1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nigerias Ölindustrie - Sorgenkind für den neuen Präsidenten

Thomas Kohlmann | Martina Schwikowski
7. Juni 2023

Nigeria ist Afrikas größter Ölproduzent. Trotzdem muss das Land Benzin teuer importieren. Der neue Präsident Bola Ahmed Tinubu will dem ein Ende setzen und verkündete das Aus für Subventionen.

https://p.dw.com/p/4NKC6
Tanks der Erdölraffinerie in Kaduna, Nigeria
Wirtschaftskrise: Nigerias Ölproduktion ist stark gesunken - Raffinerien sind marode und stehen inzwischen stillBild: Construction Photography/Photoshot/picture alliance

In Nigeria sorgt der neue Präsident Bola Ahmed Tinubu schon bei Amtsantritt für Proteste und sogar einen Ansturm auf die Zapfsäulen des Landes: Er kündigte direkt das Aus für Treibstoffsubventionen an, die den Preis für Erdölprodukte über Jahre niedrig gehalten haben. 

Viele Nigerianer machen sich verstärkt Sorgen über ihr Auskommen, obwohl das Land mit seinen 220 Millionen Einwohnern ein wirtschaftliches Schwergewicht in der Region ist. Allein der Bundesstaat Lagos rund um die gleichnamige Wirtschaftsmetropole am Golf von Guinea hat eine größere Wirtschaftsleistung als Kenia. Nigeria insgesamt erwirtschaftet ein größeres Bruttoinlandsprodukt (BIP) als alle anderen Staaten Westafrikas zusammen.

Nigeria Einweihung des neuen Präsidenten Bola Ahmed Tinubu
Nigerias neuer Präsident Bola Ahmed Tinubu bei seiner Amtseinführung Ende MaiBild: Sunday Aghaeze/AP Photo/picture alliance

Steigende Armut und soziale Unruhen

Angetrieben wird die Wirtschaftsmaschinerie Nigerias durch Erdöl, das in riesigen Lagerstätten im Niger-Delta vorkommt. Doch trotz des Reichtums geht es der Wirtschaft schlecht: So liegt das Wirtschaftswachstum niedriger als das Bevölkerungswachstum - Experten warnen vor steigender Armut und sozialen Unruhen.

Die Gründe für den Abwärtstrend liegen auf der Hand: Die Ölproduktion ist auf einen historischen Tiefstand gesunken. Dem nigerianischen Wirtschaftsexperten Afolabi Olowookere zufolge fiel der Anteil des Ölsektors an den Staatseinnahmen von knapp 47 Prozent 2017 auf nur noch magere 7,4 Prozent im ersten Halbjahr 2022 ab, sagte er der Zeitung "The Guardian Nigeria News".

Nigeria ist es nicht gelungen, von dem weltweiten Ölpreisboom 2022 zu profitieren. Auch der Anteil des Ölsektors am BIP Nigerias hat sich seit 2010 von mehr als 13 Prozent auf knapp sechs Prozent praktisch halbiert.

Kernproblem: Teure Ölimporte

Das Kernproblem Nigerias besteht darin, dass das Land, obwohl es der größte Öl- und Gasproduzent Afrikas ist, zur Deckung seines Benzinbedarfs fast vollständig auf teure Importe angewiesen ist. Nigeria verfügt über vier staatliche Raffinerien, aber sie sind durch Misswirtschaft marode geworden und stehen still. Um die sozialen Folgen abzufedern, steckten die Regierungen vor Tinubu Jahr für Jahr Milliarden Dollar in Treibstoffsubventionen. 

Der Politik fehle eine Strategie, klagte Muazu Magaji, Experte für Erdölvorkommen in Lagos, vor der Wahl im Frühjahr: "Es ist eine Tatsache, dass die Regierung selbst keine Vision für die Energiesicherheit entwickelt hat." Jetzt versucht Präsident Tinubu nach Amtsübernahme von Muhammadu Buhari einen neuen Kurs zu fahren. Für den Erfolg ist es laut Energiewirtschaftler Adero Okudo von Bedeutung, dass Tinubu die Unterstützung aller mächtigen Interessensgruppen im Erdölsektor gewinnt und effektiv mit ihnen kommuniziert, sagt er im DW-Interview.

Kostspielige Treibstoffsubventionen

Denn das Dilemma ist groß: Der Staatshaushalt gerät immer stärker unter Druck. So stand ebenfalls vor der Wahl eine Berechnung im Raum, nach der Nigeria in diesem Jahr 4,2 Billionen Naira (rund 8,5 Milliarden Euro oder 9,1 Milliarden US-Dollar) benötigen würde, um den Bedarf an Kraftstoffsubventionen in diesem Jahr zu decken.

