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Beunruhigende Situation der Menschenrechte im Tschad

Dirke Köpp24. Oktober 2013

Willkürliche Verhaftungen und eingeschränkte Meinungsfreiheit seien Alltag im zentralafrikanischen Tschad, kritisiert ein aktueller Bericht von Amnesty International. Ein Gespräch mit Autor Christian Mukosa.

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Christian Mukosa, Mitarbeiter bei Amnesty International im Tschad (Foto: Amnesty International)
Christian Mukosa, Mitarbeiter beim Afrika-Programmm von Amnesty International und Autor des Tschad-BerichtsBild: Amnesty International

DW: Herr Mukosa, Sie haben den jüngsten Amnesty-Bericht zum Tschad geschrieben. Wie beurteilen Sie die Lage der Menschenrechte in dem Land?

Christian Mukosa: Die Situation der Menschenrechte im Tschad ist beunruhigend! Daher haben wir in unserem Bericht über willkürliche Verhaftungen, illegale Haft und Einschränkung der Meinungsfreiheit im Tschad auch bemängelt, dass regelmäßig hunderte Menschen verhaftet werden, und zwar - und das ist das Problem, illegal verhaftet. Hinzu kommt, dass es eine wahre Erosion der Meinungsfreiheit gibt: Erst kürzlich gab es eine Verhaftungswelle, bei der auch Abgeordnete und Journalisten festgenommen wurden. Diese Journalisten können weder ihren Beruf weiter ausüben noch ihr Recht auf Meinungsfreiheit, da sie immer in der Angst leben, wieder verhaftet zu werden.

Ihr Bericht heißt "Im Namen der Sicherheit?“ Was meinen Sie damit genau?

Der Bericht heißt "Im Namen der Sicherheit?“ mit einem großen Fragezeichen am Ende, da die tschadischen Behörden oft Sicherheitsgründe vorschieben, wenn sie jemanden verhaften oder in Haft behalten bzw. wenn sie die Meinungsfreiheit einschränken, auch die von Journalisten. Bestimmte Klauseln des Strafgesetzbuches werden benutzt, um z.B. das Verhalten der Polizei oder der Sicherheitskräfte zu rechtfertigen. Und dass es eine Frage ist, ist gerechtfertigt, denn: Kann ein Land sich erlauben, einzig im Namen der Sicherheit willkürlich Leute zu verhaften, illegal im Gefängnis zu behalten oder die Meinungsfreiheit einzuschränken? Wir meinen Nein! Natürlich dürfen auch Journalisten sich nicht über das Gesetz stellen, und natürlich hat ein Land das Recht, Kriminelle zu verhaften. Aber das muss im Rahmen der tschadischen Gesetze und der tschadischen Verfassung sowie des internationalen Rechts geschehen.

Wie lässt sich die Situation der Menschenrechte unter dem früheren Präsidenten Hissène Habré, den Idriss Déby gestürzt hat, und Präsident Déby selbst vergleichen? Déby hatte schließlich versprochen, die Menschenrechte zu verbessern und sogar ein entsprechendes Ministerium etabliert.

Leider hat sich die Situation unter Déby nicht verbessert. Obwohl er 1990, als er an die Macht kam, tatsächlich versprochen hatte, das zu tun. Er hatte damals sogar eine Enquetekommission ins Leben gerufen, die die Menschenrechtsverletzungen während des Habré-Regimes (1982-1990) untersuchen sollte. Es gibt nun in der Tat in Dakar ein afrikanisches Gericht, das über die Menschenrechtsverletzungen im Tschad zwischen 1982 und 1990 richten soll. Das begrüßen wir von Amnesty International sehr, da es den Opfern den Zugang zur Justiz ermöglicht und gerechte Entschädigungszahlungen möglich macht. Dieses unabhängige Gericht muss sicherstellen, dass die mutmaßlichen Täter ein faires Verfahren bekommen.

