Straßburger Urteil im Yukos-Prozess
21. September 2011Pierce Gardner ist zufrieden. "Yukos hat in dieser Entscheidung wichtige Erfolge erzielt", sagte der Deutschen Welle der Londoner Anwalt, der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte den inzwischen zerschlagenen russischen Ölkonzern vertritt. In dem am Dienstag (20.09.) bekannt gegebenen Urteil stellten die Straßburger Richter fest, dass die russischen Behörden bei dem Steuerverfahren gegen Yukos die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt haben. So wurde gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen, weil Yukos "nicht genug Zeit hatte", um sich auf die bevorstehenden Gerichtsverfahren vorzubereiten.
Das wichtigste sei deshalb, sagt Gardner, der Gerichtshof habe anerkannt, dass die Maßnahmen, die Russland gegen Yukos unternommen hat, den Konzern in den Ruin getrieben hätten. Große Summen von Steuernachzahlungen seien "zu schnell" gefordert worden, meint der Yukos-Anwalt. Darin liege der Grund für den Untergang des Unternehmens im Jahr 2006.
Kein politischer Hintergrund
Die russische Justiz hatte dem Konzern damals Steuerhinterziehung vorgeworfen. Das Unternehmen wurde zerschlagen, Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij in einem spektakulären Prozess zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Er und weitere Aktionäre werfen den russischen Behörden bis heute politische Willkür und Verfolgung vor.
In diesem zentralen Punkt haben die Straßburger Richter aber der Klage der ehemaligen Yukos-Aktionäre kein Recht gegeben. Sie sahen keine Beweise für einen politischen Hintergrund. Das Vorgehen der russischen Justiz gegen Yukos sei insgesamt rechtens gewesen, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. "Hier müssen wir zugeben, dass wir diese Beweise nicht erbringen konnten", sagt der Anwalt Gardner.
Mit ihrer Entscheidung folgten die Straßburger Richter im Grundsatz einem früheren Urteil. Bereits im Mai 2011 sahen sie keine Beweise für einen politisch motivierten Prozess gegen Chodorkowski. Sie hatten eine Klage des ehemaligen Yukos-Chefs in diesem Punkt zurückgewiesen. Allerdings stellten sie auch hier Verstöße gegen rechtsstaatliche Standards durch die russische Justiz fest.
Erleichterung in Russland
Russland reagierte mit Erleichterung auf das neue Urteil in Straßburg. Georgij Matjuschkin, der Bevollmächtigte Russlands vor dem Straßburger Gericht, sagte, er sei zufrieden. Jetzt könne man einen Schlussstrich ziehen in der Diskussion über politische Hintergründe der Steuerforderungen gegen Yukos. Menschenrechtler sehen das anders. "Für uns ist der Fall Yukos politisch motiviert, auch wenn die Richter dafür keine Hinweise gefunden haben", sagte in Moskau Tatjana Lokschina, Vertreterin der Organisation Human Rights Watch.
Offene Entschädigungsfrage
Die Parteien haben nun drei Monate Zeit, um gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Offen geblieben ist auch die Entschädigungsfrage. Diese Frage hat der Straßburger Gerichtshof nämlich ausgeklammert und den Parteien eine außergerichtliche Einigung nahe gelegt. Es geht um 98 Milliarden US-Dollar (rund 70 Milliarden Euro), die von Yukos-Aktionären als Entschädigung gefordert werden. "Sollten die Parteien sich nicht außergerichtlich einigen, ist es nicht ausgeschlossen, dass in Straßburg eine Entscheidung über eine Entschädigung durch den russischen Staat für die Yukos-Aktionäre getroffen wird", sagte der Deutschen Welle Jonas Grätz von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Er wies gleichzeitig auf ein weiteres Verfahren im Fall Yukos hin, das derzeit vor einem Schiedsgericht in Den Haag liegt. Auch in diesem Verfahren geht es um Entschädigungsforderungen an den russischen Staat. Der Experte hält eine Entscheidung im kommenden Jahr für möglich.
Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Bernd Johann