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Umweltverbände fürchten Einschränkungen

30. März 2018

Seit Jahren ziehen Umweltverbände vor Gericht, um ihre Interessen durchzusetzen. Das Gesetz räumt ihnen dabei immer mehr Möglichkeiten ein. Das könnte sich unter einer neuen Regierung ändern.

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BUND Kampagne gegen den Ausbau der Braunkohle
Nur anerkannte Umweltverbände wie der BUND dürfen vor Gericht ziehenBild: BUND

Eine Brücke soll über den Rhein gebaut werden, für einen Flughafen soll ein Naturschutzgebiet weichen. Wenn Natur und Großbauprojekte in Konflikt geraten bleibt Umweltverbänden oft nur eine Möglichkeit: klagen. Voraussetzung: Die Verbände müssen anerkannt sein. Das trifft beispielsweise auf die großen deutschen Umweltverbände "Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland" (BUND) und den "Naturschutzbund Deutschland" (Nabu) zu. Die führen auch die meisten Prozesse. Das jüngste Beispiel: Im Sommer 2017 zog der BUND vor Gericht, um die Rodung des Hambacher Forstes in Nordrhein-Westfalen zu verhindern.

Seit 2002 wurden die Möglichkeiten für Umweltverbände in Deutschland vor Gericht zu ziehen schrittweise ausgebaut. Zuerst durften sie nur klagen, wenn die Interessen Einzelner betroffen waren. Das hieß, dass Klagen aus Gründen des Artenschutzes oder wegen Verstößen gegen den Naturschutz nicht möglich waren. Das änderte sich 2011. Seitdem dürfen Umweltverbände auch im Namen der Allgemeinheit Prozesse führen.

Gibt es eine Klageflut?

Und dieses Recht nutzen die Umweltverbände auch. Kritiker sagen, zu oft und sprechen von einer Klageflut. Wichtige Infrastrukturprojekte würden so jahrelang behindert werden. Diesen Eindruck teilt Silvia Schütte vom Öko-Institut nicht: "Diese These ist wissenschaftlich nicht belegt". Das "Unabhängige Institut für Umweltfragen" habe beispielsweise Umweltklagen aus den Jahren 1996 bis 2012 untersucht und festgestellt, dass Umweltverbände etwa 30 Verbandsklagen pro Jahr führen. Zum Vergleich: An deutschen Verwaltungsgerichten wurden im Jahr 2011 rund 123 000 Klagen verhandelt.

Allerdings, das stellte Silvia Schütte vom Öko-Institut fest, sind die Umweltklagen überdurchschnittlich häufig erfolgreich: "Das liegt auch an einer Professionalisierung der Verbände." Laut einer Studie, die Schütte für das Umweltbundesamt durchgeführt hat, beschäftigen fast alle Verbände Rechtsbeihilfen und Gutachter. "Die Umweltverbände müssen auch mit ihren Ressourcen sparen. Sie überlegen sich genau, welche Prozesse sie führen. Sie konzentrieren sich auf die mit guten Erfolgsaussichten. Das sind häufig größere Prozesse mit erhöhter Aufmerksamkeit.", sagt Schütte der DW. Daher komme auch die verzerrte Wahrnehmung, Umweltverbände würden sehr viele Prozesse führen.

Braunkohlebagger von RWE arbeitet am Freitag bei Jülchen in der Nähe einer von BUND besetzten Streuobstwiese
Besonders wenn Industrieprojekte mit dem Naturschutz kollidieren, werden Umweltverbände aktiv Bild: picture-alliance/dpa

In Verruf geraten sind Umweltklagen, als Umweltverbände wie BUND und Nabu zu Beginn der 2000er anfingen, gerichtliche Vergleiche zu schließen und für den Rückzug ihrer Klagen Geld erhielten. In Thüringen beispielsweise erhielt der BUND nach einer Klage gegen die Vereinigten Energiewerke umgerechnet 3,6 Millionen Euro und gründete damit eine Stiftung. Seit sich die kritischen Stimmen gegen Stiftungen dieser Art mehren, hat der BUND seine Maßnahmen gegenüber gerichtlichen Vergleichen angeglichen. "Wir führen keine Prozesse, um einen Vergleich zu erzielen. Wenn es doch einmal dazu kommt, sind die Landesverbände und der Bundesverband angehalten, das Geld nicht selbst zu verwalten. Außerdem soll es nur für den Zweck genutzt werden, für den wir vor Gericht gezogen sind", sagt Andreas Faensen-Thiebes vom Bundesvorstand des BUND der DW. 

