Opera Piccola
„Oper für Kinder. Oper mit Kindern.“: Das ist das Motto vieler deutscher Opernhäuser. Mit besonderen Produktionen für und mit Kindern wollen sie junge Menschen spielerisch für diese Musikgattung begeistern.
Die erste Kinderoper in Deutschland wurde im Jahr 1996 aus der Taufe gehoben – in Köln. Weitere Städte wie Dortmund und Hamburg folgten. Das Hamburger Opernhaus startete 2001 die Kinderopernreihe „Opera Piccola“. Hier sind Kinder nicht nur Zuschauer, sie machen auch mit. Grundlage sind meist keine Theaterstücke für Erwachsene, sondern Märchen wie „Aschenputtel/Cinderella“ und die „Schneekönigin“ oder Kinder- und Jugendromane wie „Oliver Twist“ oder der „Räuber Hotzenplotz“. Eine Oper ist ein Theaterstück mit Musik. Der Begriff ist eine Verkürzung des aus dem Italienischen kommenden „Opera musica“, was übersetzt „musikalisches Werk“ bedeutet. „Opera piccola“ kommt ebenfalls aus dem Italienischen und heißt soviel wie „kleine Oper“. In jeder Spielzeit wird ein neues Stück geprobt und aufgeführt. Die Spielzeit einer Oper dauert in der Regel von September/Oktober bis Ende Juni/Anfang Juli. Die Produktion eines Stücks erfordert einige Zeit der Vorbereitung. Für die Schneekönigin nach dem Märchen von Hans Christian Andersen wurde gemeinsam mit Künstlern der Hamburger Staatsoper etwa ein halbes Jahr geprobt. Vor dem Auftritt müssen die jungen Stimmen – wie es umgangssprachlich heißt – „geölt“ werden:
„Antoine, hast du Lust? Ja? Tiefes Einatmen durch die Nase …“
Dirigent Benjamin Gordon sitzt am Flügel, die jungen Sänger stehen daneben. Sie singen sich ein, bevor es gleich auf die Bühne geht. Das Einsingen – also bestimmte Töne summen und singen, um die Stimmbänder aufzuwärmen – sowie Atemübungen sind wichtig. Und wie fühlen sich die Kinder so kurz vor dem Auftritt?
„Wir sind gleich Spielgefährte und gleich geht’s los. Aufregung, meine ganze Klasse ist da. / Ich spiele einen Vogel und die Räuberstochter. Ich bin jetzt das dritte Mal dabei. / Ich bin eine Schneeflocke, ich bin ein Vogel, ich bin ein Teufel und ein Diener. / Blume, also, ja Blume macht mir am meisten Spaß. Wir, also da tanzen wir auch und so, tanzen wir, spielen wir, singen wir. / Ich spiel Gerda, eine der Hauptrollen. / Ich mach am Anfang die Schneeflocken, danach kommen die Vögel. Das ist dann ganz lustig, danach kommt die Blume und dann wieder die Schneeflocken. Also, da kommt jedes Kind ganz oft dran.“
In der Schneekönigin spielen manche Kinder nur eine Rolle, einige Kinder verkörpern aber gleich zwei oder mehr Figuren. Sie kommen ganz oft dran – so wie das eine Kind sagt –, wenn es die Schneeflocken spielt. Eine der Hauptrollen – und gleichzeitig die einzige Erwachsenenrolle – singt Sara-Maria. Sie hat Gesang studiert und ist froh über die Chance, in der Schneekönigin aufzutreten. Sie war bereits bei der ersten Aufführung der „Opera Piccola“ dabei. Davor spielte sie Kinderrollen an der Hamburger Staatsoper:
„An der Staatsoper wird man auch respektiert, aber man ist das Kind, man spielt ’ne Kinderrolle. Und hier hat man eine Hauptrolle, man ist das tragende Element quasi, ja und das ist ’n Unterschied. Es ist eine ganz andere Einstellung zur Bühne, wenn man weiß, ich bin ein wesentlicher Teil, und meine Freunde und ich wir tragen dieses Stück alleine.“
