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16. September 2004Der vielgereiste deutsche Fußballtrainer über talentierte Fußballer am Hindukush, die Bedeutung des Fußballs in Afghanistan und den afghanischen Hunger nach Leben:
DW-WORLD: Herr Obermann, hatten Sie keine Angst, als Ihnen das Außenministerium anbot, als Trainer und Fußballbotschafter nach Afghanistan zu gehen?
Holger Obermann: Nein, gar nicht - wobei ich natürlich sagen muss, dass Afghanistan mich schon immer fasziniert hatte. Und ich muss sagen: Afghanistan war mit die angenehmste Erfahrung, die ich je gemacht habe. In den letzten elf Jahren habe ich in über 20 Ländern wie Kamerun, Nepal, Bangladesh, Guinea, Gambia, Taiwan und sogar Ost-Timor gearbeitet. Ich kenne eine ganze Menge verschiedener Kulturen und Fußballkulturen. Die der Afghanen hat aber einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Die Afghanen sind vom Krieg hochgradig traumatisiert, das Land fast komplett zerstört - wie konnte Sie das so beeindrucken?
Der Krieg zerstörte zwar das Land, aber nicht die Menschen. Der afghanische Hunger nach Leben hat mich zutiefst beeindruckt. Zum Beispiel die jungen Menschen, mit denen wir trainiert haben: Mit Begeisterung gehen sie die Härten des hiesigen Lebens an. Und Fußball kann hier, schneller als mit jedem anderen sozialen Prozess, wichtige Gelegenheiten zu Dialog und Identitätsstiftung geben - und Misstrauen und historische Unterschiede einebnen.
Sie haben in Afghanistan als technischer Direktor des Fußballverbandes gearbeitet. Wie sah Ihre Arbeit genau aus?
Um ein organisches Wachsen des Fußballs zu ermöglichen, muss viel Grundlagenarbeit geleistet werden. Unsere Hauptaufgabe war, Kurse für Trainer zu organisieren, Schul-, Straßen- und Mädchenfußball aufzubauen. Dazu haben wir den afghanischen Fußballverband dabei unterstützt, einen geregelten Liga-Betrieb aufzubauen. Wir waren Berater der Nationalmannschaft und haben ein Nachwuchsteam geschaffen.
Und was haben Sie in Ihren sechs Monaten dort konkret erreicht?
Ich glaube, dass wir sicherlich dazu beitragen konnten, dass Fußball einen stetig wachsenden Einfluss auf die afghanische Gesellschaft hat. Wir haben dort ungefähr 400 Trainer ausgebildet und haben etwa 4000 Jugendlichen in zahllosen Schulen und Straßen Fußball näher gebracht. Nach mehr als zwanzig Jahren gibt es wieder eine Nationalmannschaft - Afghanistan ist zurück auf der internationalen Bühne.
Ihr besonderes Augenmerk lag auf der Arbeit mit Kindern und jungen Leuten in verschiedenen Straßenfußballprojekten…
Wir haben dabei faszinierende Erfahrungen gemacht. Am Ende unseres Projektes hatten wir über 90 Teams allein in Kabul. Sie spielen Straße gegen Straße einen eher anarchischen Fußball, ohne Ausrüstung und Schiedsrichter und mit nur wenigen Regeln. Steine waren die Torpfosten - und sie spielen meist barfuß - auf hartem oder bestenfalls sandigem Untergrund. Wir haben erfolgreich versucht, von den großen deutschen Vereinen Ballspenden zu bekommen. Ein Höhepunkt waren 1000 gespendete Bälle von der Sepp-Herberger-Stiftung. Es wäre aber noch viel mehr nötig.
Worin besteht Ihrer Meinung nach die Bedeutung von Straßenfußball?
Sport und besonders Fußball hat so viele soziale Aspekte, dass der extrem wichtige Einfluss auf junge Leute in Ländern wie Afghanistan gar nicht übersehen werden kann. Nach all diesen Jahren des Krieges und der Unterdrückung ist es für sie einfach wunderschön, gegeneinander spielen zu können. Und man lernt einfach sehr viel: Demokratische Prozesse, die in jedem Fußball-Team stattfinden. Verantwortung übernehmen und nicht zuletzt die Fähigkeit verlieren zu können. Das gehört alles dazu - und dazu kommt natürlich noch die Freude über Siege und Tore.
In Afghanistan kann Fußball auch einen enormen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes leisten. Alle Afghanen werden sich für ihre Nationalmannschaft begeistern. Das führt zu einem Wir-Gefühl, das Afghanistan so dringend braucht.
Was kann Ihrer Meinung nach getan werden, um den Straßenfußball weiter zu fördern?
Weltweit wird die Bedeutung des Fußballs als Mittel der Entwicklungshilfe längst erkannt: Die Entwicklung in Afghanistan profitiert von diesen Modell-Erfahrungen - das Rad musste hierfür nicht neu erfunden werden. Aber es fehlen eben immer noch elementare Dinge - vor allem Ausrüstung. Mit der Kampagne "Bälle für Afghanistan" können wir aber hier sehr viel erreichen, da bin ich mir sicher.
Und ich bin sehr froh, dass Jürgen Klinsmann und "Streeetfootballworld" dabei hinter uns stehen. Momentan arbeiten wir zusammen daran, dass ein Projekt aus Afghanistan am Streetfootballworld Festival 2006 in Deutschland teilnehmen kann. Da dieses Festival 2006 als Teil des kulturellen Programms der WM in Deutschland stattfindet, ist das natürlich eine einmalige Chance für junge Afghanen, sich hier zu präsentieren.
Man muss sich das mal vorstellen, was es für Leute aus dem Hindukush bedeutet, für ein afghanisches Team zur Fußballweltmeisterschaft nach Deutschland zu fahren…
Das Gespräch führten Ratbil Ahang Schamel und Simon Schneider.