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Oft verkannt: Behindertenwerkstätten

Insa Wrede2. April 2013

In Deutschland arbeiten knapp 300.000 Menschen in Werkstätten für Behinderte. Auch wenn so manches Unternehmen das noch nicht entdeckt hat - oft leisten diese Werkstätten wertvolle Arbeit für die Wirtschaft.

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Neue Montagehalle von Puky für behinderte Menschen, Foto: Insa Wrede
Bild: DW/I. Wrede

Rund 700 Werkstätten für Menschen mit Behinderung gibt es in Deutschland. Mit den Produkten, die dort hergestellt werden, verbinden viele Deutsche aber nur nett bemalte Postkarten oder einfache Handwerksarbeiten, die auf Märkten angeboten werden. Dabei leisten diese Werkstätten oft viel mehr für Unternehmen. Zum Beispiel für das Familienunternehmen Puky, das sich auf Fahrzeuge für Kinder spezialisiert hat.

"Die Zusammenarbeit ist für beide Seiten interessant. Für uns, weil wir eine Arbeit haben, bei der wir am Ende sehen können, was wir produziert haben, und für die Firma Puky, weil wir ein verlässlicher Partner sind," sagt Wolfgang Heinrichs von den Hephata Behindertenwerkstätten in Mettmann bei Düsseldorf. Er ist dafür verantwortlich, dass die Zusammenarbeit mit dem Fahrradhersteller Puky funktioniert. Durch große Glasfenster seines Büros schaut er in die helle, geräumige, neu gebaute Halle, die direkt an die Produktionshallen von Puky anschließt.

Neue Montagehalle von Puky für behinderte Menschen, Foto: Insa Wrede
Die neue Halle bei Puky hat Potenzial für WachstumBild: DW/I. Wrede

Hier montieren die Behinderten Fahrräder, Laufräder, Dreiräder und andere Kinderfahrzeuge - bauen Lenkräder ein, schrauben Reifen fest und verpacken das Fahrzeug in Kisten. Die Stimmung in den Kleingruppen ist locker und die Arbeitsatmosphäre entspannt.

Zusammenarbeit wurde stetig ausgebaut

Bei Puky sind rund 100 nichtbehinderte Menschen angestellt, von denen die Hälfte in der Produktion arbeitet. Die Endmontage, also das Zusammenbauen der Fahrzeuge, wird zu über 80 Prozent von behinderten Menschen durchgeführt. "Schon seit über 30 Jahren arbeitet Puky mit verschiedenen Werkstätten für Behinderte zusammen", erzählt Ralf Puslat, Geschäftsführer bei Puky. In den zehn Werkstätten arbeiteten insgesamt rund 550 bis 600 behinderte Menschen jeden Tag für Puky. "Diese hohe Zahl hat eben damit zu tun, dass behinderte Menschen natürlich anders, langsamer, in geringerer Schlagzahl, aber in Top-Qualität ihre Tätigkeit verrichten", so Puslat.

Zu Anfang haben die Werkstätten in ihren eigenen Räumlichkeiten nur kleine Dienstleistungen im Verpackungs- und Montagebereich für den Fahrzeughersteller aus Wülfrath gemacht. Irgendwann haben die Werkstätten dann Puky vorgeschlagen, mehr zu machen. "Da ist die damalige Unternehmensleitung dieses Risiko eingegangen, denn das war zu der damaligen Zeit ungewöhnlich. Und in der Tat, es hat funktioniert." Seit drei Jahren arbeitet ein kleiner Teil der Behinderten auch direkt bei Puky in Wülfrath - seit Anfang dieses Jahres in der neuen Halle, die extra dafür gebaut wurde. Bis Mitte des Jahres sollen dann rund 100 Menschen mit Behinderung hier arbeiten können.