Sara-Maria hat sich an der Hamburger Staatsoper sehr wohl gefühlt, obwohl sie anfangs nur eine Kinderrolle spielte. Die Staatsoper in Hamburg hat eine lange Tradition. 1678 wurde sie gegründet, 21 Jahre nach dem ersten Opernhaus Deutschlands in München. Sie gehört zu den weltweit renommiertesten Opernhäusern. Staatsopern werden in Deutschland normalerweise von den jeweiligen Bundesländern oder auch von den einzelnen Städten finanziert. Sie haben ein festes Ensemble aus Orchester, Sängern, Ballett sowie als Leitung einen Intendanten, eine Intendantin und einen Generalmusikdirektor, eine Generalmusikdirektorin. Manchmal werden beide Posten von einer Person wahrgenommen. Sara-Maria ist stolz darauf, in der „Schneekönigin“ das tragende Element zu sein, ein wichtiger Bestandteil, der zum Gelingen des gesamten Stücks beiträgt. Man habe dann – so Sara-Maria – quasi eine ganz andere Haltung, eine andere Einstellung, beim Auftritt. Das Adverb „quasi“ wird in der Alltagssprache oft als Synonym für „gewissermaßen“, „mehr oder weniger“ oder eben „sozusagen“ verwendet. Dirigent Benjamin Gordon bestätigt, dass ein Auftritt einen gewissen Suchtfaktor beinhaltet:
„Wenn die Kinder mitgemacht haben, dann haben die Blut geleckt, und die können nicht genug davon bekommen.“
Den Kindern macht es Spaß, auf der Bühne zu stehen. Sie haben „Blut geleckt“. Die Redewendung wird in der Umgangssprache gebraucht, wenn man Gefallen an etwas findet und es immer wieder tun möchte. Vorbild ist die Tierwelt. Tiere wie Raubkatzen oder Jagdhunde, die das Blut von Fleisch geschmeckt haben, jagen ihre Beute und töten sie. Den Spaß am Gesang bringen die Kinder bereits mit. Doch damit am Ende eine Oper entsteht, die deutlich über dem Niveau von Schulaufführungen liegt, proben die 8- bis 16-Jährigen gemeinsam mit Profi-Künstlern der Staatsoper. Benjamin Gordon erklärt, worauf dabei besonders geachtet wird:
„Erst fangen wir mit der Stimme [an], und dass die Kinder bekommen sechs Wochen Stimmbildung und nicht nur Stimmbildung, um die Kraft und sagen wir Durchsetzungsfähigkeit der Stimme stärker zu machen, sondern auch, dass die Kinder lernen den Unterschied zwischen einen Text zu sprechen und einen Text zu singen. Das ist für viele sehr schwer, und ich glaube wir arbeiten bis zur Premiere noch immer daran.“
Da die Kinder, die an der Aufführung teilnehmen, keine ausgebildeten Opernsänger und -sängerinnen sind, muss ihre Stimme geschult werden. Bei der Stimmbildung muss unter anderem darauf geachtet werden, dass die Stimme kräftig genug – wie Benjamin Gordon sagt – durchsetzungsfähig ist, so dass man sie gut hört. Und es macht einen Unterschied, ob man einen Text nur spricht, oder ihn auch noch singt, weil dabei etwa auf die richtigen Töne, die richtige Tonlage und die Atmung geachtet werden muss. Wie wichtig die Stimme ist, weiß Sina. Sina ist schon einige Zeit im Geschäft und ist zufrieden:
„Ich meine, man arbeitet jetzt schon länger, und dann merkt man eben so, ja, deine Arbeit hat sich gelohnt. Jetzt hast du ’ne größere Rolle. Und das nächste Mal bekommst du dann wieder ’ne kleine Rolle. Das lohnt sich dann eben dafür, dass man eben einmal diese größere Rolle bekommt.“
Und der Schlussapplaus ist die Belohnung für die viele Arbeit, das viele Proben. Da ist es dann auch egal, ob man mal eine Nebenrolle, eine kleine Rolle bekommt. Denn die nächste Hauptrolle kommt bestimmt.