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"Mutterschaft": Vom Wunsch, kein Kind zu wollen

Sabine Kieselbach
12. Mai 2019

Muttersein oder Nichtsein? Mit dieser zentralen Frage befasst sich die kanadische Autorin Sheila Heti in ihrem neuen Buch "Mutterschaft". Ein Roman über eine gewählte Kinderlosigkeit – und die Auseinandersetzung mit ihr.

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Sheila Heti
Bild: picture alliance/empics/C. Young

Das wird wieder ein Fest für den Blumenhandel. 130 Millionen Euro geben allein die Deutschen für Schnittblumen zum Muttertag aus, der in den meisten Ländern in diesem Jahr am 12. Mai gefeiert wird. Mutter ist die Beste, Mutter sein das Beste, was einer Frau passieren kann, oder?

Dem widerspricht entschieden eine junge Schriftstellerin aus Kanada, die ein ganzes Buch über ihre Entscheidung geschrieben hat, sich allen Erwartungen zu entziehen und kein Kind zu bekommen. Sheila Heti war Mitte 30, als sie mit der Arbeit an ihrem autofiktionalen Roman begann, und 40, als er im vergangenen Jahr erschien. Nun liegt "Mutterschaft" auch auf Deutsch vor. Eine Selbstbefragung, Gespräche mit Freundinnen, Kolleginnen, Fremden - und mit dem Geliebten. Traurig, manchmal urkomisch, auf jeden Fall berührend und erhellend.

Identische Lebensgeschichten

Die Protagonistin von "Mutterschaft" hat keinen Namen, aber zwischen ihr und Heti gibt es etliche Parallelen. Beide sind ungefähr gleich alt, leben als Schriftstellerin in Toronto - zusammen mit ihrem Freund, der ein Kind aus einer früheren Beziehung hat. Und: Beide kommen aus einer ungarisch-jüdischen Familie – Hetis Großmutter hat den Holocaust überlebt. "Wenn du keine Kinder kriegst, haben die Nazis doch noch gewonnen", heißt es an einer Stelle. Was für eine Bürde!

Buchcover Sheila Heti Mutterschaft
Ein weltweit erfolgreiches Buch: "Mutterschaft" wurde in 15 Sprachen übersetztBild: Rowohlt

"Mutterschaft": ein feministisches Statement

Im DW-Gespräch in Toronto sagt Sheila Heti, dass sie "Mutterschaft" auch als feministisches Statement verstehe. Sie habe lange nach literarischen Vorbildern, philosophischen Texten gesucht, die sich mit der kinderlosen Frau beschäftigen, aber: Fehlanzeige. Während in den letzten 20 Jahren gleich mehrere Bücher über die Schattenseiten des Mutterseins erschienen sind (die britische Schriftstellerin Rachel Cusk schrieb bereits 2001 über den Verlust an Selbstbestimmung als Mutter; noch größer war die Aufregung vor allem in Deutschland über die Studie der israelischen Soziologin Orna Donath 2015, die in "Regretting Motherhood" von zahlreichen Müttern berichtet, die es bereuen, Mutter geworden zu sein), ist Hetis Figur tatsächlich ein Einzelfall.

Eine Frau will kein Kind. Hat es nie gewollt. Sie will schreiben, sie will Künstlerin sein. Sie will sich entscheiden dürfen, und sie tut es. Aber ist das richtig? Müsste sie als Frau Ende 30 nicht den dringenden Wunsch verspüren, eine Familie zu gründen?  Früher, sagt Heti, hätten Frauen keine Wahl gehabt, durch Verhütungsmethoden und Geburtenkontrolle sei das heute anders. Der gesellschaftliche Druck allerdings, der sei geblieben.

Schriftstellerin Sheila Heti
Schriftstellerin Sheila Heti (links) und DW-Autorin Sabine Kieselbach in TorontoBild: DW/T. Lenz

Welche Rolle schreiben wir Frauen zu? 

Und auch die Reaktionen auf Hetis Fragen und Zweifeln und Beharren auf ihrem Nicht-Kinder-Wunsch ("Ich weiß, dass ich mehr habe als die meisten Mütter. (…) Es liegt eine Art Traurigkeit darin, etwas nicht zu wollen, was dem Leben so vieler anderer Bedeutung verleiht") zeigen, dass sie einen Nerv getroffen hat. "Mutterschaft" werde vor allem von Frauen gelesen, sagt Sheila Heti, und die seien es auch, die sie am heftigsten kritisieren.

Mal abgesehen davon, dass auch Männer sich des Themas annehmen sollten, ist es nicht höchste Zeit, dass Frauen ihr Selbstbild im 21. Jahrhundert ändern und sich die Entscheidungsfreiheit zubilligen, die Männer immer schon hatten?

Sheila Heti ist eine kanadische Schriftstellerin. Ihre Eltern sind jüdische Emigranten aus Ungarn. Heti studierte Kunstgeschichte und Philosophie an der University of Toronto und Dramaturgie an der National Theatre School of Canada. Ihr Buch "Mutterschafft" (aus dem Englischen von Thomas Überhoff) erschien dieses Jahr im Rowohlt Verlag.