O Tannenbaum, wie grün sind deine Chilischoten
21. Dezember 2005Im Lichthof der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe riecht es nach Glühwein. Schließlich steht hier die Ausstellung "Weihnachtsbaum": Viele sorgfältig beschriftete Ausstellungsstücke, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Weihnachtsbaum auseinander setzen.
Einer der auffälligsten Bäume ist eine ferngesteuerte Plastiktanne, die auf breiten Reifen durch den Hof saust. Der Baum stößt Besucher beiseite und rempelt Ausstellungsstücke an. Peter, der Erfinder des "Super Action Christmas Tree", dirigiert die Tanne vom Treppengeländer her und gerät wegen der schlechten Manieren seines fahrenden Baumes in Erklärungsnot: "Das wussten wir auch nicht, aber er fährt wohl liebend gerne irgendwelchen Leuten an die Füße", sagt der Designer.
Schilderwald und Folter-Fotos
Das "schärfste" Ausstellungsstück hat Stefan Legner, der
künstlerische Assistent, geschaffen: einen Weihnachtsbaum aus grünen Chilischoten. "Schatz, der Baum brennt" ist der trockene Name des Exponats. Vieles in der bunten Weihnachtsbaum-Ausstellung lässt die Besucher schmunzeln, die Tanne aus gefüllten grünen Bierflaschen zum Beispiel - oder der "Schilderwald", ein Tannenbaum aus drei übereinandergesetzten dreieckigen Vorfahrtsschildern.
Aber nicht alle Ausstellungsstücke sind lustig. Der einzige echte Tannenbaum von Wohnzimmerformat ist geschmückt mit elektrischen Kerzen und entpuppt sich bei näherer Betrachtung als politisches Mahnmal. Als "Schmuck" dienen ihm Fotos aus dem irakischen Gefängnis Abu-Ghraib, die die Misshandlungen der Gefangenen durch amerikanisches Militär zeigen. In einer Endlosschleife erklingt dazu eine patriotische Ansprache von US-Präsident George W. Bush.
Weihnachten eingezwängt
Auch Bastian übt mit seinem Baum Kritik. Der Student im ersten Semester hat ein kleines Tannenbäumchen zwischen zwei Glasplatten gepresst und damit in die typische dreieckige Weihnachtsbaumform gezwungen. "Weihnachten erdrückt mich" heißt das Ausstellungsstück, das an langen Stahlseilen von der Decke baumelt. Bastian selbst feiert gerne Weihnachten. Aber die geschmückten Bäume sind ihm zu kommerziell. "Der ideale Baum ist meiner Ansicht nach naturalistisch und ohne irgendwelchen Schnickschnack", sagt Bastian, "also ganz ohne Lametta, ohne Kugeln." Die Studenten auf der Suche nach dem Kern des Weihnachtsfestes unter allem Glitzerzeug?
Nicht nur die Design-Studenten haben künstlerische Bäume gebaut - auch Professoren, Hausmeister und Sekretärinnen der Hochschule. Lesen Sie mehr über die Kunstwerke auf der nächsten Seite.
Volker Albus ist seit elf Jahren Professor für Produktdesign an der Hochschule für Gestaltung und hat ein Ausstellungsstück geschaffen, das nicht nur das Weihnachts-, sondern auch das Wintergefühl ausdrückt. Sein Baum besteht ganz aus weißen Kerzen, die leicht schräg in einem Drahtgestell verankert sind. Wenn sie tropfen, sieht es aus, als würde es schneien.
Regenschirm und Klopapier
In der Weihnachtsbaum-Ausstellung sind gute Ideen entscheidend. Sandra und Moritz, beide Produktdesign-Studenten in höheren Semestern, haben die Ausstellung organisiert. 2004 hatten sich nur Studenten und Professoren beteiligt, in diesem Jahr waren auch alle Angestellten des Hauses ausdrücklich aufgefordert, ein Ausstellungsstück zu entwickeln. Viele von ihnen haben mitgemacht: die drei Hausmeister mit einem Baum aus Toilettenpapier und die Sekretärin mit ihrer Zimmertanne.
Große Bewunderung erntet vor allem das golden angesprühte Metallgerüst eines Regenschirmes, das eine Verwaltungsangestellte zu einem kunstvollen Tannenbaum gebogen hat. Auch Moritz ist von so viel Kreativität sehr angetan. "Das ist wirklich kennzeichnend, dass Leute zum Beispiel aus der Verwaltung hier Sachen machen, wo man denkt, wieso studieren die hier eigentlich nicht?"
Kunstwerke mit Kalorien
Je später der Abend wird, desto beliebter werden zwei Weihnachtsbäume: der trinkbare und der essbare. Die Tanne aus Bierflaschen kann nun, da den Organisatoren das Bier ausgegangen ist, keiner mehr verteidigen. Und der mehrschichtige Weihnachtsbaum aus Kuchen wird unter den sehnsüchtigen Blicken eines wohlerzogenen Hundes von den Künstlern genüsslich verzehrt: "Weihnachten war für mich auch in meiner Kindheit immer eine große Fressorgie", sagt Martin. "Und hier kann man Weihnachten zumindest auch aufessen."