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"Rumänien zu früh aufgenommen"

Ralf Bosen13. Juli 2012

Der frühere Parlamentspräsident der Europäischen Union sieht in Rumänien europäische Prinzipien gefährdet. Angesichts der Euro-Krise schaut Hans-Gert Pöttering im DW-Interview auch über die Grenzen der EU hinaus.

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Hans-Gert Hermann Pöttering (geboren am 15. September 1945 im niedersächsischen Bersenbrück) ist CDU-Mitglied und war von 2007 bis 2009 der 23. Präsident des Europäischen Parlaments. Seit der ersten Direktwahl 1979 ist er Mitglied des EU-Parlaments. Von 1999 bis 2007 amtierte er als Fraktionschef der christlich konservativen Europäischen Volkspartei. Seit Anfang Dezember 2009 ist Pöttering Vorsitzender der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung; Copyright KAS
Hans-Gert PötteringBild: KAS

Deutsche Welle: Herr Pöttering, Sie gehören zu den erfahrensten Politiker der Europäischen Union und haben schon einige Konflikte erlebt. Wie groß sind jetzt Ihre Bauchschmerzen angesichts der Krise um den Euro?

Hans-Gert Pöttering: Natürlich befinden wir uns in einer schwierigen Phase mit gewaltigen Herausforderungen, aber in anderer Weise hat es diese Herausforderungen in der europäischen Einigungspolitik immer gegeben. Ich bin zuversichtlich, dass diese Herausforderungen bewältigt werden, weil Deutschland, vertreten durch Bundeskanzlerin Angela Merkel, einen entschlossenen Beitrag leistet. Die europäischen Institutionen gehen diesen Weg so, dass ich, ohne die Dinge zu rosig beschreiben zu wollen, zuversichtlich bin.

Noch mal nachgehakt: Früher stand Europa für Wohlstand und Fortschritt, heute steht es immer mehr für Sorgen bis zu Existenzängsten. Ist die EU in ihren Grundfesten erschüttert?

Ich glaube nicht, dass die Europäische Union erschüttert ist. In der öffentlichen Diskussion werden die Dinge oft dramatischer dargestellt, als sie sind. Wenn wir mal nach Amerika schauen, in die Vereinigten Staaten, dann sehen wir, wie es dort eine große Auseinandersetzung gibt. Beispielsweise über die Gesundheitsreform. Man hat den Eindruck, dass sich die politischen Wettbewerber in der amerikanischen Gesellschaft nicht im Wettbewerb befinden, sondern sich als Gegner, teilweise gar als Feinde sehen. Oder schauen wir nach China, wo es gewaltige Konflikte in der Gesellschaft gibt, weil Menschenrechte verletzt werden.

Bundeskanzlerin Merkel und drei andre Politiker debattieren an einem runden Tisch (Foto: EP)
Vierergipfel in Rom: Riesige Herausforderungen für die PolitikBild: picture-alliance/dpa

Wenn wir also über den Rand der Europäischen Union hinausschauen, dann relativiert sich vieles und wir erkennen, dass wir in der Europäischen Union zwar nicht in einem Paradies, aber doch in einer Gemeinschaft leben, die alles in allem vorbildlicher ist als die meisten Teile der Welt. Vor etwa einem Jahr hat mit eine sehr maßgebliche Persönlichkeit in Russland gesagt: Eure Probleme in der EU, die möchten wir gerne haben. Wir haben in Russland sehr viel größere Probleme und ihr kriegt das mit dem Euro schon irgendwie hin. Ich glaube, dass dieser Betrachter aus Russland Recht hat.

Aber man muss man doch die Sorgen in Europa ernst nehmen?! Bei vielen Bürgern wachsen nämlich die grundsätzlichen Zweifel an einem Zusammenwachsen Europas. Trotzdem werben wichtige Europapolitiker für eine Politische Union. Regiert die Politik an den Menschen vorbei?

Natürlich kann man immer noch mehr tun. Wir haben alle gemeinsam eine große Verantwortung, den Bürgern die nationale Politik, aber natürlich auch die Europapolitik, deutlich zu machen. Aber die Menschen müssen auch bereit sein, die Informationen aufzunehmen und man darf das nicht nur einigen wenigen überlassen. Nicht nur die Politiker, sondern auch die Medien haben eine große Verantwortung. Wir sollten gemeinsam und in Kenntnis der tragischen europäischen Geschichte die Europapolitik den Menschen näher bringen.

Demonstranten marschieren durch die Straßen Valencias (Foto: REUTERS)
Proteste in Spanien wegen der Sparmaßnahmen zur FinanzkriseBild: Reuters

In der EU nimmt allerdings nicht nur der wirtschaftliche, sondern auch der politische Druck zu. So hat Brüssel Differenzen mit Rumänien und Ungarn. In beiden Fällen kritisiert die EU einen Mangel im demokratischen Umgang, wenn auch von unterschiedlicher Qualität. Sind diese Vorfälle Zeichen dafür, dass Europa Gefahr läuft, auch politisch auseinanderzuklaffen?

Das ist eine sehr wichtige Frage, weil sie deutlich macht, dass es in der EU keine isolierte nationale Politik mehr gibt. Wenn in Rumänien wichtige rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden, dann ist es Recht und Pflicht der Staaten, der Völker, der Politiker in der Europäischen Union, sich einzumischen. Das Prinzip der Nichteinmischung kann nicht mehr gelten. Jeder Staat, jedes Land, jedes Volk ist den Prinzipien, die uns verbinden, wie der Würde des Menschen, den Menschenrechten, der Demokratie, der Rechtsordnung, der Freiheit und dem Frieden verpflichtet.

Wenn wir zulassen, dass diese Prinzipien verletzt werden, dann sägen wir an den Grundlagen der Europäischen Union. Das historisch Neue der Europäischen Union ist, dass wir eine Rechtsgemeinschaft sind. Das Recht hat die Macht und nicht die Macht hat Recht, wie es früher in der Geschichte Europas die Regel war und was zu den Kriegen geführt hat. Heute haben wir eine Rechtsordnung, die wir mit allen rechtsstaatlichen, demokratischen und freiheitlichen Mitteln verteidigen müssen.

Foto vom Plenum des runänischen Parlaments (Foto:AP/dapd)
Zu früh in der EU? Das rumänische Parlament in BukarestBild: AP

Und diese Prinzipien werden durch die EU-Erweiterung verbreitet. Können Sie dennoch Forderungen verstehen, die Erweiterung der Europäischen Union angesichts der angesprochenen Probleme erstmal auf Eis zu legen?

Ich würde nicht so weit gehen und sagen, auf Eis legen, aber man soll aus den Erfahrungen in Rumänien lernen. Rumänien ist ganz offensichtlich zu früh Mitglied der Europäischen Union geworden. Wir wollen Rumänien nicht ausschließen, weil es zur europäischen Familie dazugehört. Aber wir sollten künftig nur Länder in die Europäische Union aufnehmen, von denen wir sicher sind, dass sie die Prinzipien der Europäischen Union respektieren. Nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Wirklichkeit. Insofern kann das Beispiel Rumänien uns lehren, in der Zukunft mit der immer weiteren Erweiterung der Europäischen Union etwas zurückhaltender zu sein.