Deckblatt eines Berichtes von Amnesty International zum Tschad: "Im Namen der Sicherheit?" (Foto: Amnesty International)
"Im Namen der Sicherheit?": fragt der jüngste Tschad-Bericht von Amnesty InternationalBild: Amnesty International

Der Oppositionspolitiker Ibni Oumar Mahamat Saleh ist nach einer Verhaftung im Jahr 2008 durch tschadische Sicherheitskräfte bis heute verschwunden. Der Tschad betrachtet den Fall allerdings als abgeschlossen. Ist der Fall Ihrer Meinung nach geklärt?

Wir von Amnesty International halten es für äußerst unglücklich, dass die tschadischen Behörden den Fall zu den Akten gelegt haben. Nach seinem Verschwinden von von Ibni Oumar Mahamat Saleh im Jahr 2008 haben die tschadischen Behörden eine Untersuchungskommission eingesetzt. Diese Kommission hat empfohlen, die Hintergründe aufzuklären. Doch leider gibt es auch mehr als fünf Jahre nach dem Verschwinden von Ibni - der laut dem Bericht der Untersuchungskommission von tschadischen Sicherheitskräften verhaftet worden ist - nichts Neues. Und leider haben die tschadischen Justizbehörden in der Tat entschieden, die Sache zu den Akten zu legen. Unserer Ansicht nach sollten die tschadischen Behörden diese Entscheidung dringend überdenken.

Wie reagieren die tschadischen Behörden auf Ihren sehr kritischen Bericht?

Die Reaktion der Behörden ist gemischt. Unser Bericht soll nicht ausschließlich kritisieren, sondern auch konstruktive Empfehlungen aussprechen. Es ist durchaus möglich, dass Behörden eines Landes auf höchster Ebene nicht immer über alles informiert sind, was im Land passiert. Ein Bericht wie der unsrige kann daher Licht ins Dunkel bringen und den Behörden die Gelegenheit geben zu reagieren. Wenn wir im Tschad recherchieren, treffen wir nicht ausschließlich Journalisten oder Opfer, Familien oder Anwälte, sondern wir sprechen auch ausführlich mit den tschadischen Behörden. Auch diesmal haben wir mit vielen Verantwortlichen gesprochen, darunter dem Justizminister und dem Minister für Menschenrechte, und haben unsere Sorge über die willkürlichen Verhaftungen, Todesfälle in der Haft und das unaufgeklärte Verschwinden von Menschen ausgedrückt. Für uns ist dieser Dialog mit den Behörden sehr wichtig, um uns zu versichern, dass sie unseren Empfehlungen folgen.

Wie soll die internationale Gemeinschaft Ihrer Meinung nach mit der Repression im Tschad umgehen? Vor allem vor dem Hintergrund, dass der Tschad ab Januar 2014 nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist.

Das wird dem Land helfen, seine schlechte Bilanz bei den Menschenrechtsverletzungen zu korrigieren und die Menschenrechte zu fördern. Die internationale Gemeinschaft sollte dem Tschad dabei helfen. Es ist durchaus möglich, dass manches geschieht, ohne das Wissen der Behörden. Andererseits hat unser Bericht leider auch gezeigt, dass es durchaus Dinge gibt, die mit dem Wissen der Behörden geschehen, und ohne dass sie etwas dagegen tun. Wenn ein Land Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist - und der Tschad ist dies zum ersten Mal - kann es diese Zeit nutzen, sein Image aufzupolieren und sich zu versichern, dass die Menschenrechte respektiert werden, dass willkürliche Verhaftungen und illegaler Arrest aufhören und dass die Menschen sich äußern dürfen, ohne Angst zu haben, dafür belangt zu werden. Von Demokratie kann nur dann die Rede sein, wenn die Menschenrechte geachtet werden.

Christian Mukosa arbeitet im Afrika-Programm von Amnesty International und ist Autor des aktuellen Tschad-Berichtes.

Die Fragen stellte Dirke Köpp, Leiterin der Französischen Redaktion der DW