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Muslimbrüder im Visier

Rainer Sollich5. April 2008

Ägyptische Sicherheitskräfte gehen derzeit massiv gegen Angehörige der Muslimbruderschaft, die größte Oppositionsgruppe am Nil, vor. Nicht nur Islamisten kritisieren das Vorgehen, sondern auch Menschenrechtler.

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Immer wieder kommt es in Ägypten zu Protesten der MuslimbruderschaftBild: pa / dpa

Von den zahlreichen Festnahmen seiner Mitstreiter will Mohammed Habib sich nicht einschüchtern lassen. Die ägyptische Regierung wolle die Muslimbrüder kurz vor den Kommunalwahlen am Dienstag (08.04.2008) ins Abseits drängen, klagt der Vize-Chef der Organisation. Aber dieser Versuch sei ebenso wie alle vorherigen zum Scheitern verurteilt: "Die Leute werden vertrieben, die Leute werden verfolgt. Es werden keine Demonstrationszüge erlaubt - und auch keine Versammlungen. Es dürfen keine Plakate aufgehängt werden! Aber wir haben unsere Mittel und Wege für den Kontakt mit den Massen. Wir tun dies mit unserer Parole: ’Der Islam ist die Lösung'", sagt Habib.

Tatsächlich zielt das Vorgehen der Sicherheitskräfte darauf ab, einen Erfolg der Muslimbrüder bei den Kommunalwahlen um jeden Preis zu verhindern. Die Abstimmung entscheidet nämlich unter anderem darüber, ob die Muslimbruderschaft bei der nächsten Präsidentschaftswahl einen eigenen Kandidaten aufstellen kann. Dafür bräuchte sie die Unterstützung von mindestens 140 Kommunal-Abgeordneten, die freilich erst einmal gewählt werden müssten. Habib befürchtet, dass so viele nicht einmal antreten dürfen werden.

Mubarak-Regime misstraut dem Wahlvolk

Nicht nur die bedrängten Islamisten, auch internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren massiv das Vorgehen der ägyptischen Sicherheitskräfte. Human Rights Watch protestierte bereits Ende März gegen die Festnahme von mehr als 800 Muslimbrüdern im Vorfeld der Kommunalwahlen - und zog daraus den Schluss: "Präsident Hosni Mubarak glaubt offenbar, dass das Ergebnis nicht den Wählern überlassen werden kann."

Wahlen in Ägypten Hosni Mubarak
Misstrauisch: Hosni MubarakBild: AP

Es wäre nicht das erste Mal, dass Mubarak seinem Wahlvolk misstraut. Der seit 1981 auf Basis von Notstands-Gesetzen regierende Präsident wird zwar von den USA und anderen westlichen Ländern als verlässlicher Partner im unruhigen Nahen Osten geschätzt. Nach Ansicht von Menschenrechtlern, die Jahr für Jahr Fälle von systematischer Folter in ägyptischen Gefängnissen dokumentieren, ist Mubarak aber alles andere als ein Demokrat - auch wenn er sich gerne diesen Anstrich gibt. Als sich bei den letzten Parlamentswahlen 2005 das befürchtete Erstarken der Muslimbrüder abzeichnete, versuchten Mubaraks Sicherheitskräfte sogar gewaltsam, deren Anhänger am Betreten der Wahllokale zu hindern. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben.

Erfolgreich war dieses repressive Vorgehen nicht. Obwohl sie als Partei verboten sind, stellen die Muslimbrüder seit den letzten Wahlen ein Fünftel der Parlamentsabgeordneten. Offiziell bezeichnen sich diese Abgeordneten als "unabhängig". Doch die Regierung hat die Muslimbrüder in Verdacht, in Wirklichkeit einen Systemwechsel anzustreben, wie Magdi Al Dakkak, Journalist und Funktionär in Mubaraks regierender Nationaldemokratischer Partei betont: "Diese Organisation hat einen bekannten Plan für den Umsturz der Staatsgewalt. Sie hat ein verborgenes Gesicht, eine geheime Agenda zum Umsturz des Regierungssystems.

Stark verwurzelt in den ärmeren Schichten

Tatsächlich bekennt sich die 1928 gegründete Muslimbruderschaft offen zum Ziel einer islamischen Gesellschaftsform. Sie lehnt allerdings Terror ab und beteuert, ihre islamische Vision stehe nicht im Widerspruch zur Demokratie. Man kann dies glauben oder nicht, aber aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit Ägyptens werden sich die Muslimbrüder weder durch politische Tricks noch durch Repressionen herausdrängen lassen.

Sie sind politisch die zweitmächtigste Organisation im Lande und pflegen erfolgreich ein Image als Widerstandsbastion gegen soziale Ungerechtigkeit, Korruption und eine als allzu westlich empfundene Modernisierung. Unter anderem dank eines gut funktionierenden sozialen Netzwerks sind sie besonders stark in den armen Bevölkerungsschichten verwurzelt. Und die werden eher größer als kleiner: 20 Prozent der Ägypter müssen täglich mit weniger als einem Dollar auskommen. Und die Lebensmittelpreise sind zuletzt so stark angestiegen, dass Auseinandersetzungen um staatlich subventioniertes Brot mehrfach tödlich endeten.