergaß der Computer wieder alles, denn es gab noch keine Speichermöglichkeiten. So habe ich all das, was ich tat und lernte, auf ein Tonband überspielt. Ich musste zwar immer noch täglich neu anfangen - aber ich kam schneller weiter. Ich war fasziniert von den Möglichkeiten, das hat mich angespornt."

Affinität zu Innovation

Fast schon erwachsen, kaufte sich Papu einen "richtigen" Computer - einen "Commodore" - und heiratete jene Frau, mit der er heute noch zusammenlebt. Ein Quantensprung. Seine Frau arbeitete als Bedienerin in einer Computerfirma, die wiederum einen Arbeiter in der Logistik-Abteilung suchte. Fortan saß Papu zwischen den Lieferungen in Räumen mit neuen, wunderschönen Computern. In einer anderen Abteilung, in der defekte Geräte repariert und getestet wurden, durfte er bald mithelfen.

"Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ein Betriebssystem gesehen habe. Ich nutzte die tolle Hardware, die vor mir stand, in unerlaubter Weise, schrieb kleine Programme im Hintergrund - was ja ursprünglich gar nicht meine Aufgabe war. Eines Tages erwischte mich die Chefin dabei. Doch anstatt negativ zu reagieren, erlaubte sie mir ab diesem Moment, die Computer nicht nur zu liefern, sondern auch aufzubauen und die Menschen bei technischen Problemen zu unterstützen."

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Branislav Nikolic - Papu: "Die Kunst ist, in Harmonie zu leben"Bild: Privat

Die Firma hieß übrigens "Hard & Soft" und war die erste Apple-Vertretung Österreichs. Einige Jahre danach gründete Papu eine eigene Firma und war damit bis ins Jahr 2000 sehr erfolgreich. Als sein Vater in jenem Jahr starb, beendete er die Arbeit im eigenen Unternehmen - seine Affinität zur Innovation bestand jedoch weiter fort und so begann er im Jahr 2003 ein eigenes Radioprogamm zu senden: "Gipsy Info" (später GipsyTV) sendete Online - zu einer Zeit, als die meisten noch gar nicht wussten, was Streaming ist.

"Ich habe mich gefragt, wie viele Leute im Internet daran interessiert wären, ein Programm zu hören, dass auf Deutsch, Jugoslawisch und Romanes ausgestrahlt wird. Die Menschen haben ganz erstaunlich reagiert. Sie haben begonnen, aus allen Regionen der Welt Bilder an uns zu schicken - von ihren Familien, ihren Kindern, ihren Haustieren, wie sie sich gemeinsam unsere Sendung anschauen und anhören. Im Jahr 2009 haben wir die 10-Millionen-HörerInnen-Marke geknackt. Und mit dem Radiosender aufgehört."

Programme haben eine Seele

Papu erreichte schnell einen gewissen Expertenstatus. Darum wurde ihm Geld von Firmen für sein Wissen angeboten. Doch das lehnte er ab. Er bevorzugte es, sein Wissen kostenlos an jene Menschen weiterzugeben, die es für positive Zwecke nutzen wollten. Das ist für ihn eine Frage der Ethik: 

"Programme haben eine Seele. Ich bin überzeugt davon, dass das Mindset des Programmierers bzw. die wahre Absicht, mit der etwas programmiert wird, sich im Produkt widerspiegelt. Künstliche Intelligenz gibt es eigentlich nicht. Wir nennen das nur so. Sogar sich selbst programmierende Algorithmen greifen letztlich auch auf von Menschen produzierte Daten zu."

Papu betont jedoch, dass die Technologie selbst weder "gut" noch "schlecht" wäre - sondern die Art und Weise, wie wir diese Technologien benutzen.

"Zuletzt habe ich mich gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, herauszufinden, ob Nachrichten 'wahr' oder 'fake' sind, ohne dass Menschen rund um die Uhr recherchieren müssen. Durch die Situation in der Pandemie arbeiten heute viele Menschen daran - und dann wird das sicher möglich. Ob die Menschheit diese Möglichkeiten dann wirklich positiv nutzt, ist damit aber noch nicht geklärt."

Was ist gelebte Demokratie?

