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Rechtsextremismus im Westen

Wolfgang Dick23. April 2012

Lange sah es so aus, als sei Rechtsradikalismus vor allem ein ostdeutsches Problem. Doch die rechtsextremen Straftaten in Westdeutschland nehmen zu, etwa in Bayern. Auch dort nehmen Neonazis Migranten ins Visier.

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ARCHIV - NPD-Anhänger in Springerstiefeln stehen vor einem Wahlplakat der NPD (Archivfoto vom 12.3.2000). Die Innenminister des Länder und des Bundes beraten auf ihrer Herbstkonferenz in Wiesbaden ab Donnerstag (08.12.2011)) über den Kampf gegen den rechten Terror. Nach Aufdeckung der Neonazi-Mordserie wird es auch darum gehen, ob die Politik erneut ein Verbot der rechtsextremistischen NPD beantragt. Foto: Kalaene Jens dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bild: picture-alliance/dpa

Einige Meldungen aus dem Raum Nürnberg in Bayern: Rechtsradikale bedrohen eine Gruppe junger Kurden, sie rufen "Verschwindet, ihr Scheiß-Türken". Als die Beschimpften nicht reagieren, greifen mehrere Neonazis an und schlagen die Migranten brutal zusammen. Für eines der Opfer geht es um Leben und Tod. Der junge Mann fällt ins Koma, überlebt schließlich schwer verletzt.

Eine andere Szene: Einige Jugendliche halten eine Mahnwache für Opfer rechtsradikaler Gewalt, "Nie wieder Faschismus" steht auf ihren Transparenten. Plötzlich werden sie von Vermummten mit gezündeten Feuerwerkskörpern beworfen. Danach ist das Jugendzentrum mit Hakenkreuzen verschmiert, dazu der Spruch: Wir kriegen Euch alle!

Immer radikaler - immer öffentlicher

Ein weiterer Fall: Ganz leise kommen die Täter in der Nacht und schlagen alle Fenster eines Autos ein, zerstechen die Reifen und schütten stinkende Buttersäure durch den Briefkasten in den Hausflur. "Tagelang konnten meine Familie und ich nur mit einem Würgereiz das Haus betreten", erzählt Michael Helmbrecht aus Nürnberg. Er engagiert sich in der "Allianz gegen Rechts" und las nach dem Angriff im Internet auf der Seite der regionalen rechtsradikalen Bewegung, er habe jetzt wohl seine "Kristallnacht" erlebt. Eine zynische Anspielung auf die Reichspogromnacht im Jahr 1938. Nazis in Deutschland steckten damals Synagogen und Geschäfte von Juden in Brand.

Zerstörtes Auto eines Journalisten Foto: privat, Michael Helmbrecht Nutzungsrechte: DW eingeräumt - zeitlich und örtlich unbegrenzt
Das Auto von Michael Helmbrecht aus Nürnberg wurde von Neonazis beschädigt.Bild: privat

Die Liste dieser Taten Rechtsradikaler ließe sich fortführen. Allein für die Zeit zwischen November 2011 und April 2012 notiert Herbert Fuehr in Nürnberg rund 50 Angriffe auf Personen, Sachbeschädigungen und persönliche Bedrohungen. Der Redakteur bei den "Nürnberger Nachrichten" berichtet kritisch über den rechtsextremen Terror - und findet deshalb ein Foto von sich auf den Internetseiten der Neonazis veröffentlicht. Dazu der Kommentar: "ein geistiger Brandstifter".

Umgekippte Grabsteine auf jüdischem Friedhof Foto: Nürnberger Nachrichten
Von Neonazis geschändete jüdische GräberBild: Nürnberger Nachrichten

Was sich in Bayern ereignet, findet auch in anderen Regionen Westdeutschlands statt. "Es wird schlimmer, brutaler und es passiert immer weniger versteckt", berichtet Michael Helmstedt von der "Allianz gegen Rechts".

Gezielte Angriffe

Die Zahl rechtsextremer Gewalttäter allein im Raum Nürnberg schätzen Polizei und Verfassungsschutz auf mehrere hundert. Viele dieser Personen verbergen sich nicht einmal. So wurden Michael Helmbrecht und seine Familie drei Tage lang von 250 Neonazis belagert. Diese hatten eine Wiese neben dem Haus von Familie Helmbrecht gemietet und grölten dort eindeutige Parolen. Die Helmbrechts erhielten umfangreichen Polizeischutz und Freunde zogen ein, um ihre Solidarität zu zeigen.

Kein Platz für Neonazis - Polizeischutz für Anti-Rechts-Demonstranten Foto: Nürnberger Nachrichten
Protest gegen Rechtsradikale in WeißenburgBild: Nürnberger Nachrichten

Nach Ansicht von Experten zeigt der Rechtsradikalismus in Westdeutschland immer mehr Handlungsmuster, die aus Ostdeutschland bereits bekannt sind: Migranten und Menschen, die sich gegen Rechtsextreme engagieren, werden ausspioniert und gezielt unter Druck gesetzt. Es gebe Familien, deren Autos mehrfach in Brand gesteckt wurden, beschreibt Günter Pierzig, Sprecher des Nordbayrischen Bündnisses gegen Rechts.

