OSZE-Gipfel
29. November 2010Kasachstan, das den diesjährigen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa inne hat, ist Gastgeber des ersten OSZE-Gipfels seit 11 Jahren. Der letzte hatte 1999 in Istanbul stattgefunden. Ausgerechnet während des kasachischen Vorsitzes kam es zu den schwersten ethnischen Unruhen in Zentralasien seit Jahren.
Bei Zusammenstößen im Juni (2010) zwischen ethnischen Kirgisen und Usbeken im Süden Kirgisistans gab es Hunderte Tote und Verletzte. Hunderttausende flüchteten in andere Landesteile oder nach Usbekistan. Nach den Unruhen beschloss die OSZE, Beobachter in den Süden Kirgisistans zu entsenden und eine internationale Kommission zur Untersuchung der Ereignisse zu bilden, die erst im September ihr Arbeit aufnahm.
Folge sowjetischer Nationalitätenpolitik
Natalia Charitonowa von der Moskauer Staatlichen Universität sieht in Zentralasien nach wie vor Potential für ethnische Konflikte. Das gelte vor allem für das Ferghana-Tal, der am dichtesten besiedelten Region Zentralasiens. Verschiedene Religionen und Weltanschauungen würden dort aufeinanderprallen. "Wir haben hier Konflikte zwischen Usbeken und Kirgisen, zwischen Kirgisen und Tadschiken und zwischen Tadschiken und Usbeken", so die Expertin.
Dies sei eine Folge der Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion. Die Grenzziehung habe schon damals nicht mit den ethnischen Siedlungsgebieten übereingestimmt. Durch das Tal verlaufen die Staatsgrenzen Tadschikistans, Usbekistans und Kirgisistans.
Charitonowa ist überzeugt, dass die ethnischen Konflikte aber auch auf soziale und wirtschaftliche Gründe haben. "Beispielsweise sind die ethnischen Spannungen in Kasachstan aufgrund des höheren Lebensstandards geringer", so die Expertin im Gespräch mit der Deutschen Welle. Kasachstan sei allerdings auch zu einer ausgewogenen Nationalitätenpolitik gezwungen, da die ethnischen Kasachen nur rund die Hälfte der 16,4 Millionen Einwohner des Landes stellen würden. Die größten Minderheiten sind Russen, Ukrainer und Belarussen. Die slawische Bevölkerung erreicht einen Anteil von insgesamt 30 Prozent.
Wirtschaftliche und soziale Konflikte
Ethnische Konflikte seien aber nur eines von mehreren größeren Konfliktpotentialen in Zentralasien, sagte der Deutschen Welle der Leiter der Eurasian Transition Group, Michael Laubsch. "Das zweite Konfliktpotential, was eigentlich alle Staaten in Zentralasien betrifft, ist die Wasserproblematik, weil einige Staaten sehr viel Wasser, andere wiederum überhaupt kein Wasser haben", so der Zentralasienexperte.
Konfliktpotential biete zudem der Drogenhandel aus Afghanistan, der über Zentralasien, Russland bis nach Westeuropa reiche. "Das vierte Konfliktpotential ist sicherlich die soziale Schieflage in den Ländern Zentralasiens", erläuterte Laubsch. Einige Länder – Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan - seien inzwischen aufgrund ihrer Öl- und Gasexporte wohlhabender als deren Nachbarn Kirgisistan und Tadschikistan. "Das bringt ein sehr starkes Konfliktpotential unter den Völkern in Zentralasien mit sich."
Keine klare Entscheidungsstruktur
Bei den ethnische Unruhen in Kirgisistan habe die OSZE, so Laubsch, kein gutes Beispiel abgegeben. "Sie war eigentlich während und auch kurz nach den blutigen Unruhen in Kirgisistan nicht in der Lage, schnell darauf zu reagieren, das Massaker zu unterbinden und die Situation unter Kontrolle zu bringen." Es sei aber auch schwierig, von einer Organisation mit 56 Mitgliedstaaten eine klare Entscheidungsstruktur zu verlangen. "Hier besteht die Gefahr, dass durch ein konsensuales System sich die Organisation auch selber machtlos macht", betonte der Experte. Die OSZE könne nicht schnell eingreifen, weil die Interessen der Mitgliedstaaten nicht deckungsgleich seien.
Autor: Vitali Volkov / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Gero Rueter