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NS-Verbrecher auf der Anklagebank

Birgit Görtz 20. November 2005

Mit den Nürnberger Prozessen wurden erstmals Politiker, Militärs und andere Funktionsträger persönlich für Angriffskrieg und Völkermord zur Verantwortung gezogen. Ein Vorläufer auch für heutige Prozesse.

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Saal 600 des Nürnberger SchwurgerichtsBild: AP

Nach 1945 dauerte es lange, ehe die Weltgemeinschaft das Beispiel Nürnbergs wieder aufgriff. Lange Diskussionen und einige wenige auf einzelne Sachverhalte bezogene Verfahren mündeten erst 2003 in eine grundsätzliche Regelung. Seitdem können sich die Kriegstreiber dieser Welt nicht mehr sicher sein, ihrer Strafe zu entgehen. In diesem Jahr wurde der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet. Rechtshistorisch sind die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg sein Vorläufer.

Fluchtversuch mit 17 Lkw

Für die Staats- und Regierungschefs der Alliierten stand bereits während des Krieges fest: Die Nazi-Verbrecher sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Doch Hitler, Himmler und Goebbels haben sich durch Selbstmord aus der Verantwortung gestohlen. Hermann Göring wird dagegen in Kitzbühel von der US-Armee gefasst, als er und seine Familie mit 17 Lkw voller Gepäck fliehen wollen.

Nürnberger Prozesse
Die Anklagebank. Vorne (v.l.n.r.): Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel; hinten (v.l.n.r.): Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel.Bild: DHM

Göring - vormals Luftfahrtminister und zeitweise zweiter Mann hinter Hitler - ist der hochrangigste Vertreter des Verbrecher-Regimes, als der sowjetische Richter Nikitschenko den Prozess am 20. November 1945 eröffnet. In Nürnberg, der Stadt der monströsen Reichsparteitage, sitzen am diesem Tag 21 Männer auf der Anklagebank. US-Hauptankläger Jackson verliest die Namen der Angeklagten: "Hermann Wilhelm Göring, Rudolf Hess, Joachim von Ribbentrop, Robert Ley, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, …"

Vier Anklagepunkte

Die Anklageschrift umfasst vier Punkte. Der erste lautet Verschwörung gegen den Frieden, der zweite Planen, Entfesseln und Durchführen eines Angriffskrieges. Hermann Göring streitet vor Gericht jede persönliche Verantwortung ab. "Ich habe keinen Krieg gewollt oder herbeigeführt, ich habe alles getan, ihn durch Verhandlungen zu vermeiden." Die Verteidiger der Angeklagten machen geltend, der Prozess habe keine gesetzliche Grundlage, sondern stütze sich auf Rechtsnormen, die erst nach der Tat geschaffen worden seien.

Der Vorsitzende Richter, der Brite Sir Geoffrey Lawrence, weist dies zurück: Auch Deutschland habe sich in internationalen Verträgen verpflichtet, zwischenstaatliche Konflikte nur mit friedlichen Mitteln beizulegen. Der dritte Anklagepunkt beinhaltet Kriegsverbrechen, sowie Verbrechen und Verstöße gegen das Kriegsrecht. Angeklagt unter anderem: Hans Frank, der ehemalige Generalgouverneur des besetzten Polen. Er ist mitschuldig an der Ermordung polnischer Politiker und Intellektueller, dem Völkermord an der jüdischen Bevölkerung und der Verschleppung polnischer Zwangsarbeiter in deutsche Rüstungsbetriebe.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Der vierte Punkt der Anklageschrift lautet Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Göring will mit dem Holocaust nichts zu tun haben. Mehr noch: Er mimt den moralisch Entrüsteten: "Dass ich diese furchtbaren Massenmorde auf das schärfste verurteile und mir jedes Verständnis dafür fehlt, stelle ich ausdrücklich fest."

Nach 72 Verhandlungstagen schließt die Anklage Anfang März 1946 ihre Beweisführung. Seitdem haben die Angeklagten und ihre Verteidiger das Wort. Und die Angeklagten erklären sich samt und sonders für nicht schuldig. Hermann Göring in seinem Schlusswort: "Das einzigste Motiv, das mich leitete, war heiße Liebe zu meinem Volk, sein Glück, seine Freiheit und sein Leben. Dafür rufe ich den Allmächtigen und mein deutsches Volk zum Zeugen an."

Todes- und Freiheitsstrafen

Die französische und sowjetische Anklage fordern für alle Angeklagten durchweg die Todesstrafe, während die Briten auch Freiheitsstrafen fordern. Die Amerikaner geben keine klare Empfehlung zum Strafmaß ab. Das Urteil wird am 30. September und 1. Oktober 1946 verkündet.

Schuldig in allen vier Punkten ist unter anderem Hermann Göring. "Das Internationale Militärtribunal verurteilt Sie zum Tod durch den Strang." Insgesamt werden zwölf Todesurteile, sieben Freiheitsstrafen und drei Freisprüche ausgesprochen. Nur Stunden vor seiner Hinrichtung am 16. Oktober 1946 begeht Göring mit Gift Selbstmord. Entgegen der ursprünglichen Planung werden weitere Prozesse vor einem gemeinsamen Tribunal nicht mehr durchgeführt. In der US-Besatzungszone werden vor amerikanischen Militärgerichten zwölf Folgeprozesse geführt: gegen Ärzte, Juristen, die SS, Bankiers und Industrielle. Insgesamt 185 Personen stehen vor Gericht. 24 Angeklagte werden zum Tode verurteilt. Das letzte Verfahren endet im April 1949.