Puky-Fahrzeuglenker- frisch mit Farbe besprüht, Foto: DW/Insa Wrede
Bevor Sicherheit und Haltbarkeit getestet werden, wird das Dreirad von Behinderten zusammengebautBild: DW/I. Wrede

Behindertenwerkstätten leisten Facharbeit

Es gibt schon so manches Unternehmen, das die Wertarbeit von Behindertenwerkstätten zu schätzen weiß, sagt Roland Schoene, emeritierter Professor, der sich für Behindertenwerkstätten engagiert. Ein Beispiel sei eine Behindertenwerkstatt in Burgstädt, die sehr eng mit der Automobilindustrie zusammenarbeitet. "Dort arbeitet sie wie ein Zulieferer im kommerziellen Bereich und realisiert Millionen-Umsätze mit Behinderten." Außerdem seien manche Werkstätten mit modernsten Werkzeugmaschinen ausgestattet, die sich kleinere Unternehmen kaum leisten könnten.

Ein Problem sei aber, dass es häufig zwar einen pädagogisch qualifizierten Sozialarbeiter in der Behindertenwerkstatt gebe, dass der aber in der Zusammenarbeit mit Unternehmen auch wie ein Manager denken können müsse, um beispielsweise mit deren rechnergestützten Auftrags- und Abrechnungssystemen umgehen zu können.

Manche Unternehmen zahlen lieber "Strafe"

"Es gibt immer wieder die Erscheinung, dass Betriebe die Zusammenarbeit von vornherein konsequent ablehnen und dann lieber die Behindertenabgabe zahlen, statt Aufträge zu vergeben", klagt Schoene. Eine solche sogenannte Ausgleichsabgabe müssen Unternehmen ab einer bestimmten Zahl von Mitarbeitern bezahlen, wenn sie nicht mindestens 5 Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Wer mit Behindertenwerkstätten zusammenarbeitet, kann einen Teil auf die Ausgleichsabgabe anrechnen. Allerdings bedeutet die Einbindung von Behinderten für das Unternehmen auch einiges an Aufwand und Kosten.

Ralf Puslat, Geschäftsführer von Puky, Foto: Insa Wrede
Ralf Puslat ist mit der Zusammenarbeit mit Behindertenwerkstätten sehr zufriedenBild: DW/I. Wrede

Bei Puky werden beispielsweise besondere Werkzeuge, Vorrichtungen und Hilfsmittel gebaut, um die richtige Montage zu garantieren, sagt Puslat. Martin Berg, Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen, gibt außerdem zu bedenken, dass "in den Werkstätten Menschen arbeiten, die nicht in der Lage sind, mehr als drei Stunden am Tag produktiv zu arbeiten." Außerdem bräuchten sie besondere Förderung, Anleitung und Begleitung. "Wir sind natürlich auch sehr damit beschäftigt, Menschen auch aus den Einrichtungen raus, in den Unternehmen eine Perspektive zu geben. Aber auch dort brauchen die Menschen auch eine besondere Unterstützung. Das kann ein Unternehmen in aller Regel nicht leisten", so Berg.

Puky aber konnte es leisten, weil die Werkstätten geschultes Personal zur Unterstützung senden. Denn die Behinderten arbeiten nicht nur bei Puky in Wülfrath, sondern werden dabei von Seiten der Werkstätten sozialpädagogisch, medizinisch und schulungstechnisch betreut, erklärt Puslat. "Nur so in dieser Kombination ist für die beeinträchtigten Menschen eine sinnvolle Arbeit überhaupt erreichbar."

Eine Mitarbeitern aus Behindertenwerkstätten montiert bei Puky Fahrräder, Foto: Insa Wrede
Die Behinderten bringen keine wesentliche Kostenersparnis, sagt PuslatBild: DW/I. Wrede

Es ginge auch ohne

Geld sparen würde Puky durch die Einbindung von Behindertenwerkstätten nicht, betont Puslat. Denn der Anteil, den die Montage eines Fahrzeuges an den Herstellungskosten ausmache, sei zu vernachlässigen. "Das Teuerste am Fahrzeug sind die Materialien, die Logistik, der Transport, die Vertriebsaufwendungen und diese Dinge", sagt Pusalt. In einer Werkstatt könne man das nicht sehr viel billiger herstellen als mit eigenen Leuten. "Wir geben die Arbeit dorthin, weil wir dadurch den Behinderten die Möglichkeit geben, sich ordentlich und sinnvoll zu betätigen. Man könnte es aber auch mit eigenen Leuten machen. Das würde auch von den Kosten kein großer Unterschied sein."