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Ngugi wa Thiong'o - Pionier der afrikanischen Literatur

Philipp Sandner4. Mai 2014

Mit Romanen wie "Der gekreuzigte Teufel" und "Matigari" wies Ngugi wa Thiong'o auf Missstände im unabhängigen Kenia hin - und wurde dafür verfolgt. Die Universität Bayreuth verleiht ihm nun die Ehrendoktorwürde.

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Der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong'o
Bild: picture-alliance/dpa

Keine Ehrendoktorwürde ohne besondere Verdienste. Diesen Grundsatz hat sich die Universität Bayreuth offenbar sehr zu Herzen genommen: Der kenianische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Ngugi wa Thiong'o, dem die Universität am Montag (05.05.2014) die Ehrendoktorwürde verleiht, hat sich gleich in mehrfacher Hinsicht verdient gemacht.

Sein 1964 erschienenes Werk "Weep Not, Child" (auf Deutsch: "Abschied von der Nacht") war der erste Roman eines ostafrikanischen Autors in englischer Sprache. Ngugi wa Thiong'o hatte an Ugandas renommiertem Makerere College und im britischen Leeds studiert. Später ging er jedoch dazu über, seine Werke ausschließlich in seiner Muttersprache Kikuyu zu verfassen - und schrieb auch damit wieder Geschichte. In der Urkunde zur Ehrenpromotion würdigt die Universität Bayreuth seine "herausragenden Verdienste um die Profilierung der afrikanische Literaturen, insbesondere der Literaturen in afrikanischen Sprachen."

Die Macht der Muttersprache

Die Abkehr vom Erfolgsrezept Englisch führt der Autor auf ein Schlüsselerlebnis zurück: 1976 bekamen er und sein Schriftstellerkollege Ngugi wa Mirii den Auftrag, ein Theaterstück für ein Volkstheater in der Nähe von Kenias Hauptstadt Nairobi zu schreiben. Damals lehrte Ngugi als Literaturprofessor an der Universität Nairobi. Gemeinsam überlegten sie, welche Sprache für das Stück angemessen wäre. Später reflektiert Ngugi wa Thiong'o: "Allein die Tatsache, dass wir uns fragen mussten, in welcher Sprache wir das Drama schreiben würden, sagt viel darüber aus, wie weit wir uns von unserer Heimat entfernt hatten." Die konsequente Antwort war, das Stück in Kikuyu, der Alltagssprache der Menschen vor Ort, zu schreiben. Mit mehr als sechs Millionen Sprechern ist es die am weitesten verbreitete Muttersprache in Kenia und auch die der beiden Autoren.

Das Theaterstück "Ngaahika Ndeenda" ("Ich heirate, wann ich will") wurde zum Erfolg. Die Geschichte handelt von einem Paar, das von lokalen Geschäftsleuten um sein Land betrogen wird: Sie müssen es verkaufen, um sich die teure Hochzeitsfeier leisten zu können. Das Stück lockte Zuschauer aus der ganzen Region an. Da es in der Sprache der Bauern und Arbeiter geschrieben war, die auch als Schauspieler aktiv eingebunden waren, identifizierten sich diese mit dem Stück und kamen in Massen zu den Vorstellungen. Sehr zum Unmut der Regierung, der Ngugis Einfluss als kritischer Denker offenbar zu weit ging. Sie verbot das Drama nach der neunten Aufführung, Ngugi kam für ein Jahr in Sicherheitsverwahrung.

Mutmaßliche kenianische Mau-Mau-Kämpfer knien im April 1953 in langen Reihen auf dem Boden
Kenias Unabhängigkeitskampf ist ein wiederkehrendes Thema in Ngugis WerkenBild: Getty Images

Doch die Haft festigte nur seinen Entschluss, fortan in seiner Muttersprache zu schreiben. Noch im Gefängnis entstand sein erster Kikuyu-Roman "Der gekreuzigte Teufel". Ngugi schrieb ihn heimlich auf Toilettenpapier. "Toilettenpapier im Gefängnis soll eine Strafe für die Gefangenen sein, deshalb ist es sehr rau", erklärte der Autor einige Jahre später. "Doch was für den Körper unangenehm ist, erwies sich als sehr gutes Schreibmaterial."

