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Montpellier: Kostenlos mit Bus und Bahn

Lisa Louis aus Paris
21. Februar 2024

Im südfranzösischen Montpellier müssen die Einwohner seit Dezember 2023 nicht mehr für den öffentlichen Nahverkehr zahlen. Manche Bewohner finden, diese öffentlichen Gelder könnte man sinnvoller einsetzen.

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Öffentlicher Nahverkehr in Montpellier - hier eine Straßenbahn
Seit Januar gratis: Öffentlicher Nahverkehr in MontpellierBild: Lisa Louis/DW

Es war wie eine vorgezogene Silvesterparty. Am 21. Dezember 2023 zählte Montpelliers Bürgermeister Michaël Delafosse gemeinsam mit einigen Mitgliedern des Stadtkabinetts von zehn auf null herunter, bis es genau 19 Uhr war. Hunderte Zuschauer, die den Feierlichkeiten auf dem Place de la Comédie im Stadtzentrum beiwohnten, bejubelten den Eintritt der südfranzösischen Stadt in eine neue Ära: Seitdem dürfen deren Bewohner umsonst mit den lokalen öffentlichen Transportmitteln fahren. Schon mehr als 50 Städte und Gemeinden haben bisher eine solche Maßnahme ergriffen - darunter Estlands Hauptstadt Tallinn und das nordfranzösische Dünkirchen. Montpellier ist mit 500.000 Einwohnern in dieser Liste nun Europas größte Metropole. Zur Freude vieler, jedoch nicht aller Bewohner der südfranzösischen Stadt. .

Rayene Chabbi ist erleichtert, dass sie nun nicht mehr für den Bus und die Straßenbahn zahlen muss, die sie wochentags wie an diesem Montagmorgen zur Arbeit nimmt. Vorher hatte sie die sieben Kilometer im Auto ihrer Eltern zurückgelegt, um das Geld für das Ticket zu sparen. "Kostenlose öffentliche Transportmittel sind wirklich eine gute Idee", sagt die 31-Jährige im Gespräch mit der DW. "Gerade für Leute wie mich, die es sich vorher zweimal überlegt haben, bevor sie die 50 Euro für das Monatsabonnement ausgeben. Schließlich verdiene ich nur 1950 Euro brutto pro Monat. Meiner Schwester geht's ähnlich - auch sie fährt jetzt oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln, was sie vorher nie gemacht hat."

Blick in den Fahrgastraum einer Straßenbahn in Montpellier
Noch sind Plätze frei in der Straßenbahn von Montpellier, zumindest außerhalb der RushhourBild: Lisa Louis/DW

Etwa eine halbe Stunde später steigt Chabbi im nordöstlich gelegenen Stadtteil Castelnau-le-Lez aus der Tram. "Mit dem Auto hätte ich zehn Minuten länger gebraucht und bestimmt im Stau gestanden, was mich immer total stresst. Ich mag es, so entspannt bei der Arbeit anzukommen. Zudem ist es umweltfreundlicher", meint sie und läuft die wenigen Hundert Meter zum Unternehmen Simax, wo sie als Assistentin der Chefin arbeitet.

Montpelliers "positive Umweltpolitik"

Das mittelgroße Unternehmen, welches einfach zu bedienende sogenannte No-Code-Management-Software für Firmen herstellt, finanziert den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr mit - durch eine zweiprozentige Steuer auf Gehälter. Wie etwa 2500 andere Firmen in Montpellier, die ebenfalls elf Angestellte oder mehr haben. Insgesamt kommen so etwa 30 Millionen Euro zusammen. Simax-Gründerin Miren Lafourcade unterstützt die Initiative.

"Wir sind vor fünf Jahren hierher gezogen, weil wir dadurch direkt neben einer Tram-Haltestelle sind. Vorher war es sehr kompliziert, in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu kommen. Es ist prima, dass die Steuern, die wir zahlen, endlich einmal für etwas Sinnvolles genutzt werden", sagt sie gegenüber DW. Simax macht zurzeit einen jährlichen Umsatz von etwa 1,5 Millionen Euro und beschäftigt 60 Leute. Dieses Jahr sollen zehn weitere dazu kommen. Nachhaltigkeit werde dabei weiterhin zentral sein, so Lafourcade. "Wir nutzen Server, die ihre Energie ausschließlich aus erneuerbaren Quellen speisen, und achten darauf, nicht zu viel Strom für Licht und die Klimaanlage zu verschwenden", erklärt sie. Vergangenes Jahr hat das Unternehmen sogar seine CO2-Bilanz berechnen lassen. "Dabei schneiden wir gar nicht schlecht ab - gerade, was den Transport angeht. Trotzdem wir können uns noch verbessern und zum Beispiel weniger Plastik kaufen", sagt sie.

