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NHL-Profi Seider als Corona-Gewinner

Heiko Oldörp
10. November 2021

Aufgrund von COVID-19 legt Moritz Seider eine Zwischenstation in Schweden ein. Möglicherweise ist das der Grund dafür, dass der Nationalverteidiger nun in der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga NHL durchstartet.

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Eishockey  Moritz Seider Detroit Red Wings
Eishockey-Nationalspieler und NHL-Neuling Moritz SeiderBild: Paul Sancya/AP/picture alliance

Es dürfte nicht allzu viele Sportlerinnen und Sportler geben, die den Einfluss von Corona auf ihre Karriere als positiv bezeichnen würden. Moritz Seider ist einer von ihnen. Der 20-jährige Eishockey-Profi wollte eigentlich schon vergangene Saison in Nordamerikas Profiliga NHL debütieren. Bei den Detroit Red Wings, die ihn 2019 bei der Talenteverteilung Draft bereits an sechster Stelle ausgewählt hatten. Die Saison 2019/20 hatte der Verteidiger im Red Wings-Farmteam, Grand Rapids Griffins, in der American Hockey League verbracht, sich so an die kleinere Eisfläche und die größere Bedeutung der Physis in Nordamerika gewöhnt.

Im Herbst 2020 sah er sich bereit für den nächsten Schritt. Doch seine vermeintliche Bühne war geschlossen. Die NHL stand noch still und sollte ihre Saison erst am 13. Januar 2021 beginnen. Die vorgesehene Ausleihe zu seinem alten Klub, den Mannheimer Adlern, mit denen er 2019 Deutscher Meister geworden war, wurde vorzeitig beendet. Denn die Deutsche Eishockey-Liga musste ihren für den 18. September geplanten Saisonstart pandemiebedingt zweimal verschieben und startete erst am 17. Dezember.

"Jahr in Schweden hat mir unheimlich gut getan"

Doch dann kam ein Angebot aus Schweden. Die Red Wings liehen ihr deutsches Nachwuchstalent an Rögle BK aus, einen Klub aus der Kleinstadt Ängelholm in Südschweden. Für eine Saison. Es wurde Seiders Saison. "Das Jahr in Schweden hat mir unheimlich gut getan", sagt der 20-Jährige im Gespräch mit DW.com. Er habe "viele neue Leute kennengelernt" und vor allem "viel Selbstvertrauen getankt." Die Svenska Hockeyligan gilt als europäische Topliga. Viel passiere in der Verteidigungszone, sagt Seider. Zudem seien die Spiele "sehr eng", es gehe "hin und her" und dadurch wiederum seien die Emotionen auf dem Eis und dem Rängen dementsprechend groß.

Eishockey WM Deutschland USA
Vierter bei der WM in Lettland - Moritz Seider (Nr. 53) ist einer der besten Spieler des TurniersBild: VASILY FEDOSENKO/REUTERS

In dieser Atmosphäre hat der Thüringer, der einst als vierjähriges Kindergartenkind durch einen Schnupperkurs des EHC Erfurt zum Eishockey kam, gelernt, dass es nach einem schlechten Spiel vor allem auf eines ankommt: im nächsten Match wieder da zu sein und "seine volle Leistung" abzurufen. Dies ist Seider gelungen und Rögle ebenso. Der Verein existiert bereits seit 1932. Den größten Erfolg gab es aber erst vergangene Saison mit Platz zwei. In der Finalserie verloren Seider und Teamkollegen gegen die Växjö Lakers 1:4. Trost für den Deutschen: Er wurde im Mai zum besten Verteidiger der Saison gewählt.

Bester Verteidiger der Weltmeisterschaft

Wenige Wochen später folgte die nächste Ehrung, diesmal bei der Weltmeisterschaft in Lettland. Deutschland wurde starker Vierter und Moritz Seider bester Verteidiger des Turniers. Aufgrund dieser Auszeichnungen war Red Wings-Trainer Jeff Blashill vor der Saisonvorbereitung überzeugt, dass Seider "im Trainingscamp einen guten Job machen" könne. Doch wie gut er tatsächlich sei und wie schnell er zu einem Spieler entwickele, der Einfluss auf das Geschehen auf dem Eis habe, nun, das habe niemand gewusst, so Blashill.

