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Organspende

Peter Hummel / Gudrun Heise24. Mai 2013

Weltweit gibt es zu wenige Spenderorgane. Ob und wie jemand an ein rettendes Organ kommt, hängt daher oft auch vom Geldbeutel ab.

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Organhandel in Pakistan (Foto:Olivier Matthys/EPA dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wiru ist 13 Jahre alt und lebt in einem kleinen Dorf in Indien. Dort, drei Stunden südlich von Delhi, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man als Kind gekauft wird. 2500 Rupien hat Wiru gekostet, etwa 38 Euro. Er arbeitet in einer Fabrik und klebt gefälschte Gucci-Taschen zusammen. 200 pro Tag muss er schaffen, sonst bekommt er Ärger mit seinem Besitzer.

"Wenn ich groß bin, werde ich reich", sagt Wiru. "Dann verkaufe ich eine meiner Nieren und muss nicht mehr hier arbeiten." Sein Vater, den er seit vier Jahren nicht mehr gesehen hat, habe das auch so gemacht.

Tatsächlich hat sich in den Slums der großen Städte in Indien herumgesprochen, dass es eine Möglichkeit gibt, der Armut zu entrinnen. Rund 55.000 Rupien, etwa 800 Euro, ist eine Niere auf dem Schwarzmarkt wert, für viele Inder ein Vermögen.

Zwar hat das Land den Handel mit menschlichen Organen untersagt und vor einigen Jahren wurde das Strafmaß von zwei auf fünf Jahre Gefängnis erhöht - aber eine abschreckende Wirkung hat das kaum. Das Geschäft ist zu lukrativ und das Risiko, erwischt zu werden, nicht groß. Zumal sich der Spender nur als Freund des Empfängers ausgeben und das Geld, das er bekommt, als Geschenk deklarieren muss. Insofern ist die Befragung durch eine offizielle Regierungskommission zu den Motiven der Spende meist nur eine Farce.

Organe als Wirtschaftsfaktor

Schon im Jahr 2003 wies die Anthropologin Nancy Scheper-Hughes in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" darauf hin, dass sich der Transplantationstourismus in den armen Ländern zu einem regelrechten Wirtschaftsfaktor entwickle und immer und überall in die gleiche Richtung gehe: von Süden nach Norden, von Osten nach Westen, von arm nach reich, von dunkler Hautfarbe zu heller.

Eine indische oder eine afrikanische Niere kostet etwa 1000 US-Dollar, eine Niere aus Rumänien oder Moldawien etwa 2700 Dollar, eine türkische Niere bis zu 10.000 Dollar. In den USA können Nierenhändler 30.000 Dollar an einer Transaktion verdienen - manchmal sogar das Zehnfache.

Spenderniere während der Transplantation (Foto: Jan-Peter Kasper, dpa)
Eine Niere kostet in Indien und Afrika nur etwa 1000 US-Dollar.Bild: picture-alliance/dpa

Im Jahr 2011 seien weltweit rund 110.000 Organe transplantiert worden, davon 76.000 Nieren, berichtet der Arzt Luc Noel der DW. Er ist bei der Weltgesundheitsorganisation WHO zuständig für die Produktsicherheit von menschlichen Transplantaten.

"Seit 2006 hat sich die Zahl der illegalen Organtransplantationen offensichtlich verringert, denn seitdem haben viele Länder entsprechende Gesetze verabschiedet", erklärt Noel. In einigen Ländern aber, darunter Pakistan und Ägypten, sei der Schwarzmarkt jetzt vollständig in den Untergrund abgewandert. "Wir schätzen, dass bezahlte Organtransplantationen oder solche, die außerhalb etablierter, kontrollierter Strukturen stattfinden, vielleicht zehn Prozent aller Organtransplantationen ausmachen."

Die Armen bleiben auf der Strecke

Der Handel mit Organen, das skrupellose Ausnutzen von Hoffnung auf der einen und Ausweglosigkeit auf der anderen Seite, ist ein Milliardengeschäft.

Die Organisation "Organs Watch" beschreibt den typischen Empfänger zum Beispiel in den USA, in Israel, Saudi-Arabien oder Australien als 48,1 Jahre alt, männlich, Jahreseinkommen 53.000 US-Dollar. Der typische Spender kommt aus Indien, China, Moldawien oder Brasilien, ist 28,9 Jahre alt, männlich und hat ein Jahreseinkommen von 480 Dollar.