Die seit Jahren immer weiter steigenden Kosten für die Treibstoffsubventionen führten während der Pandemie dazu, dass Nigeria überhaupt nur durch einen Notkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlungsfähig gehalten werden konnte.

Mit den Finanzspritzen der Weltbank sind seit 2020 gut fünf Milliarden US-Dollar nach Nigeria geflossen, um die größte Volkswirtschaft Afrikas vor dem Kollaps zu bewahren.

Devisenreserven schrumpfen

Aber die Probleme kommen mit Ansage: Bereits 2018 hatte der IWF an Nigeria appelliert, seine steigende Verschuldung einzudämmen und die Wirtschaft zu diversifizieren, um eine Krise zu vermeiden. Geholfen hat es wenig. Das wird beim Blick auf den Ölsektor mehr als deutlich. Die Tagesförderung von 1,8 Millionen Barrel pro Tag vor der Pandemie ist mittlerweile auf rund eine Million Barrel eingebrochen. Inzwischen hat zudem der Ölpreis wieder nachgelassen - nach dem Rekordwert von rund 130 US-Dollar pro Barrel vom Frühjahr 2022 liegt er derzeit bei rund 80 Dollar.

Auch bei den Devisenreserven ist das Land in gefährlichem Fahrwasser unterwegs: Mit jedem Jahr schmelzen sie weiter zusammen. Wird die Grenze von 30 Milliarden US-Dollar unterschritten, so warnen internationale Finanzexperten, droht eine Abwertung der Landeswährung Naira.

Tankstelle in Lagos: Autofahrer warten an den Zapfsäulen, um Benzin und Diesel zu tanken
Öl ist knapp und teuer geworden in NigeriaBild: PIUS UTOMI EKPEI/AFP

Die aktuelle Länderstudie der Weltbank lässt keinen Zweifel daran, wie ernst die Lage ist. "Nigeria befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation, die sich weiter verschlechtert", schrieben die Weltbank-Experten in der im vergangenen Dezember erschienenen Studie "Nigeria's Choice".

Korruption schwächt Wirtschaft

Allerdings sind die Wahlmöglichkeiten bei sinkenden Steuereinnahmen, steigenden Kosten für Treibstoffsubventionen, kombiniert mit dem neuerlichen Rückgang der Ölpreise bei einer sinkenden Ölförderung, eher begrenzt. Dazu kommt eine Inflationsrate von mehr als 20 Prozent.

Wie stark Korruption das Wirtschaftsgeschehen dominiert, zeigt der Blick auf das Ranking von Transparency International. Dort rangierte Nigeria im Jahr 2021 auf Platz 154 von 180 untersuchten Ländern, eine deutliche Verschlechterung von Position 144 im Jahr 2018.

Ein großer Teil des Öl- und Treibstoffmangels geht auf Diebstahl zurück. Regierungsmitglieder wie Finanzministerin Zainab Ahmed erklären ganz offiziell einen Teil der Benzin- und Diesel-Engpässe mit dem grassierendem Treibstoffdiebstahl. Dazu kommen, so der Minister, noch Sabotage-Aktionen an den Pipelines im Niger-Delta.

Hoffnung auf neue Mega-Raffinerie

Vor den Toren von Lagos entstand die riesige Dangote-Raffinerie, Hoffnungsträger für die Regierung. Sie ist Ende Mai offiziell eingeweiht worden. Bauherr und Namensgeber ist der Multimilliardär Aliko Dangote, der als reichster Mann Afrikas gilt. 

Mit der Investition aus dem Privatsektor hofft man, eine Alternative zu den staatlichen Raffinerien zu schaffen, sagte Magaji. Die kombinierte Kapazität der vier bestehenden Raffinerien liegt bei 450.000 Barrel pro Tag, bei der Dangote-Raffinerie dagegen sollen es 650.000 Barrel pro Tag sein.

Doch neuer Schwung für den Ölsektor alleine wird nicht reichen - zumal die fossile Industrie die Klimakrise direkt befeuert und deshalb weltweit heruntergefahren werden muss: Schon lange fordern Experten, dass sich Nigeria aus der Abhängigkeit vom Öl lösen muss. "Die Politik der Diversifizierung wird leider schon seit vier oder fünf Jahrzehnten diskutiert. Wir haben von großen Revolutionen gesprochen, wollten den Bergbausektor fördern und die Landwirtschaft zu einem wichtigen Zweig ausbauen, aber es ist uns nicht gelungen", sagte Magaji zur DW.

Nun hat die neue Regierung unter Präsident Bola Ahmed Tinubu die Chance, die lange geforderte Diversifizierung endlich voranzutreiben.

 

Dieser Artikel wurde erstmals am 15. Februar 2023 veröffentlicht und nach dem Amtsantritt von Präsident Bola Ahmed Tinubu aktualisiert.

Thomas Kohlmann
Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.