Die Rolle der Psyche bei Transplantationen
16. Januar 2020Alle ab 16 Jahren sollen grundsätzlich als Spender registriert werden. So sieht es zumindest ein parteiübergreifender Gesetzentwurf vor. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und eine Gruppe weiterer Abgeordneter schlagen darin eine Widerspruchslösung vor, wonach jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, Organspender ist. Am 16.1.2020 wird der Bundestag voraussichtlich darüber abstimmen.
Eine zweite Abgeordnetengruppe lehnt eine solche Widerspruchsregelung ab. Sie wollen stattdessen einen Gesetzentwurf vorlegen, der die bestehende Zustimmungsregelung stärkt. Sie schlagen ein bundesweites Online-Register für freiwillige Erklärungen zur Organ- und Gewebespende vor.
Seit Jahren herrscht in Deutschland ein Mangel an Spenderorganen. Derzeit stehen rund 9400 Patienten auf den Wartelisten für eine Organtransplantation. Aber nur 955 Menschen spendeten im vergangenen Jahr nach ihrem Tod ihre Organe für schwerkranke Patienten.
Psychische Belastung
Bei jeder Transplantation spielt auch die eine entscheidende Rolle. Denn auch wenn ein neues Herz, eine Niere oder auch eine Lunge erfolgreich transplantiert wurden, bleiben Fragen:
Wem hat das Herz gehört, das jetzt in meiner Brust schlägt und mich am Leben hält? Kann es sein, dass sich Charakterzüge des Verstorbenen oder Erinnerungen auf mich übertragen? Solche Gedanken hätten viele Transplantierte, so Katharina Tigges-Limmer, Leiterin der medizinisch-psychologischen Abteilung im Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen. Patienten mit einem fremden Herzen sind sich darüber im Klaren, dass es das Herz eines Verstorbenen ist. "Das neue Glück oder das neue Kapitel meines Lebens fußt auf dem Tod", so die Diplom-Psychologin zu den Gedanken, die viele Patienten mit ihr teilen. "Die psychosomatische Bedeutung des Herzens ist eine andere als bei anderen Organen und bedeutet eine höhere psychosomatische Last", sagt Tigges-Limmer.
Die Angst als ständiger Begleiter
'Hoffentlich kommt das Herz rechtzeitig. Schaffe ich es bis zur Herztransplantation? Hoffentlich klappt alles, und es geht nichts schief.' Die lange Wartezeit von oftmals mehreren Monaten zehrt an den Nerven. Die Gedanken und Ängste der Patienten ähnelten einander, sagt Tigges-Limmer: "Ich bin wochenlang von zuhause weg. Es muss doch alles weiterlaufen. Wie wird es meinen Kindern in dieser Zeit gehen?" Diese und andere Fragen bestimmen vor der Operation meist das Leben der Patienten. Und auch die Ungewissheit ist immer da.
Am größten sei die Belastung vor der Operation, erklärt die Psychologin. Dann ist das Spannungsfeld besonders groß. Unmittelbar nach der Operation halten die Belastungen noch an. Nun gibt es neue, angstbesetzte Aspekte, die in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken."Wir bieten es dem Patienten an, eine Begrüßungstrance zu seinem Herzen zu machen, damit es nicht nur somatisch gut angenommen wird. Patienten möchten oft eine emotionale Bindung zum neuen Herzen aufnehmen."
Der Patient hat ein neues Organ. Es funktioniert, die Ärzte sind zufrieden. Aber es kommen andere Ängste: 'Nimmt mein Köper das neue Herz an oder stößt er es ab? Da ist für die meisten Transplantierten eine individuelle Behandlung durch Therapeuten nötig. Denn als Nebenwirkung kann es durchaus zu Depressionen kommen. Das gilt nicht nur für Herztransplantationen, von denen in Deutschland 316 im Jahr 2018 durchgeführt wurden.
Operation geglückt, Patient depressiv
Eine geglückte Operation bedeutet nicht, dass es auch der Psyche gut geht. "Die Patienten sind trotz Transplantation chronisch krank und müssen nach der Transplantation alles tun, damit der Körper das Organ nicht abstößt", erklärt Martina de Zwaan. Sie ist Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Das trifft auf Herztransplantationen genauso zu wie etwa auf eine transplantierte Lunge oder Niere. Depressionen haben auf das Ergebnis einen großen Einfluss.