Seider reiste im Sommer mit der Zielsetzung nach Detroit, als einer der besten vier Verteidiger zu spielen. Unbedingt. Einen Plan B oder C hatte er nicht. Die AHL oder Europa kamen für ihn nicht in Frage. Nicht nach seinen Leistungen in Schweden und bei der WM. "Ich denke, ich hatte einiges vorzuweisen", betont Seider. Er nahm sich demonstrativ kein Hotelzimmer, das er schnell wieder hätte verlassen können, falls es womöglich doch nicht mit einem Platz im Red Wings-Kader geklappt hätte, sondern bezog ein Apartment.

Auf Anhieb "Rookie des Monats" in der NHL

Mittlerweile ist der erste Monat der neuen NHL-Saison vorbei - und Moritz Seider hat bereits seine erste Auszeichnung. Er wurde zum "Rookie des Monats" Oktober gewählt. So gut und so überzeugend wie dieser 1,93 Meter große und 90 Kilogramm schwere Abwehrspieler war kein anderer Liga-Neuling. "Hoffentlich ist das erst der Anfang von etwas ganz Großem", kommentierte Seider seine Ehrung. Alle neun Red Wings-Spiele hatte er im Oktober absolviert und dabei acht Tore vorbereitet. In der Zwischenzeit sind vier weitere Spiele, eine Vorlage und sein erster NHL-Treffer hinzugekommen. Es war in der Verlängerung der Treffer zum 4:3-Sieg gegen Buffalo.

"Er hat eine Unmenge an physischen Fähigkeiten, ist ein großer Kerl, kann skaten, ist athletisch, verfügt, was das Eishockey angeht, über gute Fertigkeiten", sagt Trainer Blashill. In seinem Team hat Seider trotz seiner Jugend bereits eine wichtige Rolle übernommen. Seine fünf Powerplay-Punkte sind Spitze, seine elf Zähler der drittbeste Mannschafts-Wert. Mit seiner durchschnittlichen Eiszeit von 22:25 Minuten liegt er nur knapp hinter dem Bestwert von Filip Hronek (23:06). Und wer viel auf dem Eis ist, hat natürlich auch mehr Einfluss auf den Ausgang des Spiels - positiv, wie negativ.

Von wirklich gutem Talent zu großartigem Spieler

Blashill weiß, was er und die Red Wings an dem jungen Mann mit den dunkelblonden Locken, dem kindlichen Gesicht und der Rückennummer 53 bereits haben. Doch der Trainer weiß natürlich auch, dass Seiders Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Dass er, obwohl im Überzahlspiel bereits als eine Art Quarterback an der blauen Linie agierend, noch viel besser werden kann. Er wolle "dominieren", sagt Seider über sich selbst. "Unsere Aufgabe ist es", weiß Blashill, "ihm zu helfen, von einem wirklich guten Talent zu einem großartigen Spieler zu werden. Wir wollen sichergehen, dass wir ihn weiterhin vorantreiben, damit er als Spieler wachsen und letztlich in dieser Liga Erfolg haben kann."

Eishockey  Moritz Seider Detroit Red Wings
Schnell mitten drin im Geschehen: Moritz Seider (l.) feiert zusammen mit den Teamkollegen Lucas Raymond und Tyler Bertuzzi (r.)Bild: Duane Burleson/AP/picture alliance

Wenn Dennis Seidenberg seinen Landsmann spielen sieht, fällt ihm sofort dessen "Präsenz, seine Geschmeidigkeit auf dem Eis, und seine Aggressivität, die man braucht, um als Verteidiger erfolgreich zu sein" auf. Seidenberg ist Deutschlands Abwehrmann mit den meisten NHL-Spielen. Er wurde, wie Seider, bei einer WM als bester Verteidiger ausgezeichnet. Allerdings war Seidenberg bei seiner Ehrung 2017 fast 36 Jahre alt. Er hatte damals die Erfahrung von 831 NHL-Spielen, eines Stanley Cup-Gewinns sowie von drei Winterspielen und vier Weltmeisterschaften auf seinen breiten, durchtrainierten Schultern. Seider war zwei Monate vor seiner Wahl zum besten WM-Verteidiger gerade 20 Jahre alt geworden.

Ob Seider es auch schon vor einem Jahr in die NHL geschafft hätte, wenn sich der Saisonstart nicht verzögert hätte? Er wisse es nicht, sagt Jeff Blashill. "Aber ich weiß, dass die Erfahrungen in Schweden und bei der Weltmeisterschaft ihm geholfen haben, als Eishockeyspieler zu wachsen." Seider sieht es rückblickend so: "Manchmal braucht man einfach ein bisschen länger." Und sei es eben aufgrund von ganz besonderen Umständen.