Moskaus KSE-Rückzug - ein Dialogforum weniger
11. März 2015Die Ukraine sei "besonders besorgt", sagte am Mittwoch ein Sprecher des Außenministeriums in Kiew. Die Entscheidung Russlands, aus dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa auszusteigen, sei "eine reale Gefahr". Er warnte vor "neuen russischen Aggressionen" in Europa. Am Vortag hatte Moskau verkündet, Russland werde an Sitzungen einer Beratungsgruppe im Rahmen des KSE-Vertrags nicht mehr teilnehmen. Damit habe man die bereits 2007 beschlossene Aussetzung des Vertrags vollzogen.
Als Begründung nannte ein Vertreter des Außenministeriums in Moskau: neue Verhältnisse in Europa nach dem Zerfall der Sowjetunion und Folgen der Ost-Erweiterung der NATO. Einen formellen Austritt werde es nicht geben. Russland wolle nicht "alle Brücken abbrechen" und sei offen für Gespräche über einen neuen Vertrag. Der russische Diplomat bestritt einen direkten Zusammenhang mit dem aktuellen Ukraine-Konflikt: "Das hat sich früher angekündigt".
Erbe des Ost-West-Konflikts
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte bereits im November 2014 den KSE-Vertrag für "tot" erklärt. Eine Rückkehr werde es nicht geben, sagte der russische Chefdiplomat. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Verteidigungsminister Anatoli Antonow. Das blieb im Westen weitgehend unbemerkt.
Der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa wurde 1990 zwischen den damaligen NATO-Staaten und den Ländern des Warschauer Pakts beschlossen, dem Pendant der NATO im Ostblock. Der KSE-Vertrag entstand in der Zeit, als der jahrzehntelange Ost-West-Konflikt für beendet erklärt wurde. In Kraft trat er jedoch erst 1992. Sowjetunion und Warschauer Pakt, die von ihr geführte Militärallianz osteuropäischer Staaten, zerfielen zu dieser Zeit bereits.
Gescheiterter Anpassungsversuch
Der KSE-Vertrag hatte einst den Ruf eines "Grundpfeilers europäischer Sicherheit". Das Auswärtige Amt nennt auf seiner Internet-Seite als Ziel des Vertrages, "in Europa ein sicheres und stabiles Gleichgewicht der konventionellen Streitkräfte auf niedrigem Niveau zu schaffen". Außerdem solle der Vertrag dazu beitragen, dass es "keine Überraschungsangriffe und groß angelegten Offensivhandlungen in Europa" gebe.
Die Unterzeichner haben sich darauf geeinigt, die Anzahl schwerer Waffensysteme wie Panzer, Kanonen oder Flugzeuge zu begrenzen. Tausende solcher Waffen wurden zerstört. 1999 wurde ein Übereinkommen beschlossen, um den Vertrag an neue Verhältnisse anzupassen. Dieses Abkommen trat jedoch nie in Kraft. Als Voraussetzung forderten die westlichen Staaten von Russland, ihre Streitkräfte aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien und Moldau abzuziehen. Das geschah bis heute nicht. Russland seinerseits kritisierte die NATO-Osterweiterung.
Experten sprechen von "Symbolik"
Westliche Experten nennen die jetzige Entscheidung Russland "symbolisch". "Sicherlich ist es kein positiver Schritt", sagte Wolfgang Zellner vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg der DW. Er zeige, "wie schwierig es ist, zwischen Russland und dem Westen zu einem neuen Verständnis in der konventioneller Abrüstung zu kommen."
Auch Steven Pifer, Waffenexperte beim US-Thinktank Brookings Institution in Washington spricht von "einer Formalität". "Ich bin nicht überrascht, denn die Beratungsgruppe wäre ein Mechanismus gewesen, um den Vertrag zu beleben", sagte Pifer. "Doch ich glaube, es ist in den letzten Jahren sehr deutlich geworden, dass die Russen daran nicht interessiert sind." Der Westen solle darauf nicht überreagieren. Ob es zu einem neuen Wettrüsten in Europa komme, sei noch nicht klar, meint Pifer.
Ian Anthony vom Stockholmer Friedensforschungs-Institut SIPRI sieht in Russlands faktischem KSE-Austritt "einen weiteren Schlag für Waffenkontrolle und Vertrauensmaßnahmen in Europa". Noch eine "Straße für Dialog" sei geschlossen, sagte Anthony der DW. "Wir bewegen uns Schritt für Schritt zu einer Situation zurück, bei der keine Seite eine klare Vorstellung davon hat, was im militärischen Bereich geschieht", analysiert der SIPRI-Experte.