Das Erbe der Kolonialzeit

Literatur in afrikanischen Sprachen - das hatte es bis dahin kaum gegeben. Mit seiner Abkehr vom Englischen entfachte Ngugi eine hitzige Debatte. Ihm gegenüber standen Autoren wie der Nigerianer Chinua Achebe, deren Credo es war, sich die Kolonialsprachen zu eigen zu machen und sie an die afrikanische Lebenswirklichkeit anzupassen. Doch für Ngugi wurden Afrikas Kolonialsprachen zum Sinnbild neokolonialer Unterdrückung: "Auf die physische Gewalt des Schlachtfelds folgte die psychische Gewalt des Klassenzimmers", schrieb er 1986 in einem Essay. Zu der Zeit war er bereits ins englische Exil geflohen - er hatte erfahren, dass die Regierung von Präsident Daniel arap Moi einen Mordkomplott gegen ihn schmiedete.

Denn dem bereitete Ngugis Wirken zunehmend Unbehagen. Ngugis Held Matigari im gleichnamigen Roman war ein Rückkehrer aus dem Unabhängigkeitskrieg, dessen Siegestaumel bald erstickt wurde: Er muss erkennen, dass das befreite Land sich zum Polizeistaat entwickelt hat und die alten Kolonialisten schlicht von einer neuen Klasse der Herrschenden ersetzt worden sind - ein erhobener Zeigefinger in Richtung der kenianischen Regierung. Ngugis einleitender Hinweis, dass Ort und Zeit des Geschehens beliebig seien, hinderte Moi nicht daran, in ganz Kenia nach einem solchen Matigari fahnden zu lassen.

Kenias Präsident Daniel Arap Moi winkt 1992 mit seinem Präsidentenstab
Wegen des damaligen Präsidenten Moi (Bild) floh Ngugi ins ExilBild: AFP/Getty Images

Keine Zukunft in Kenia

Erst 2004, nachdem Moi sich aus dem Präsidentenamt verabschiedet hatte, traute sich Ngugi, zurückzukehren. Die Kenianer begrüßten ihn begeistert. Doch kurz darauf drangen Unbekannte in seine Wohnung ein, folterten den Schriftsteller und vergewaltigten seine Frau. Drei Täter wurden gefasst und wegen Vergewaltigung und Diebstahl zum Tode verurteilt. Ngugi selbst vermutete einen politischen Hintergrund der Tat und verließ Kenia zusammen mit seiner Frau wieder. Sein Heimatland war ihm zu gefährlich geworden. Zurzeit lebt der mehrfache Ehrendoktor und Professor für Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaft in den USA, wo er an der University of California, Irvine, lehrt.

Ngugis Texte werden in 40 Sprachen übersetzt; ins Englische übersetzt er sie meist selbst. Seine Vision aber bleibt, nämlich "dass Werke, die in afrikanischen Sprachen wie Luo oder Yoruba verfasst werden, direkt in andere afrikanische Sprachen übersetzt werden" - also ohne den Umweg über das Englische zu nehmen. "Das würde bedeuten, dass unsere Sprachen direkt miteinander kommunizieren." Seine Bemühungen, Afrika aus dem Schatten der Kolonialmächte zu erheben, sind vielleicht das größte Verdienst von Ngugi wa Thiong'o. Mit seinen Schriften habe er "einen grundlegenden Perspektivenwechsel in Bezug auf das Verhältnis zwischen Afrika und der Welt eröffnet", schreibt die Universität Bayreuth in der Urkunde zu seiner Ehrendoktorwürde.

Ngugi wa Thiong'o liest bei der Frankfurter Buchmesse 2006 aus seinem Roman "Wizard of the Crow"
Ngugi bei einer Lesung im Jahr 2006Bild: CC-BY-SA-Kanaka Menehune