Nach einer Transplantation ändere sich auch biologisch einiges, so de Zwaan. "Untersuchungen zeigen, wenn die Depression stark bleibt oder eine depressive Verstimmung hinzukommt, die nicht behandelt wird, dann ist das Risiko für die Abstoßung höher." Und, fügt de Zwaan hinzu, nach der Operation sei der Transplantierte nicht gesund. "Er ist weiterhin chronisch krank, muss regelmäßig und diszipliniert Medikamente einnehmen." Das sind vor allem Immunsuppressiva. Sie sollen eine Abstoßung verhindern.
Ein Bündnis auf Lebenszeit
Am häufigsten werden Nieren transplantiert, mehr als 1.360 Nieren waren es 2017. Bis zur Operation bekommt der Patient meist eine sogenannte Nieren-Ersatztherapie. Das heißt: Dialyse. Im schlimmsten Fall warten diese Menschen bis zu zehn Jahre auf das rettende Organ. Nach der Niere werden am häufigsten Leber, Herz und Lunge transplantiert.
Ein Drittel aller Nierentransplantate sind Lebendspenden. Die Patienten müssen dann meist nicht so lange warten. Einige bekommen die Niere sogar schon bevor sie überhaupt an die Dialyse müssen.
In jedem Fall aber gibt es Auflagen – auch für den Spender. "Das Fehlen einer Niere hat natürlich Einfluss auf den Körper. Die Spender müssen sehr gut ausgesucht werden", erklärt de Zwaan. Man wolle natürlich einem gesunden Menschen nicht schaden und das Risiko für Nebenwirkungen möglichst gering halten.
"Sie werden keinen jungen Mann nehmen, der 25 Jahre alt ist und einen körperlich anstrengenden Beruf hat oder eine Frau von 25 Jahren, die noch die Familienplanung vor sich hat. Wenn man nur eine Niere hat, erhöht es das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen", so de Zwaan.
Der Spender muss körperlich sehr fit sein. Und es kommen nur Spender infrage, die den Empfänger gut kennen. Man muss eine enge emotionale Verbindung haben. "Die meisten Spender bei uns sind entweder Eltern, die für ihre Kinder spenden, oder Ehepartner", sagt de Zwaan. Aber auch dabei kann es zu Problemen kommen, und die sind vor allem psychischer Natur: "Zwei Partner trennen sich und der eine hat die Niere vom anderen. Oder jemand spendet seinem Kind eine Niere, und das Organ wird abgestoßen", beschreibt de Zwaan mögliche Situationen. Wenn es dem Empfänger schlecht geht, geht es meist auch dem Spender schlecht. Aber die meisten Spender würden wieder ein Organ zur Verfügung stellen. Bei einer Untersuchung mit 400 Spendern gaben über 90 Prozent an, dass sie wieder spenden würden.
Abschied von der zweiten "Familie"
Nach einer Transplantation gibt es oftmals zunächst eine Art "Honeymoon-Phase", etwa bei einer neuen Niere. Dreimal in der Woche Dialyse, über viele Jahre, und plötzlich sind die Patienten frei beweglich. Allerdings entwickeln sich in dieser Zeit Bindungen. Schließlich kennen die Patienten den Arzt und die anderen Betroffenen. "Wenn man das über Jahre macht, dann entsteht so etwas wie Familie.
Derjenige, der jetzt transplantiert wird und bei dem alles gut läuft – derjenige braucht die Dialyse nicht mehr. Was das Leben in den letzten Jahren ausgemacht hat, und an das sich derjenige angepasst hat, ist plötzlich weg. Bei manchen Patienten entsteht eine Leere", sagt de Zwaan. Einige kämen noch lange zu Besuch. Es sei eben eine völlige Umstellung des eigenen Lebens. Eine psychosoziale Betreuung solle daher als Teil der Vor- und Nachsorge für Empfänger und Spender angeboten werden.