Öffentlicher Nahverkehr in Montpellier - eine Straßenbahn an einer Haltestelle
Investiert wurde auch in das rollende MaterialBild: Lisa Louis/DW

Eine solche Herangehensweise freut Julie Frêche, Vizepräsidentin der Metropole Montpellier und deren Beauftragte für Verkehr. "Wir wollen positive Umweltpolitik machen. Durch die kostenlosen Transportmittel verfügen Bewohner der Stadt über mehr Einkommen. Außerdem tun wir etwas für die Luftqualität", sagt sie. Die Stadt ergreife zudem Maßnahmen, um sich auf heißere Tage vorzubereiten - schließlich erreichen die Temperaturen in der Stadt im Sommer mitunter fast 50 Grad Celsius. Montpellier plant, bis 2026 rund 50.000 zusätzliche Bäume zu pflanzen und begrünt zahlreiche Flächen. "Außerdem sind wir dabei, 235 Kilometer zusätzliche Fahrradwege zu schaffen, zu den bestehenden 41 fünf weitere Buslinien hinzuzufügen und eine fünfte Straßenbahnlinie zu bauen", erklärt Frêche.

Kostenloser Nahverkehr kommt nicht allen in gleichem Maße zugute

Die neue Tramlinie wird auch den Vorort Saint-Jean-de-Vedas anbinden. Hier wohnen über 12.000 Menschen - zahlreiche neue Wohnhäuser sind im Bau. Deswegen bräuchte es auch weit mehr als nur eine zusätzliche Straßenbahn, meint jedenfalls Hugo Daillan. Er ist Mitglied eines lokalen Vereins von Verkehrsnutzern. "Hier in Saint-Jean-de-Vedas gibt es bisher nur eine Tram-Haltestelle", sagt der 28-Jährige zu DW und zeigt auf die Anzeigetafel. Daillan wohnt im Zentrum Montpelliers und arbeitet in einem Blumenladen in Saint-Jean-de-Vedas. "Die Bahn kommt lediglich im Viertelstundentakt - auch jetzt, am Ende des Arbeitstages. Deswegen fahren hier viele mit dem Auto."

Zwei neu gepflanzte Bäume in der Innenstadt von Montpellier
Im Rahmen des Projekts wurden auch Bäume in der Innenstadt gepflanzt wie diese zwei UlmenBild: Lisa Louis/DW

Das öffentliche Verkehrsnetz sei so schlecht, schimpft Daillan, dass die lokale Verwaltung sogar in einem Distrikt ein kostenpflichtiges Shuttle einsetze. "Wenn man nicht bedenkt, dass die Stadt sich immer weiter ausweitet, nützen kostenlose Verkehrsmittel nur Bewohnern des Stadtzentrums, aber nicht denen des Umlands. Die 'kostenlose' Maßnahme geht auf Kosten eines besseren Transportnetzes. Man sollte dieses Geld in dessen Ausbau investieren." Das sieht auch Alexandre Brun so. Er ist Dozent für Geographie an der Universität Paul-Valéry in Montpellier. "Man sollte auch die Vororte besser untereinander anbinden - bisher muss man oft einen Umweg übers Zentrum machen", sagt er zu DW. Zudem fürchtet er, die Steuer könne Unternehmen davon abschrecken, sich in Montpellier niederzulassen. "Dabei brauchen wir sie, um die Arbeitslosigkeit zu senken", so Brun. Die lag 2023 bei 9,6 Prozent, mehr als zwei Prozentpunkte über dem nationalen Durchschnitt.

Baustelle für die neue Tram-Linie in Montpellier
Baustelle für die neue Tram-Linie in MontpellierBild: Lisa Louis/DW

"Schneller, entspannter, sauberer"

Doch unter Autofahrern in Saint-Jean-de-Vedas scheint die Maßnahme weniger umstritten – zumindest bei denen, die nicht ins Zentrum pendeln müssen. "Das ist wirklich praktisch - jetzt fahre ich öfter mal mit der Straßenbahn ins Zentrum zum Einkaufen", sagt die 40-jährige Kindergärtnerin Claire Maurin. Der 66-jährige Pierre Chanal steigt ein paar Meter weiter gerade aus seinem Auto aus. "Im Stadtkern gibt es zu viel Verkehr und Parken ist dort sehr teuer. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln geht es schneller, und man ist viel entspannter", sagt der Rentner.

Diesen Enthusiasmus teilt auch Fady Hamadé, Ökonom und Direktor der Denkschmiede Institut für Umweltressourcen und Nachhaltige Entwicklung im Zentrum von Montpellier. "Wie alle öffentlichen Dienstleistungen ist auch dies eine Maßnahmen zur Umverteilung", sagt er. "Dabei gibt es positive externe Effekte: Es entsteht weniger CO2 und Luftverschmutzung. Außerdem sieht man, dass nun mehr Menschen ins Stadtzentrum kommen - auch aus ärmeren Bevölkerungsgruppen. Es haben bereits mehrere neue Läden in der Fußgängerzone aufgemacht."