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Kritik an türkischem Sicherheitsgesetz

Thomas Seibert28. März 2015

Nach der Verabschiedung neuer Sicherheitsgesetze in der Türkei befürchten Kritiker eine weitere Verschärfung des innenpolitischen Klimas. Schon der Maifeiertag in wenigen Wochen könnte neue Spannungen bringen.

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Polizisten in Istanbul (Foto: AFP/Getty Images/O. Kose)
Bild: AFP/Getty Images/O. Kose

Nach einer Marathonsitzung verabschiedete das Parlament in Ankara am Freitag mit den Stimmen der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP ein umstrittenes neues Demonstrationsstrafrecht, das der Polizei erweiterte Befugnisse einräumt. Die Festnahme von Demonstranten und der Schusswaffeneinsatz bei Kundgebungen werden erleichtert, die Behörden können Kundgebungen leichter verbieten als bisher. Kurz darauf passierte auch ein neues Internetgesetz die Kammer. Es gibt der Regierung das Recht, unliebsame Websites ohne Gerichtsbeschluss innerhalb von vier Stunden zu sperren.

Die säkulare Oppositionspartei CHP kündigte an, sie werde das neue Sicherheitsgesetz vor dem Verfassungsgericht anfechten. Wichtige Grundfreiheiten der Bürger würden verletzt. Einsprüche sind auch gegen das neue Internetgesetz zu erwarten. Das Verfassungsgericht hatte erst im vergangenen Jahr mit Entscheidungen nach der vorübergehenden Sperrung von YouTube und Twitter ausdrücklich die Befugnisse der Behörden beim Vorgehen gegen unerwünschte Web-Inhalte begrenzt.

Opposition befürchtet Folgen für den Wahlkampf

Mit dem neuen Sicherheitsgesetz zünde die Regierung eine politische "Atombombe", kommentierte der CHP-Politiker Levent Gök in der Oppositionszeitung "Cumhuriyet". Hasip Kaplan von der Kurdenpartei HDP sprach von einem "Faschismus-Paket", das da das Parlament passiert habe. Die HDP hatte die Regierung mehrfach vor der Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes gewarnt, weil dies den Friedensprozess zwischen Ankara und den Kurden gefährden könnte.

Mit dem neuen Gesetz ende die "Sicherheit der Opposition bei der Wahl", sagte Kaplan. So könne die Regierung dank neuer Abhör-Befugnisse ab sofort jeder internen Wahlkampfbesprechung der Oppositionsparteien lauschen und entsprechend reagieren. "Cumhuriyet" mutmaßte, die AKP verschaffe sich mit dem neuen Gesetz auch die Möglichkeit, mit Hilfe der Polizei in die Stimmauszählung nach der Wahl am 7. Juni einzugreifen. Das Gesetz gehe auf eine Order von Staatschef Recep Tayyip Erdogan zurück, der auf diese Weise die Grundlage für sein angestrebtes Präsidialsystem legen wolle.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan (Foto: Reuters/Umit Bektas)
In der Kritik: Der türkische Staatschef Recep Tayyip ErdoganBild: Reuters/Umit Bektas

"Schon jetzt viele Befugnisse"

Zwar betont die Regierung, alle Neuregelungen bewegten sich auf dem Boden der Vorgaben der EU, doch Kritiker bezweifeln das. "Es ist höchst besorgniserregend, dass schon wieder ein Gesetz verabschiedet wird, das der Regierung mehr Macht gibt, gegen Kritiker und die Opposition vorzugehen", sagte Emma Sinclair-Webb, Türkei-Vertreterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der Deutschen Welle. Das Gesetz könne mehr Polizeigewalt zur Folge haben. Das befürchtet auch Metin Bakkalci, Generalsekretär der türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV). Schon jetzt habe die Polizei in der Türkei "sehr viele Befugnisse", sagte er der Deutschen Welle. Diese Macht müsse begrenzt, und nicht noch weiter ausgeweitet werden.

Da mit einer raschen Zustimmung Erdogans zum Sicherheitsgesetz und zum Internetgesetz zu rechnen ist, könnte der Türkei schon bald eine Bewährungsprobe bevorstehen: Kundgebungen zum 1. Mai sind seit Jahren Anlass für Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Besonders das Nein der Behörden zum Wunsch der Gewerkschaften, am zentralen Taksim-Platz in Istanbul aufzumarschieren, sorgt für Spannungen. Der linke Gewerkschaftsbund DISK kündigte an, auch in diesem Jahr am Maifeiertag am Taksim demonstrieren zu wollen. Dagegen hatte der Istanbuler Gouverneur Vasip Sahin bereits vor zwei Wochen erklärt, er werde keine Kundgebung am Taksim genehmigen.