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Das Milliardengeschäft Umweltkriminalität

14. Oktober 2022

Interpol schätzt: Kartelle verdienen durch weltweite Umweltkriminalität dreistellige Milliardenbeträge. Je knapper die Ressource Natur, desto brutaler das Geschäft mit ihr.

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Brasilien Einzelner Baum nach Abholzung im Amazonas Regenwald
Viele Rodungen im Amazonas-Regenwald sind illegal, doch die Täter kommen oft davonBild: Getty Images/AFP/R. Alves

Sasa Braun hat in den 28 Jahren, die er als Ermittler arbeitet, schon viel gesehen. Seit sechs Jahren ist er für Deutschland bei der internationalen Polizeibehörde Interpol für den Bereich Umweltkriminalität abgeordnet. Und hier verschlägt es auch dem Profi oft die Sprache. "Die Brutalität und die Gewinnspannen im Bereich Umweltkriminalität sind kaum vorstellbar. Ganze Bereiche im illegalen Bergbau, im Holzhandel oder bei der Müllentsorgung sind von Kartellen übernommen worden", so der Kriminalbeamte.

Bei einem Pressegespräch mit deutschen Politikern will er diese für das Thema sensibilisieren. Und erzählt deshalb von Dörfern in Peru, die sich gegen Abholzungen gewehrt haben und deshalb von kriminellen Kartellen dem Erdboden gleichgemacht wurden, von illegalen Fischfangflotten, die die Seeleute über Bord geworfen haben, um sie nicht bezahlen zu müssen. Holz und Fisch landen auch in Deutschland.

Umweltkriminalität kennt viele Spielarten: das illegale Einleiten von Stoffen in die Luft, ins Wasser oder den Boden, den illegalen Handel mit wild lebenden Tieren, den illegalen Holzeinschlag und die illegale Müllentsorgung. Kein Bereich der Natur scheint sicher.

Brasilien Rio de Janeiro Gramacho Müllkippe
Illegale, von einer kriminellen Mafia kontrollierte Müllkippe in BrasilienBild: picture-alliance/dpa/G. Ismar

Für die international organisierten kriminellen Netzwerke bedeutet es vor allem ein lukratives Geschäft. Nach Zahlen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen von 2016 hat allein der illegale Müllmarkt Gewinnspannen in Höhe von 10 bis 12 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Denn die Kosten für eine fachgerechte Entsorgung werden eingespart, entsprechende Genehmigungen nicht eingeholt. Renditen, die für die Mafia mittlerweile interessanter geworden sind als die aus dem Drogengeschäft.

Holz ist das neue Gold

Und auch beim illegalen Holzeinschlag sind die Profite gewachsen. Alte, gut abgelagerte Tropenhölzer, zum Beispiel für Yachten, sind selten und der Bedarf an Holz durch das Bauen enorm. Katharina Lang, Projektmanagerin Forest Crime beim deutschen Zweig der Umweltschutzorganisation WWF, klagt, dass sich der Verbraucher bei keinem Produkt sicher sein kann, ob das Holz dafür nicht illegal geschlagen wurde. Laut einer Studie des VDI-Technologiezentrums von 2021 macht der illegale Holzeinschlag bis zu 30 Prozent der weltweiten Aktivitäten im Forstsektor aus. In den wichtigsten tropischen Erzeugerländern sind es demnach sogar bis zu 90 Prozent.

Die deutsche Holzhandelsverordnung, die einen Herkunftsnachweis vorsieht, wollte dem einen Riegel vorschieben. Doch oft ist es reiner Etikettenschwindel. Das konnte der WWF wiederholt nachweisen. Das vermeintliche Schnäppchen enttarnt sich als minderwertiges Abfallholz; deklariert ist es als Bangkirai-Holz aus Vietnam.

Kostbares Tropenholz
Tropenholz ist kostbar, seine Herkunft oft unklarBild: DW/H. Jeppesen

Maßgeblich treibt der WWF Deutschland deshalb die Isotopenmethode voran. Das ist eine Art genetischer Fingerabdruck des Holzes. Damit kann die Organisation wichtige Hinweise an die Behörden geben. Für den Interpol-Ermittler Braun ist die Zusammenarbeit mit den NGOs von unschätzbarem Wert. Aber in vielen Ländern werden deren Aktivitäten überhaupt nicht geschätzt. Vor allem in denen, die ein Korruptionsproblem auf allen Ebenen haben und selbst in kriminelle Netzwerke verstrickt sind.

Die Dunkelziffer ist hoch

Nach Schätzungen von Europol werden durch Umweltkriminalität jedes Jahr zwischen 110 und 280 Milliarden US-Dollar an illegalen Gewinnen erzielt. Umweltkriminalität ist mittlerweile das drittgrößte Verbrechen weltweit – nach Drogenhandel und Produktpiraterie.