Ärzte jetten durch die Welt und verpflanzen überall dort Organe, wo dies ohne große Kontrolle möglich ist. Wenn schließlich ein Krankenhaus irgendwo in Südafrika oder Brasilien nach einigen Tagen auffliegt, weichen die Chirurgen in das nächste Land aus. Derzeit sind vor allem Kliniken auf Zypern und in Kasachstan beliebt.

Ärzte verpflanzen eine Niere. (Foto: Jan-Peter Kasper, dpa)
Ärzte verpflanzen weltweit Organe, auch aus dem Organhandel.Bild: picture-alliance/dpa

Bedingung: freiwillig und unentgeltlich

Die WHO-Resolution SHA63.22 aus dem Jahr 2010 enthält elf Grundsätze über die Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit von Organspenden. Schon drei Jahre zuvor hatten 150 Experten und Regierungsvertreter aus der ganzen Welt die Istanbuler Erklärung gegen Organhandel und Transplantationstourismus verabschiedet. Auch der Europarat und der Weltärztebund ächten den Handel mit Organen.

In Deutschland werden entsprechende Vergehen nach dem Transplantationsgesetz mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet, auch für den Empfänger. Dies gilt auch, wenn die Verpflanzung im Ausland stattgefunden hat. Lebendspenden sind nur erlaubt, wenn sie freiwillig sind und die betroffenen Personen in einer engen verwandtschaftlichen und/oder emotionalen Beziehung zueinander stehen, heißt es bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Organspenden in Deutschland

In Deutschland warten derzeit rund 8000 Patienten auf eine neue Niere. Die Vergabe von Organen läuft in Deutschland und sechs anderen europäischen Ländern über die Stiftung Eurotransplant.

Im niederländischen Leiden, dem Hauptsitz von Eurotransplant, steht die Empfängerkartei mit allen notwendigen Daten. Dort werden auch die Wartelisten erstellt. Anhand von Laboruntersuchungen wird für jeden potenziellen Empfänger ein Wert ermittelt, der darüber entscheidet, auf welchem Platz er landet. Steht beispielsweise eine Niere zur Verfügung, wird in Leiden computergesteuert ein Empfänger gesucht.

Mitglieder der Organisation sind neben Deutschland noch Österreich, Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Kroatien und Slowenien. Kooperationswerke wie Eurotransplant funktionieren vor allem unter benachbarten Ländern gut, denn der Erfolg einer Transplantation hängt auch davon ab, wie schnell ein Organ zum Empfänger gelangt.

Erfolgreiche Zusammenschlüsse, die über Ländergrenzen hinweg kooperieren, so Luc Noel, sind in der Regel nicht über die Politik entstanden, sondern über die Mediziner. "Die Ärzte haben erkannt, dass die Wahrscheinlichkeit, das richtige Organ für den richtigen Patienten zu finden, viel größer ist, wenn es einen großen Pool an Organen gibt."

Organhandel: zulassen oder verhindern?

Laut Experten braucht es weltweit mehr Lebendspender: Selbst wenn sich jeder in Deutschland bereit erklärte, nach seinem Tod seine Organe zur Verfügung zu stellen, gäbe es vermutlich immer noch eine Versorgungslücke.

Friedrich Breyer, Gesundheitsökonom an der Universität Konstanz, forderte in einem Zeitungsartikel den Gesetzgeber dazu auf, einen regulierten Organmarkt zuzulassen. Nur so lasse sich das knappe Angebot an Spendernieren erhöhen. "Der freie Markt schafft nicht nur Arbeitsplätze und Wohlstand", so Breyer, "er kann auch Leben retten." Er hält ein solches System sogar für eine moralische Pflicht.

Günter Kirste, ehemaliger medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, sieht das anders: "Der Organhandel ist eine ganz schlimme Form der Ausbeutung von armen Menschen, vor allem in der Dritten Welt. Es gibt tausende von Menschen, die in Pakistan oder den Philippinen ihre Nieren gespendet haben und denen es ganz miserabel geht."

Wiru, dem indischen Jungen, der gefälschte Gucci-Taschen klebt, ist das egal. Er sagt: "Ich möchte mir mit dem Geld, das sie mir geben, ein Haus bauen und nicht mehr arbeiten müssen." Er weiß noch nicht, dass dieser Traum unrealistisch ist. Und möglicherweise auch lebensbedrohend.

Aktualisierter Artikel vom 16.08.2012