Bezüglich der Verantwortlichkeit der Menschheit und der Politik in der Abwägung ethisch-moralischer Aspekte gegenüber dem oftmals kapitalistischen Nutzen einer Sache ist Papu skeptisch:

"Wenn eine Mehrheit der Gesellschaft sich gegen etwas wendet, so müsste es geändert werden, zumindest in der Theorie dessen, was als Demokratie bezeichnet wird. Doch in der Praxis ist dem nicht so. Ein politischer Vertreter entscheidet nicht zwangsläufig im Sinne jener, die ihn gewählt haben - sondern nach seinem eigenen Wissen und Gewissen. Wir sind leider weit entfernt von einer gelebten Demokratie. Wäre Demokratie ein erwachsener Mensch, so wären wir jetzt auf der Entwicklungsstufe eines Kleinkindes."

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Familie Nikolic in Serbien - der kleine Branislav in der BildmitteBild: Privat

Politik war in Papus Leben immer ein präsentes Thema. Geboren 1958 im ehemaligen Jugoslawien (heute Serbien) wuchs er im Banat, in der Vojvodina, auf. Sein Großvater hat im Zweiten Weltkrieg bei Titos Partisanen gekämpft. Er hatte Waffen. Er war Kommunist - so wie später auch sein Vater.

"Mein Vater verschwand abends oft  - es waren Parteitreffen. Wir genossen einen gewissen Schutz gegen den Antiziganismus, bedingt durch unseren Bildungsstatus und die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei."

Von jener Politik, die Roma und Sinti betrifft und sie in seinen Augen somit "thematisch segregiert", hält Papu nicht viel. In einem Video über den Internationalen Roma-Tag - jährlich am 8. April - erklärt er, wie dieser entstanden ist und wofür er eigentlich steht. Seine eigene Haltung dazu:

"Die Menschenrechte sollten für alle Menschen gelten. Solche 'Feiertage' sind für mich persönlich absolut irrelevant. Trotzdem spreche ich im Video darüber, weil ich im Laufe meines Daseins auch gelernt habe, was Aktivismus ist."

Harmonie, Liebe Empathie

Im Jahr 1969 beschloss Papus Vater, mit der Familie nach Österreich zu gehen. In Wien angekommen, passte Papu auf seine zwei jüngeren Geschwister auf, während seine Eltern von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiteten. Dreimal hat er selbstständig versucht, sich an einer Schule anzumelden. Aber die Umstände in der Familie haben den Schulbesuch verhindert.

"Ich habe begonnen, mich selbst zu bilden, so gut es geht - und das tue ich heute noch."

Die eigene Familie hat für den fünffachen Urgroßvater auch heute die höchste Priorität. In seinem Haushalt leben vier Generationen unter einem Dach - seine 81-jährige Mutter, seine Frau und er sowie die Kinder und Kindeskinder:

"Die Kunst ist, in Harmonie zu leben. Wir sind unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Weltvorstellungen. Wir kümmern uns umeinander. Nicht einer um alle - sondern jeder um jeden. Das ist möglich durch Liebe und Empathie."

An diesem Punkt hält Papu kurz inne und ergänzt:

"Ich muss zugeben, dass ich absolut zufrieden bin. Ich muss nichts mehr erreichen oder haben. Ich bin wunschlos glücklich."

Diese innere Balance spüren jene Menschen, die Papu in seinem Technik-Keller besuchen, wo er in den letzten zwei Jahren mit DAB+ Radio (die neueste Evolutionsstufe des digitalen Radios) experimentiert. Viele Menschen kommen zu ihm, fragen ihn um Rat. Eigentlich heißt er Branislav Nikolic, aber alle nennen ihn "Papu" - was in Romanes "Großvater" heißt. Das hat wohl mit seinem Charisma zu tun: einer Mischung aus Ruhe, Weisheit und einem befreienden Humor. So mancher hält ihn deshalb in Kombination mit der Tatsache, dass er Rom ist, für einen spirituellen Wegweiser.

"Ich denke nicht, dass ich spirituell bin. Aus meiner Sicht bin ich Realist. Wenn ich verstanden werden will, muss ich auch versuchen, andere zu verstehen. Ich betrachte die Welt nicht durch den Ego-Schleier, sondern so, wie sie ist. Das Jetzt steht im Mittelpunkt. Es war ein Jetzt, es ist ein Jetzt und es wird immer ein Jetzt sein. Wenn man das wirklich lebt - dann kann man sehr entspannt sein. Manchmal."

Auf romblog.net ist dieses Portrait dreisprachig publiziert: Deutsch, Englisch und Romanes.