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Ostdeutschland: Lehrkräfte weichen vor Anfeindungen

14. Juli 2023

Vorfälle an einer Schule im Spreewald in Brandenburg werfen ein Schlaglicht auf rechtsradikales oder rechtsextremes Milieu. Die Politik zeigt sich bestürzt und ruft dazu auf, vor Hass nicht zurückzuweichen.

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Brandenburg Bildung l Zwei Brandbrief-Lehrer aus Burg wollen Schule verlassen l Ausschnitt eng
Lehrkräfte Teske und Nickel bei einer Demo in Cottbus (im Mai)Bild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Ganz genau darf Max Teske gar nicht sagen, wie die von ihm angeprangerten rechtsextremen Vorfälle an seiner bisherigen Schule in Burg im Spreewald aussahen. Das Schulamt, berichtet er der Deutschen Welle, habe ihm und seiner Kollegin Laura Nickel das untersagt. Es handele sich um "dienstinterne" Vorgänge.

Aber dann schildert Teske Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen, die an anderen Schulen im ostdeutschen Bundesland Brandenburg unterrichten und mit denen er sich austauscht. Worüber sie berichten? "Ganz ähnliche Vorfälle, wie sie in Burg stattgefunden haben", sagt Teske, "also über Hitlergrüße, über Schmierereien, über Sexismus, Homophobie. Das sind Themen, die alle Schulen betreffen." Teske und Nickel haben nun angekündigt, ihre Schule in Burg zu verlassen. 

Rechtsextremismus an Schulen in Ostdeutschland

Die beiden Lehrkräfte hatten vor rund drei Monaten in einem als anonyme Mail versandten "Brandbrief" rechtsextreme Vorfälle an ihrer Schule in Burg im Spreewald beklagt, einem Ort gut 80 Kilometer südöstlich von Berlin gelegen. Seitdem erlebten die beiden nach Aussage von Teske persönliche Anfeindungen und Drohungen.

Wie die ARD berichtet, zeigten zuletzt Aufkleber im Umfeld ihrer Schule Fotos der beiden und forderten sie auf, die Schule zu verlassen. "‘pisst Euch nach Berl*in", stand da. Die beiden seien, sagt Teske, "im Austausch mit dem Staatsschutz"; der sich in Deutschland mit politisch motivierter Kriminalität befasst.

Hohe AfD-Wahlergebnisse

Burg im Spreewald - für viele Deutsche, nicht nur für Berliner, steht der Ort für eine Urlaubsregion vor ihrer Haustür, Natur, entlegene Idylle. Politisch fällt die Region aber auf. Wahlergebnisse und Umfragen verdeutlichen das. Bei der jüngsten Landtagswahl in Brandenburg 2019 wurde die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) in Burg mit 28 Prozent die stärkste Partei. Die Region vermeldete deutlich höhere AfD-Zahlen als im Landesdurchschnitt.

Umfragehoch für die AfD hält an

Bei der Bundestagswahl 2021 entfielen in Burg 32,2 Prozent der Erststimmen (die den konkreten Kandidaten gelten) und 30,4 Prozent der Zweitstimmen (die den Parteien gelten) auf die AfD. Auch jüngere Umfrage-Ergebnisse weisen in die Richtung. Das Bundesamt für Verfassungsschutz als deutscher Inlandsgeheimdienst stuft Teile der AfD als rechtsextremistisch ein und bewertet die gesamte Partei als "Verdachtsfall". Im Osten Deutschlands, in dem die AfD überdurchschnittlich stark ist, belegen jüngere Studien weit verbreiteten Rassismus.

Bestürzung in der Politik

Es herrscht Bestürzung in der Politik. Nicht nur im Bundesland Brandenburg, sondern auch auf großer Bühne im politischen Berlin. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich "besorgt" über die Entwicklungen an der Schule in Burg. "Wir müssen alles tun für diejenigen, die sich Populismus und Extremismus entgegenstellen und für Toleranz und Demokratie in dieser Gesellschaft eintreten", ließ er verlauten: Er werde dafür kämpfen, "dass Demokratie in diesem Land nicht verliert!"

Zwei Brandbrief-Lehrer aus Burg wollen Schule verlassen
Burg im Spreewald im Osten DeutschlandsBild: Patrick Pleul/dpa

Auffallend ist die politische Bewertung nach der Ankündigung der beiden Lehrkräfte in dem Bundesland selbst. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bekräftigt: "In Brandenburg darf es keinen Ort geben, in denen Rechte Ängste schüren und Andersdenkende vertreiben wollen."

Landesbildungsminister Steffen Freiberg, gleichfalls Sozialdemokrat, spricht in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" von "gesellschaftlichen Entwicklungen", die "an der Institution Schule nicht vorbeigehen". Er sieht ein "Knäuel an Konflikten" in der Schule in Burg.

Aber Freiberg äußert auch Kritik an Teske und Nickel. Deren Klage über mangelnde Unterstützung durch die Schulbehörde könne er "nicht nachvollziehen". Er würde das Vorgehen der beiden "zur Nachahmung nicht unbedingt empfehlen". Damit meint Freiberg das erste - anonyme - Schreiben vom April 2023.

Sorge um die Anstellung

Auch da gilt: Teske hält sich im DW-Interview zum Verhalten der zuständigen Schulbehörde zurück. Er dürfe sich da nicht konkret äußern, sonst könne das rechtliche Auswirkungen auf sein Arbeitsverhältnis haben, sagt er.

Deutschland Cottbus | Demonstration vor dem Schulamt nach Brandbrief zum Thema Rechtsextremismus
Im Mai gab es nach dem "Brandbrief" der beiden eine Demonstration in CottbusBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Aber der Lehrer benennt konkret, was sich gesellschaftlich ändern müsse in der Region. "Die Zivilgesellschaft muss einen gemeinsamen Konsens finden, wie sie mit dem Thema umgeht", mahnt er. Und demokratiefördernde Projekte müssten stärker im Fokus von Schule stehen. "In der Schule muss Demokratie gefördert werden. In der Schule müssen die Menschen gestärkt werden, die sich für demokratische Werte einsetzen", so der Pädagoge.

Nach den Sommerferien werden Teske und Nickel woanders unterrichten. Sie gehen. "Natürlich auch aus Eigenschutz", sagt Teske und verweist auf tagtägliche Bedrohungen in Schulnähe, aber auch in Wohnortnähe. Es gehe ihm auch um Verantwortung für die konkrete Schule: "Ich denke, dass auch die Schülerinnen und die Lehrkräfte etwas mehr Ruhe brauchen, um gewisse Situationen zum Teil verarbeiten zu können".

Die AfD zufrieden

Ein "linksradikaler Denunziant" und dessen "Genossin" seien weg, verkündete derweil der Cottbuser AfD-Kreisvorsitzende Jean-Pascal Hohm. Und: "Bürgerliches Engagement wirkt." Er schrieb auch: "Es gibt kein Rechtsextremismus-Problem an Brandenburgs Schulen."

An Brandenburgs Schulen haben nun die Sommerferien begonnen. Ende August wird der Schulalltag wieder ernst. Politisch bleibt es unterdessen ebenfalls ernst. Im September 2024 stehen in Brandenburg die Landtagswahlen an.

Mitarbeit: Nicolas Heintz