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Lebensgefahr für Journalisten

Nemanja Rujević9. Januar 2014

Übergriffe auf Journalisten in Montenegro sorgen für ein Déjà-vu-Erlebnis: Wieder wurden Regimekritiker zur Zielscheibe, die Täter sind erneut unbekannt. Es steht schlecht um die Pressefreiheit in dem EU-Kandidatenland.

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Die Journalistin Lidija Nikcevic aus Montenegro (Foto: Ivan Petrušić/Vijesti)
Mit Baseballschläger angegriffen: Die Journalistin Lidija NikcevicBild: Ivan Petrušić/Vijesti

Das neue Jahr begann mit altbekannten schlechten Nachrichten im Zwergstaat Montenegro auf dem Balkan. Innerhalb weniger Tage bewiesen zwei Übergriffe, dass investigative und regimekritische Journalisten in diesem Land noch immer kein sicheres Zuhause haben. Zunächst verübten unbekannte Täter einen Bombenanschlag auf die Redaktion der Zeitung "Vijesti". Es glich einem Wunder, so die montenegrinische Presse, dass keiner der 15 in diesem Moment anwesenden Mitarbeiter verletzt wurde. Nur vier Tage später wurde Lidija Nikčević (auf dem Titelfoto), Korrespondentin des regierungskritischen Blattes "Dan" in der Stadt Nikšić mit einem Baseballschläger krankenhausreif geprügelt. Der Täter verbarg sein Gesicht unter einer Mütze - und blieb ebenfalls unerkannt.

In den vergangenen Jahren gab es bereits ein Dutzend Übergriffe auf Journalisten mit ebenso vielen "unbekannten Tätern", wie die Polizei es offiziell formuliert. Und noch eine Regelmäßigkeit lässt sich feststellen: Es werden nur Vertreter von Medien angegriffen, die über Korruption, Machtmissbrauch und die Verstrickung von Politik und organisiertem Verbrechen schreiben. "Es breitet sich jetzt ein Spektrum aus von Angriffen auf unabhängige Journalisten", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Abteilung von "Reporter ohne Grenzen". "Neben den Angriffen selbst sind die Straflosigkeit und die Toleranz des Justizsystems die größten Probleme für die Pressefreiheit in Montenegro", so Mihr im DW-Gespräch. Auf der aktuellen Rangliste seiner Organisation zur Lage der Pressefreiheit landete Montenegro auf Platz 113 - noch hinter Kirgisistan oder Katar.

Tödlicher Job

Experten aus dem kleinen Adrialand bezweifeln, dass die Regierung bereit ist, Gewalttaten gegen Presseleute aufzuklären. Zwar verurteilten hochrangige Politiker offiziell die letzten Übergriffe. Gleichzeitig sorgen sie jedoch für ein Klima der Straflosigkeit. Premierminister Milo Đukanović, der seit 23 Jahren an der Macht ist, verunglimpfte wiederholt kritische Medien als "fremde Agenten" und erweiterte jüngst sein Vokabular um Begriffe wie "Medienmonster" und "Medienmafiosi".

Milo Djukanovic in Podgorica (Foto: Reuters)
Milo Djukanovic hält Montenegro schon seit Jahren fest im GriffBild: Reuters

"Das System gibt sich die Blöße", meint Esad Kočan, Redakteur in der unabhängigen Wochenzeitung "Monitor". "Enge Beziehungen zwischen der organisierten Kriminalität und dem Regime sind so offensichtlich geworden, dass sie von staatlicher Propaganda nicht mehr zu verbergen sind. Gewalt wird zum Alltag." Montenegro könne ein "lebensgefährlicher Ort" werden.

Und das ist keine Übertreibung: Im Mai 2004 wurde bereits ein Journalist ermordet: Duško Jovanović, Chefredakteur der Oppositionszeitung "Dan". Nur einer der Täter wurde zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Er galt als Komplize bei der Tat. Die eigentlichen Täter und Strippenzieher wurden bis heute nicht gefasst.

Seitdem gab es außerdem fünf Bombenanschläge auf Mitarbeiter der Tageszeitung "Vijesti", durch die mehrere Dienstwagen zerstört wurden. Ein besonders pikanter Fall von Gewalt gegen Journalisten ereignete sich 2009: "Vijesti"-Chefredakteur Mihailo Jovović und sein Fotograf wurden vom Sohn des Bürgermeisters der Hauptstadt Podgorica und einem Bodyguard verprügelt, als sie dessen falsch geparkten Wagen fotografierten. Auch Bürgermeister Miomir Mugoša selbst war bei diesem Vorfall anwesend. Nach einem langen Prozess wurde sein Sohn zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Mugoša musste eine Geldstrafe von 400 Euro bezahlen.

EU-Verhandlungen als Druckmittel

Vor drei Wochen eröffnete Brüssel ein neues Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit dem EU-Beitrittskandidaten Montenegro. Und das beinhaltet Reformen in den Bereichen Justiz, Freiheitsrechte und Sicherheit. Felder, die als Achillferse Montenegros gelten. EU-Mitarbeiter werden die Pressefreiheit im Land ganz genau beobachten, betont Svetlana Rajković vom montenegrinischen Justizministerium. "Die Verhandlungen sind aber nicht von Einzelfällen abhängig. Unsere Aufgabe ist es, die Maßnahmen aus dem Aktionsplan durchzusetzen und damit eine schnelle Ergreifung und Strafverfolgung der Angreifer auf Journalisten zu ermöglichen", sagt sie der DW. Als besonders wichtig schätzt Rajković die Gründung einer Kommission von Vertretern der Medien, Justiz und Polizei ein. Diese solle nachholen, was Behörden jahrelang verpasst hätten. Warum der Sicherheits- und Justizapparat bislang so ineffektiv angesichts der Attacken gegen Journalisten war, kann Rajković nicht erklären.

Proteste wegen dem Angriff auf die Journalistin Olivera Lakic aus Montenegro (Foto: DW)
Proteste wegen dem Angriff auf die Journalistin Olivera Lakic aus MontenegroBild: DW

Das Risiko für kritische Journalisten in Montenegro bleibt groß. Ihre Kugelschreiber niederlegen werden sie deshalb jedoch nicht. Nachdem die verprügelte Journalistin Lidija Nikčević das Krankenhaus mit einer genähten Kopfwunde verließ, erklärte sie dem kroatischen Sender HRT, welche Waffe sie besitzt: "Ich werde weiterschreiben", so Nikčević. "Sie können ruhig weiter Baseballschläger einsetzen - ich werde mit meiner Feder zurückschlagen."