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Nur Konjunkturprogramm für Pharmafirmen?

23. Dezember 2009

Monatelang wurde vor der Schweinegrippe gewarnt. Jetzt ist sie da und verläuft mild. Trotzdem hat die Regierung Impfstoff für eine Milliarde Euro geordert. Angemessene Fürsorge oder Konjunkturprogramm für Pharmafirmen?

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Patient wird geimpft (Foto: dpa)
Die Deutschen wollen sich nicht impfen lassen - zu Recht?Bild: picture-alliance/ dpa

Die Bevölkerung hat sich entschieden. Trotz widersprüchlicher Informationen haben sich nur rund fünf Prozent der Deutschen impfen lassen. Und das, obwohl der Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler verlauten lässt, die Impfung sei nach wie vor notwendig. Der Präsident der deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, Michael Kochen, hingegen gibt mittlerweile Entwarnung. Auch Spezialisten relativieren die Gefahr, wie der Virologe Christian Drosten vom Bonner Universitätsklinikum: "Das Schweinegrippevirus scheint momentan nicht gefährlicher zu sein, als das normale Influenza-Virus. Man kann höchstens spekulieren, dass bestimmte Eigenschaften im Erbgut dieses Virus sich noch ändern könnten, so dass dieses Virus gefährlicher werden könnte."

Schweinegrippe-Impfstoff (Foto: dpa)
40 Millionen Impf-Dosen hat die Regierung geordert, auf dem Großteil bleiben die Ärzte sitzenBild: picture-alliance/ dpa

Die Weltgesundheitsorganisation hat für die Schweinegrippe im Juni 2009 die Warnstufe sechs des Pandemiealarmplans ausgerufen. Laut WHO-Definition tritt die höchste Stufe ein, sobald sich eine Erkrankung auf mindestens zwei Kontinenten verbreitet.

War es nur das milde Klima?

In Deutschland ist die Zahl der Neuerkrankungen in den letzten Wochen allerdings stark zurückgegangen – laut Schätzungen auf gerade einmal 10.000 Neuerkrankte pro Woche. Der Virologe Christian Drosten führt die vergleichsweise niedrigen Zahlen auf das milde Klima zurück, das bis vor kurzem noch in Deutschland herrschte: "Ich erwarte nach Weihnachten ein drastisches, neues Ansteigen von Fällen."

An der normalen Grippe sterben in Deutschland jährlich rund 8.000 bis 15.000 Menschen – vor allem ältere Menschen, deren Immunabwehrkräfte geschwächt sind. Verglichen mit diesen Zahlen, ist die bisherige Anzahl der Schweinegrippe-Toten verschwindend gering, betont Virologe Christian Drosten: "80 Menschen sind gestorben von etwa 180.000 Infizierten. Man kann sagen, dass die Letalität dieser Erkrankung über alle Altersgruppen hinweg bei 0,01 Prozent liegt."

Ist die Impfung gefährlicher als die Krankheit?

Bei den meisten Patienten verläuft diese "Neue Grippe" also mild. Allerdings erkranken mehr junge Menschen, da sie sozial aktiver sind und da das Virus neu ist, so der Vizepräsident des Robert-Kochinstituts Reinhard Burger. "Die Folge davon ist, dass bei der Bevölkerung noch keine Immunität besteht, wie es bei der normalen Wintergrippe der Fall ist. Entsprechend trifft dieses Virus auf eine immunologisch unvorbereitete Bevölkerung."

Mann mit Thermometer (Foto: DW-TV)
Bei den Allermeisten verläuft die Krankheit mildBild: DW-TV

Daher empfehlen die Mitglieder der ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts, dass sich die ganze Bevölkerung impfen lassen solle. Vizepräsident Reinhard Burger kann nicht nachvollziehen, dass so viele Menschen die Impfung boykottieren. Die Allgemeinmedizinerin Claudia Völkl aus der bayerischen Stadt Nördlingen hingegen findet das genau richtig. "Die Krankheit ist nach unserer Beobachtung weniger gefährlich als die Impfung", sagt Völkl. Sie könne die Impfung schlicht nicht einschätzen. "Bei diesem Zusatzstoff, der erstmals verwendet wird, ist einfach zu wenig Erfahrung in Verbindung mit dem Impfstoff da. Es gibt keine ausreichenden Studien." Und deswegen sei die Nichtakzeptanz der Impfung auch völlig richtig, so Völkl.

Selbst die Ärzte sind Impf-faul

Nur 15 Prozent der Ärzte selbst sind dem Aufruf zur Impfung nachgekommen. Auch die Allgemeinmedizinerin Lisa Schmidt behandelt die Schweinegrippe wie die normale Grippe und empfiehlt ihren Patienten, ihr Immunsystem zu stärken. Der Impfung gegen die Schweinegrippe steht auch sie skeptisch gegenüber: "Ich möchte selbst nicht in einem so großen Feldversuch mitmachen. Und das rate ich meinen Patienten auch nicht."

Die Bundesregierung hat fast eine Milliarde Euro für den Impfstoff ausgegeben, obwohl der Verlauf der Krankheit überwiegend mild verläuft. Diese Fehleinschätzung müsse nun ausgebügelt werden, meint die Allgemeinmedizinerin Schmidt. Sie hält das Ganze für eine Kampagne der Pharmaindustrie. "Man stellt fest, dass die Bevölkerung gar nicht impffreudig ist. Man hat Millionen Impfstoffe gekauft. Und jetzt muss man händeringend sehen, dass man sie los wird. Ich denke, da steckt sehr viel Geld und finanzielles Interesse drin."

Auch der Bremer Pharmakologe Peter Schönhöfer vermutet das "Prinzip des Pharmamarketings" dahinter: Die Pharmaindustrie könne ihr Produkt dann gut verkaufen, wenn die Menschen Angst haben und sich versprechen, von dem Angebot des Herstellers gerettet zu werden. "Also muss man eine Angstpsychose erzeugen, damit die Leute weich werden und nach dem Impfstoff greifen."

Autorin: Anja Seiler

Redaktion: Daphne Grathwohl