Nicht konform mit EU-Recht

Die Tatsache, dass Umweltverbände in Deutschland überhaupt klagen dürfen, verdanken sie dem internationalen Recht. Vor fast zwanzig Jahren haben zahlreiche Länder, darunter auch Deutschland, die Aarhus-Konvention unterzeichnet. Diese gewährte als erster völkerrechtlicher Vertrag jeder Person Rechte im Umweltschutz. Die Konvention wurde schließlich ins Europarecht überführt. Seitdem muss sich das deutsche Recht immer wieder am Europarecht messen. Mit dem Resultat, dass der Europäische Gerichtshof mehrfach entschieden hat: Das deutsche Umweltrecht ist mangelhaft. "Bis heute gibt es Lücken, die europarechtswidrig sind", sagt Dirk Teßmer, der unter anderem den BUND und den Nabu vertritt, der DW.

Dennoch, Umweltverbände haben heute mehr Rechte, als noch vor zehn Jahren. Das trifft besonders auf einen Bereich zu: Großbau-Projekte, wie beispielsweise der Bau eines Bahnhofs, müssen häufig vorher prüfen, ob ihr Vorhaben umweltverträglich ist. Seit 2013 können Umweltverbände dagegen vorgehen, wenn keine Prüfung gemacht wurde oder diese Fehler beinhaltet. "Es ist ein zähes Ringen. Ich weiß nicht wie viele Novellen das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz inzwischen hat. Wir haben eigentlich alle Jahre wieder eine Restriktion abgebaut, die vorher aufgebaut worden war", sagt Umweltanwalt Teßmer. 

Statt die Klagerechte der Umweltverbände weiter auszubauen, deutet der Koalitionsvertrag der neuen Regierung aus der sozialdemokratischen SPD und der konservativen CDU nun aber einen anderen Weg an. Darin heißt es, man wolle das Klagerecht der Verbände "in seiner Reichweite" prüfen. Außerdem soll ein Gesetz erlassen werden, dass die Planung von großen Infrastrukturprojekten erleichtert, indem man "rechtliche Vorgaben" ändert. Das könnte bedeuten, dass die Klagerechte der Verbände wieder zurückgefahren werden, um im Gegenzug  schneller große Bauprojekte durchzubringen. Auf Anfrage der DW wollte sich das "Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur" nicht äußern.

Hüttendorf im Kelsterbacher Wald
Nicht immer sind Umweltverbände erfolgreich. Gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens klagten sie vergeblichBild: Benjamin Braden

Für Andreas Faensen-Thiebes, Bundesvorstand beim BUND, ist eine Klausel im Koalitionsvertrag besonders problematisch. Laut Vertrag will die neue Bundesregierung sich dafür einsetzen, die sogenannte Präklusion wieder einzuführen. "Wenn ich beispielsweise gegen die Bebauung eines Moores klage und später feststelle, dass nicht nur das Moor in Gefahr ist, sondern auch eine ganz erhebliche Lärmbelästigung vorliegt, dann wird diese im Verfahren nicht mehr berücksichtigt. Denn das habe ich vorher bei der Einwendung nicht erwähnt", erklärt Faensen-Thiebes die Präklusions-Regelung. Diese wurde 2015 vom Europäischen Gerichtshof gekippt.

Der Umweltanwalt Dirk Teßmer findet für die Pläne im Koalitionsvertrag deutliche Worte: "Ich habe nicht einmal im Ansatz Verständnis, wieso man hingehen will und die Präklusion wieder einführen will. Dann soll man so ehrlich sein und sagen, wir ändern das Umweltrecht. Uns ist an der Stelle die Umwelt nicht so wichtig, wir möchten, dass hier ein Industrievorhaben in einem Naturschutzgebiet verwirklicht werden kann."

Gegensätze zusammen bringen

Lars Wagner vom "Verband Deutscher Verkehrsunternehmen" sieht tatsächlich ein Problem darin, dass die Planung von Infrastrukturprojekten zu lange dauert, bis tatsächlich endlich gebaut wird. Den Naturschutz sieht er dabei nur als einen Faktor von vielen. Den würden ohnehin inzwischen alle erfahrenen Planer bei großen Bauvorhaben mitbedenken. "Was man sich aber nicht leisten kann ist ein ewig langer Prozess, bis es dann mal zu einer Entscheidung kommt", sagt Wagner der DW. "Und: An eine Entscheidung müssen sich dann auch wirklich alle halten. Sonst bauen wir in Deutschland wirklich demnächst keine größeren Infrastrukturprojekte mehr. Und ich befürchte das wird einer modernen Volkswirtschaft auch nicht gerecht."

Wagner empfiehlt deshalb, alle Interessengruppen bei Großprojekten frühzeitig einzubinden, beispielsweise durch eine Expertenkommission. Für eine Einbindung der Umweltverbände spricht sich auch Faensen-Thiebes vom BUND aus. Er plädiert dafür, den Umweltschutz ernst zu nehmen: "Umweltschutz ist ein Ziel des Grundgesetzes. Das ist kein Luxus, den man am Sonntagnachmittag betreibt. Das ist ein Staatsziel, wir haben uns verpflichtet, Klimaschutz zu betreiben." Anstatt Umweltverbänden weniger Klagerechte einzuräumen, solle man sie deshalb lieber frühzeitig in große Infrastrukturprojekte einbeziehen.