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Ein politischer Kopf: Navid Kermani

18. Oktober 2015

Navid Kermani schreibt brisante Bücher, regt politische Debatten an und bezieht Stellung zur Konfrontation von Islam und den Weltreligionen. Heute wird ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen.

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Schriftsteller Navid Kermani
Bild: picture-alliance/dpa/T. Frey

Navid Kermani ist ein hochpolitischer Autor, der die Entwicklungen in der Welt mit seismographischen Antennen beobachtet. Über sich selbst sagt er, dass er immer ein politischer Mensch gewesen sei. Deshalb schreibt er nicht nur wissenschaftliche Abhandlungen zu den großen Gegenwartsfragen unserer multireligiösen Gesellschaft, sondern ist auch nach wie vor als Publizist für die "Frankfurter Rundschau", "Die Zeit", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die "Süddeutsche Zeitung" tätig. Auch für die DW hat Kermani als Gastautor schon geschrieben und in Interviews Stellung bezogen zu aktuellen Fragen.

Sein Werk, für das er mit zahlreichen Preisen geehrt wurde, umfasst Romane, Kurzgeschichten, Literaturkritiken, Essays und Reportagen über Religion und den arabischen Raum. Oft schreibt er Beobachtungen vor Ort, im Iran, Ägypten und Syrien und den Ländern, die er regelmäßig bereist . "Reportagen sind für mich genauso wichtig und bedeutend wie ein Roman oder meine wissenschaftlichen Fachbücher", sagt Kermani im DW-Interview. Der genaue, vorurteilslose Blick auf die Menschen würde den Blick dafür öffnen, was jenseits der politischen Schlagzeilen und aktuellen Nachrichten passiere.

Sein Thema: Islamismus und Integration

Geboren wurde Navid Kermani 1967 im sauerländischen Siegen, als Sohn einer strenggläubigen Arztfamilie aus dem Iran. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Köln, mitten im innerstädtischen Veedel, wie die Kölner Stadtteile genannt werden. Der Begriff "kölscher Perser" ist für ihn kein Schimpfwort, seine beiden Töchter gehen auf eine katholische Schule. Die junge Familie lebt Integration sehr fröhlich und lebensnah.

Bereits als 15-Jähriger veröffentlichte Kermani seine ersten Artikel in der örtlichen Lokalzeitung. In Köln, Kairo und Bonn studierte er später Orientalistik, Theaterwissenschaften und Philosophie und beschäftigte sich für seine Promotion intensiv mit der Rezeption des Koran. "Gott ist schön" hieß das Buch, das daraus 1999 entstanden ist.

Deutschland Navid Kermani Schriftsteller
Kermani bei einer Lesung in Köln im März 2015Bild: picture alliance/dpa/H. Galuschka

In Isfahan, der iranischen Heimatstadt seiner Eltern, gründete er 1994 ein Sprach- und Kulturzentrum, das er mehr als vier Jahre lang leitete. Seine Studien konnte er dann am Wissenschaftskolleg in Berlin fortsetzen. Nach einem Zwischenaufenthalt als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom arbeitete Kermani von 2009 bis 2012 als Fellow am renommierten KWI, dem Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Inzwischen lehrt der habilitierte Orientalist als gefragter Gastdozent im In- und Ausland.

Literarische Gedankengebäude

Bekannt wurde Navid Kermani aber vor allem in Talkshows und mit seinen Büchern. Sein erster literarischer Text erschien 2002 und war ein erstaunliches Gedankengebäude: die Musik von Neil Young, die therapeutische Wirkung von Musik auf die Drei-Monats-Koliken von Kindern - die Kermani als junger Vater gerade miterlebt hatte - und seine eigene Biografie wurden da verwoben. Alles scheinbar spontan erzählt, im Gestus der Elternratgeber, die in jeder Bahnhofsbuchhandlung zu kaufen sind. Das fiel aus dem Rahmen. Aber auch dies Buch war schon ein "echter Kermani": durchdacht, kulturkritisch hinterfragt und kenntnisreich geschrieben. Seine späteren Romane (darunter "Dein Name") wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Unter anderem bekam er 2012 als "Vordenker für die Zukunft" den Kleist-Preis, 2014 den renommierten Joseph-Breitbach-Preis für sein literarisches Gesamtwerk.

Im Vorfeld der Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 sollte Kermani gemeinsam mit dem Katholiken Kardinal Karl Lehmann, dem Protestanten Peter Steinacker und dem Juden Salomon Korn den Hessischen Kulturpreis verliehen bekommen - sein auch politisches Engagement für einen religionsübergreifenden Dialog sollte ausgezeichnet werden. Aber die beiden christlichen Mitpreisträger lehnten es ab, mit ihm zusammen den Preis entgegenzunehmen, da sie Anstoß an einem Feuilleton-Artikel Kermanis über ein Kreuzigungsgemälde nahmen: ein Eklat. Kermani wurde der Preis wieder aberkannt. Nach einer breiten öffentlichen Diskussion musste sich der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch bei Kermani entschuldigen und zeichnete ihn schließlich doch mit dem Hessischen Kulturpreis aus.

Diskurs auf der politischen Bühne

Kermani ist vielseitig: Als Regieassistent sammelte er am Schauspiel Frankfurt und bei Roberto Ciullis Theater an der Ruhr Erfahrungen in Dramaturgie und der Aufbereitung von literarischen Stoffen für die Bühne. Von 2005 bis 2007 konnte er als Regisseur und "Kurator für außergewöhnliche Veranstaltungen" seinen literarischen Neigungen auch im Theater seiner Heimatstadt Köln nachgehen. Kurz darauf veröffentlichte er zum ersten Mal ein Kinderbuch ("Ayda, Bär und Hase") und erstaunte damit die Literaturkritiker, die von ihm komplexe religionswissenschaftliche Abhandlungen gewohnt waren.

Bundestag Feierstunde Navid Kermani 23.05.2014
Kermani vor dem Bundestag auf der Feierstunde anlässlich des 65. Jahrestages des Inkrafttretens des GrundgesetzesBild: picture-alliance/dpa

2007 übernahm Navid Kermani auch öffentlich politische Verantwortung: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble holte ihn als Religionswissenschaftler und Experten in die Islam-Konferenz. Der Buchautor plädierte in der nachfolgenden Integrationsdebatte immer wieder für einen differenzierten Blick auf die Religionen und kritisierte jede Form von Fundamentalismus. Sein Buch "Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime" fand in Deutschland viel Beachtung. Kermanis leidenschaftlicher Einsatz für eine großzügigere Flüchtlingspolitik in Deutschland hatte auch im Ausland positive Resonanz. Mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 wird jetzt auch sein nachhaltiges Engagement für ein friedliches Miteinander unterschiedlicher Kulturen in Deutschland und in Europa ausgezeichnet.