Allein die große Spanne bei den Schätzungen zeigt, dass die Dunkelziffer hoch ist. Vermutlich sogar sehr hoch. Denn anders als bei anderen Verbrechen kann die Natur nicht klagen. "Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass wir bei Umweltkriminalität von einem Kontrolldelikt sprechen. Das heißt, häufig treten Fälle von Umweltkriminalität gar nicht zutage. Sie werden nur dann aufgedeckt, wenn bewusst und gezielt Kontrollen durchgeführt werden", so Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere vom WWF. Deshalb konnte sich die organisierte Kriminalität bisher ziemlich sicher sein, dass ihre Umweltverbrechen sehr selten überhaupt auffliegen, und wenn, die Strafen eher gering ausfallen.

Noch fehlt der politische Wille

Egal, wen man fragt, was zu tun sei, die Meinung ist einhellig: Personal, Personal, Personal. Doch das setzt voraus, dass die politisch Verantwortlichen dem Thema Umweltkriminalität überhaupt Bedeutung beimessen. Moritz Klose vom WWF nennt der DW gegenüber dafür ein Beispiel: "Wir hatten vor einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen eine Stabsstelle Umweltkriminalität im Umweltministerium. Die war sehr erfolgreich. Da haben ein erfahrener Ermittler und ein Staatsanwalt zusammen die Fälle von Umweltkriminalität in Nordrhein-Westfalen koordiniert, haben die Behörden beraten, haben die Ermittlungen zum Teil selbst durchgeführt, und da hat man gesehen, das hat sehr gut funktioniert. Diese Stelle wurde jetzt wieder eingestampft, aus politischen Gründen." Ein Fehler, den man in NRW nun wieder rückgängig machen will.

Myanmar | WWF Bericht Wildtierhandel
Mit illegalem Wildtierhandel hat auch Deutschland ein Problem. Das Bild wurde vom WWF herausgegeben.Bild: James Morgan/World Wildlife Fund/AP/picture alliance

Sonst hat nur das östliche Bundesland Brandenburg seit zwei Jahren eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft Umweltkriminalität. Aber auch dort klagt man über die mangelnde Personalausstattung. Weiterhin wären europaweite Operationszentren nötig, und Richter, Staatsanwälte, Polizei und Zoll müssten im Bereich Umweltkriminalität sensibilisiert und geschult werden.

Sasa Braun von Interpol wünscht sich, dass bei Umweltverbrechen die gleichen Ermittlungsmaßnahmen möglich sind wie bei anderen schweren Straftaten: verdeckte Ermittlungen, Abhören, GPS-Tracking und Observation. Nur so könne man der organisierten Umweltkriminalität beikommen. Sein Eindruck ist: "Oft wird es noch als Bagatelldelikt gesehen und nicht als ein Verbrechen an unserer Zukunft", so Braun gegenüber der DW.

Hilft das neue EU-Umweltstrafrecht?

Viele Hoffnungen richten sich nun auf das neue EU-Umweltstrafrecht, das die alte Richtlinie in der EU von 2008 ablösen soll. Denn auch EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius sieht enormen Nachbesserungsbedarf: "Zu oft gibt es in Europa keine wirkliche Strafe für Umweltkriminalität. Gesetzesbrecher können unbestraft bleiben, und es gibt zu wenig Anreize, das Gesetz einzuhalten. Das wollen wir ändern", so der EU-Kommissar.

Virginijus Sinkevicius I EU-Kommissar für Umwelt und Ozeane
EU-Umweltkommissar Sinkevicius: Zu wenig Anreiz, sich an das Gesetz zu haltenBild: picture-alliance/AP/F. Seco

Doch die führenden Umweltverbände Deutschlands befürchten, dass das Schwert nicht so hart geschmiedet wird, wie es nötig wäre. In einem offenen Brief an den deutschen Justizminister Marco Buschmann fordern sie diesen auf, dass Deutschland die Gesetzgebung nicht ausbremsen oder verwässern dürfe.

Einer ihrer Kritikpunkte: Sein Eintreten für ein gegenüber dem EU-Kommissionsvorschlag niedrigeres Höchststrafmaß bei schweren Umweltstraftaten für natürliche Personen und niedrigere Geldstrafen für juristische Personen, also Unternehmen. Auf andere Maßnahmen weist Stephan Sina, Umweltjurist bei der Forschungseinrichtung Ecologic Institute, gegenüber DW hin: "Bei den Sanktionen ist es vor allen Dingen wichtig, dass der durch eine Straftat erlangte Gewinn systematisch abgeschöpft wird. Das nämlich trifft die Täter in der Regel härter als die eigentliche Strafe."

Noch haben die Umweltverbände Zeit zu überzeugen. Bis Mitte 2023 will die EU das neue EU-Umweltstrafrecht beschließen.

Milliardengeschäft Umweltkriminalität

 

Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version hatten wir Moritz Klose mit einem falschen Vornamen zitiert. Wir bitten um Entschuldigung.