Die Angst vor Angriffen steigt. In Weißenburg in Bayern zum Beispiel. Neonazis streben von den Städten verstärkt in ländliche Gebiete. Noch vor einigen Wochen marschierte eine rechtsextreme Gruppe öffentlich in Weißenburg auf. Davor und danach wurden Fensterscheiben von Büros demokratischer Parteien eingeworfen und fremdländisch aussehende Menschen mit Messern attackiert. Murat, ein türkischstämmiger Gemüsehändler, macht sich Sorgen: "Das zu erleben, ist nicht schön. Man fühlt sich nicht einmal mehr als Mensch zweiter, sondern dritter Klasse."

Hilflosigkeit bei Behörden und Politik

Nur selten werden die Täter ermittelt. Viele Bürger wollen von Attacken der Rechtsradikalen nichts bemerkt und nichts gesehen haben. Es gilt: Man hält sich besser raus, um nicht selbst bedroht zu werden. Natürlich arbeitet die Polizei trotzdem an der Aufklärung. Opfer von Angriffen fühlen sich dennoch vom Staat im Stich gelassen. Dabei räumen Michael Helmbrecht sowie Doris Groß vom Nürnberger Büro für Menschenrechte ein, dass die Polizeibehörden nach der bekannt gewordenen rechtsradikalen Mordserie an neun Bürgern aus der Türkei und Griechenland sowie an einer Polizistin jetzt besonders aufmerksam und sehr bemüht sind, rechtsradikalen Gewalttaten auf die Spur zu kommen.

Gemüsehändler Murat in weißenburg. Foto: DW.
Gemüsehändler Murat in WeißenburgBild: DW
Jürgen schröppel, Oberbürgermeister Weißenburg in Bayern, , kämpft mit Trillerpfeife gegen Naziaufmarsch. Foto: Rüdiger Löster, Organisation Endstation Rechts, Bayern
Jürgen Schröppel, Oberbürgermeister in Weißenburg, mit Trillerprfeife gegen NazisBild: Rüdiger Löster

Jürgen Schröppel als Oberbürgermeister der Stadt Weißenburg verteidigt die Verwaltung vieler Städte, die Versammlungen von Neonazis zulassen müssen. Das Demonstrationsrecht in der deutschen Verfassung stehe allen gesellschaftlichen Gruppen zu, solange es bei den Aufmärschen zu keinen Straftaten komme. "Natürlich sagt man als erste Reaktion aus dem Bauch heraus, die lassen wir nicht aus dem Zug aussteigen und verbieten das Ganze", gibt Schröppel zu. Als ehemaliger Richter aber stehe er zum Grundrecht der Meinungsfreiheit. "Eine Demokratie muss auch extreme Kräfte aushalten." Schröppel reagierte auf das Treiben der Neonazis in seiner Stadt, indem er sich Hilfe bei den Bündnissen gegen Rechts suchte und eine Gegendemonstration organisierte.

Front gegen Neonazis

Um rechtsradikale Aktivitäten wirksam zu bekämpfen, muss Widerstand rechtzeitig und öffentlich geleistet werden, berichten engagierte Bürger. In Regensburg zeigen zum Beispiel Wirte von Restaurants und Hotels, wie man Treffen von Rechtsextremisten verhindert. Martin Seitel vom Kolpinghaus Regensburg hat sich dabei etwas Besonderes einfallen lassen. Weil er nicht jeden der Gäste auf seine politische Gesinnung hin überprüfen könne, stelle er immer dann, wenn ihm eine Gruppe verdächtig vorkomme, ein Bild auf. Darauf steht: "Mein Freund ist Ausländer". Damit sei klar, was er als Wirt wolle. "Man muss deutlich Position beziehen und klar machen, dass Fremdenfeindlichkeit hier nicht geduldet wird."

Gastwirt Franz Seitel, Foto: DW
Martin Seitel, Gastwirt in RegensburgBild: DW
Wirte aus Regensburg präsentieren "Anti-Rassisten-Aufkleber" Foto: DW
Initiative gegen Rassismus aus RegensburgBild: DW

Noch einen Schritt weiter geht eine Initiative, die direkt an der Tür zu Kneipen und Restaurants in Regensburg deutlich macht, dass für rechtsextreme Meinungen kein Platz ist. Auf einem Aufkleber steht: "Rassisten werden hier nicht bedient". Tatsächlich haben sich bisher alle teilnehmenden Wirte daran gehalten, sprechen Platzverweise aus und nehmen vor allem Versammlungen von Neonazis nicht mehr an.

Nicht die Wirte, sondern Studenten hatten sich die Aktion ausgedacht. Zunächst waren sie skeptisch, ob sie genügend Teilnehmer zusammen bekommen würden. Dass letztlich über 140 Wirte den Aufkleber an ihre Türen pappten, hat alle überrascht. "Schade ist nur", sagt der türkische Gemüsehändler in Weißenburg, "dass meist nur linke Aktivisten oder politisch organisierte Gruppen den Mut haben, sich gegen Nazis zu stellen. Die breite Bevölkerung schaut leider immer noch schweigend zu".