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PolitikLibyen

Nach gemeinsamer Erklärung: Neue Hoffnung für Libyen?

14. März 2024

Die Konfliktparteien in Libyen beteuern, gemeinsam einen Weg aus der Dauerkrise des Landes finden zu wollen. Es soll auch Wahlen geben. Ob aber den Absichtsbekundungen bald Taten folgen werden, ist fraglich.

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Treffen des Generalsekretärs der Arabischen Liga mit libyschen Politikern
Treffen des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Abul Gheit (Mitte links), mit Vertretern der libyschen KonfliktparteienBild: Ahmed Hatem/AP Photo/picture alliance

Nach Jahren von Zwist und Krieg scheint man in Libyen einmal mehr einen neuen politischen Aufbruch anzustreben. Das lässt ein Treffen von höherrangigen libyschen Politikern in Kairo vermuten, die dort eine gemeinsame Abschlusserklärung vorstellten. Angestrebt werde nicht nur eine Einheitsregierung, berichtet die Zeitung Libyan Observer. Es müsse auch Wahlen im ganzen Land geben. Die Politiker riefen die internationale Gemeinschaft und die UN-Unterstützungsmission in Libyen dazu auf, ihre Pläne zu unterstützen.

An dem von der Arabischen Liga ausgerichteten Treffen in der Hauptstadt Ägyptens nahm der Präsident des Präsidialrats, Mohamed Yunus al-Menfi, teil - in dieser Eigenschaft auch Präsident des Landes. Weitere Teilnehmer waren der Vorsitzende des Hohen Staatsrates, Mohammed Takala, und Aguila Saleh, der einflussreiche Sprecher des Repräsentantenhauses in Bengasi, das als Gegenpol zur international anerkannten Regierung in Tripolis gilt.

Nach Veröffentlichung der Abschlusserklärung vom Wochenende wurde allseits Optimismus verbreitet: Al-Menfi sprach von einem "sehr wichtigen Anfang". Auch das ägyptische Außenministerium lobte den gemeinsam bekundeten Wunsch, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden zu lassen.

Ein erfolgreicher Deal könnte die Macht der Politiker gefährden

Doch die erzielten Fortschritte sind bisher nur reine Willensbekundungen. Mit Blick auf frühere Einigungsversuche betrachte sie die Erfolgschancen skeptisch, sagt Salam Said, Chefin des Libyenbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung im benachbarten Tunesien. "Auch die 2021 gebildete Einheitsregierung war ja nicht in der Lage, die eigentlich für Ende jenes Jahres vorgesehenen Wahlen zu organisieren. Ich sehe derzeit keinen grundlegenden Unterschied zur damaligen Situation." Die Vertreter des Staats und der beiden Parlamente hätten zwar durchaus Interesse an einer Einheitsregierung - theoretisch. Allerdings hätten sie kein praktisches Interesse an Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, weil dadurch ihre eigenen Posten gefährdet würden.

Ein weiteres komme hinzu, sagt Said der DW. Weder Abdul Hamid Dbaiba, der amtierende Premierminister, noch General Chalifa Haftar, der unter anderem von Russland unterstützte starke Mann aus dem Osten des Landes, hätten an dem Treffen teilgenommen. Nach Einschätzung von Libyenexpertin Said haben gerade diese beiden Politiker "gar kein Interesse an einer neuen Regierung, durch die sie ihre Ämter und Positionen verlieren würden. Insofern scheint mir fraglich, ob die nun getroffene Vereinbarung wirklich verbindlich für alle Akteure in Libyen ist." 

Der Präsident des libyschen Präsidialrats, Mohammed Yunus al-Menfi auf einem Bild mit General Chalifa Haftar, dem starken Mann im Osten Libyens
Der Präsident des libyschen Präsidialrats, Mohammed Yunus al-Menfi (l.), hier mit General Chalifa Haftar, dem starken Mann im Osten LibyensBild: twitter.com/Mohamedelmonfy

Hoher Druck auf die Verantwortlichen

Andererseits stünden die Verantwortlichen unter erheblichem Druck, so Said weiter. "Der Druck geht vor allem von der Bevölkerung aus. Die Menschen sind tief enttäuscht, nachdem sich ihre Hoffnungen auf Wahlen und eine Einheitsregierung zerschlagen haben." Die frühere Euphorie habe sich in "tiefe Frustration" verwandelt, so Said: "In der Bevölkerung herrscht der Eindruck, die politische Elite trage einen konstanten Machtkampf aus und lasse die Interessen der Bürger völlig außer Acht."

Ähnlich sieht es Hager Ali, Libyenexpertin beim German Institute for Global and Area Studies (GIGA). Neben der insbesondere nach der Flutkatastrophe vom vergangenen Jahr desillusionierten Bevölkerung setze auch die Sicherheitslage im Land die Politiker unter Druck. "Gerade der Süden Libyens ist immer stärker in den Krieg in den benachbarten Sudan verwickelt. Im Süden transportieren die Milizen von General Haftar Waffen und Ausrüstung in das Bürgerkriegsland. Dort ist die weltweit größte Vertreibungskrise mit bis zu zehn Millionen Binnenflüchtlingen entstanden", so Ali zur DW. Diese Krise werde durch die Staatsstreiche in Niger, Mali und Burkina Faso zusätzlich verstärkt. Da zuletzt mit dem Putsch im Niger eine enge Kooperation mit der EU nicht mehr vorhanden sei, werde das Flüchtlingsmanagement in der gesamten Region schwieriger: "So entsteht auch von westlicher Seite erheblicher Druck auf die Akteure in Libyen, endlich auf eine politisch haltbarere Situation hinzuarbeiten." 

Blick auf die von der Flutkatastrophe im September 2023 schwer getroffene Stadt Derna
Die Flutkatastrophe vom September 2023: Blick auf die schwer getroffene Stadt DernaBild: Halil Fidan/Andalou/picture alliance

Internationale Interessen

Die Instabilität sei für einige libysche Akteure zwar politisch profitabel, sagt Expertin Ali, aber sie könne kein Zustand auf Dauer sein. Daher drängten gerade auch die UN auf Wahlen als dem wichtigsten Faktor für eine Einigung des Landes. "Auch in dieser Hinsicht wächst der Druck auf die libyschen Politiker." 

Dem entgegen stünden allerdings die Interessen Russlands, sagt Hager Ali. "Für Moskau spielt Libyen eine wichtige Rolle dabei, die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine vom Westen erhobenen Sanktionen zu umgehen." Auch der Waffenhandel in Libyen zu anderen Krisenherden dürfte in diesem Kontext weiter wachsen, fürchtet die Libyen-Expertin des deutschen GIGA-Instituts.

General Chalifa Haftar zu Gast in Moskau, September 2023
Zu Gast in Russland: General Chalifa Haftar, September 2023 Bild: LNA/AFP

Streit um Wahlgesetzgebung

Noch schwieriger seien allerdings die innenpolitischen Faktoren, so Ali. "Der Prozess könnte an ganz pragmatischen Fragen scheitern, wie etwa der Wahlgesetzgebung." Bislang hätten die politischen Akteure sich in Sachen Wahlrecht nicht einigen können, da alle Beteiligten vor allem darauf achteten, welche Folgen die jeweilige Ausgestaltung des Wahlrechts und der Zuschnitt der Wahlkreise für sie haben könnten. "Das ist derzeit ein sehr wichtiger Faktor, ungeachtet der geopolitischen Lage." Auch deshalb dürften schnelle Fortschritte in Libyen trotz der gemeinsamen Erklärung von Kairo wohl bis auf Weiteres eher nicht zu erwarten sein.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika