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Neue Spieler in der Außenpolitik

Marina Strauß, Maximiliane Koschyk24. Juni 2015

Politiker und Diplomaten bestimmen das Weltgeschehen in Hinterzimmern. Diese Meinung ist weit verbreitet. Aber stimmt das? Besucher des Global Media Forums erproben, wie sie mit Hilfe sozialer Netzwerke mit entscheiden.

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GMF 2015 Conflict in “Kulmeria” — A media and conflict simulation
Bild: DW/M. Magunia

Alle starren gebannt auf ihre Smartphones. Plötzlich poppt "Public“ auf dem Bildschirm eines Teilnehmers auf. In Raum D im World Conference Center spielen die Besucher die Simulation "Kulmeria“. Neben der Rolle "Public“, den Bürgern, gibt es noch die NATO, die Kulmerian Freedom Army (KFA) und die Medien. Zu Beginn des Spiels haben NATO- und KFA-Spieler 45 Sekunden Zeit, eine kurze Nachricht zu lesen und sich dann zwischen zwei Antworten zu entscheiden. Die Medien müssen daraufhin eine Überschrift und ein Foto wählen. Beides erscheint sofort danach in der fiktiven Online-Zeitung "The Vigilant“.

Anhand der Zeitung entscheiden die Bürger, ob sie die Aktion der NATO befürworten oder nicht. Ein Meinungsbarometer zeigt an, welche Einstellung die Öffentlichkeit zur NATO hat. Unterstützen nur wenige Spieler eine Entscheidung, verliert die Organisation einen Partner. Die KFA hingegen gewinnt einen. Ziel des Spiels ist es, möglichst viele Unterstützer zu sammeln.

Labor zur Manipulation der öffentlichen Meinung

Auch wenn Kulmeria ein fiktives Land ist, Ähnlichkeiten sind gewollt. "Bei vielen Konflikten stehen westliche Mächte vor der Frage, wie sie damit umgehen sollen“, sagt Spieleentwickler Peter Mantello, Professor an der Ritsumeikan-Asia-Pacific-Universität. "Schicken wir Hilfe und militärische Berater? Fliegen wir Luftangriffe?“ Ein Beispiel dafür sei aktuell der Irak. Wie die Medien über die Gräueltaten von ISIS berichten, beeinflusse das Denken der US-Amerikaner über den Einsatz von Bodentruppen. "Kulmeria" hole den Nutzer aus der Ecke des passiven Zuschauers. Der Spieler treffe selbst aktiv Entscheidungen und könne so einen Meinungsumschwung besser nachvollziehen. Die Entwickler zeigen mit der Simulation, wie Berichterstattung, Konflikte und die öffentliche Meinung zusammenhängen.

Verstärken soziale Netzwerke Proteste?

GMF 2015 Conflict in “Kulmeria” — A media and conflict simulation
Peter Mantello entwickelte die KonfliktsimulationBild: DW/M. Magunia

Thomas Lansner, einer der Ideengeber von Kulmeria, nutzt das Global Media Forum für Recherchen. Er besucht Workshops, zum Beispiel "Jenseits von sozialen Netzwerkern – wie Bürger Außenpolitik in Demokratien beeinflussen können". Während die Teilnehmer debattieren, sitzt in Berlin der Al Jazeera-Journalist Ahmed Mansour in Haft. Lanser steht auf und informiert die Runde, dass Mansour freigelassen werden soll. Deutschland war für die Verhaftung in den Medien scharf kritisiert worden.

War der Druck so groß, dass Mansour schließlich freikam? Es sei nur ein Beispiel für den Einfluss von Bürgern und sozialen Netzwerken auf außenpolitische Themen, sagt Nik Gowing, Journalist der BBC. Soziale Netzwerke hätten den Effekt von Protesten verstärkt. Erst 2013 habe es eine große öffentliche Debatte gegeben über den Giftgasanschlag in Damaskus – mit der Folge, dass britische Parlamentarier aus der Sommerpause geholt wurden, um über einen Militärschlag gegen Syrien abzustimmen.

Drohende Zensur lässt kritische Medien verstummen

Dina Ahmed El Basnali geht das nicht weit genug. Die Medien in ihrer Heimat seien zu neutral, sagt sie. El Basnali ist Journalistin beim ägyptischen Fernsehsender ONTV. Die Medien müssten kritischer sein, doch private Fernsehkanäle seien in ihrer Berichterstattung durch die immer drohende staatliche Zensur eingeschränkt. Dabei hätten die privaten Sender ein größeres Publikum als die staatlichen. Ein Beispiel sei die Sendung von Reem Maged. "Women at a Turning Point" wurde gemeinsam von ONTV und DW produziert und ausgestrahlt. Doch dann zwangen die ägyptischen Sicherheitsbehörden ONTV, das Programm wieder abzusetzen.

Die angespannte Situation lasse keine ausgewogene Berichterstattung zu, sagt El Basnali. Deshalb nutzten die Bürger soziale Netzwerke. Ob "Citizen Journalism" eine Option sei, will ein Medientrainer aus dem Publikum wissen. Damit könnten auch Bürger vernachlässigte Themen aufgreifen. "Ich wäre vorsichtig", sagt Edith Enotai von der ungarischen Wochenzeitung Figylö. Ungeprüft könne man sich nicht auf diese Informationen verlassen.

Portrait Dina Ahmed El Basnaly, Gast beim Global Media Forum 2015 (Copyright:Dina El Basnaly)
Dina El Basnaly beklagt Zensur in den ägyptischen MedienBild: Dina El Basnaly

Cornelius Adebahr von der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden moderiert die Veranstaltung. Soziale Netzwerke würden vermitteln und spielten eine Rolle beim Steuern von Themen, ist sein Fazit.

Menschen entscheiden nicht alleine

Portrait Cornelius Adebahr (Foto: Carnegie/Kaveh Sardari)
Soziale Netzwerke steuern Themen: Cornelius Adebahr beim GMFBild: Carnegie/Kaveh Sardari

Das haben die Spieler in der Konfliktsimulation von Kulmeria ganz praktisch erfahren. Allerdings bildet das Spiel die Komplexität der Realität noch nicht in allen Einzelheiten ab. Ein Defizit ist zum Beispiel, dass das Szenario nur ein einziges Medium kennt, das die Entscheidungen der Bürger beeinflusst. Die Spielemacher wollen das ändern. In Kulmeria sollen in Zukunft verschiedene Medienformate die Meinungen der Spieler beeinflussen. "Es sollte auch möglich sein, dass der Konflikt sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln kann – je nachdem, wie sich die Spieler entscheiden", sagt Peter Mantello.

Bisher endet die Simulation nach 15 Szenarien. Bisher gibt es auch nur ein Ende, und das sieht vor, dass der Konflikt nicht gelöst wird. Es herrscht zwar Waffenstillstand, aber der Konflikt liegt eingefroren auf Eis. Die Entwickler haben noch viel zu tun, um der Realität ein Stückchen näher zu kommen. So denken sie zum Beispiel über eine Chatfunktion nach, über die die Mitglieder desselben Teams diskutieren und gemeinsame Entscheidungen treffen können. "Der Kommunikationsprozess ist wichtig", sagt Mantello. "Menschen entscheiden nicht alleine".