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Mit Fintechs gegen Armut

20. Oktober 2018

Sie könnten die Mauern einreißen und auch arme Menschen am Finanzsystem beteiligen: Finanztechnologien sind zu einem Werkzeug der Armutsbekämpfung von Weltbank und IWF geworden.

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Kenia Mobile Money BebaPay
Bild: Getty Images/AFP/S. Maina

Innovative digitale Finanzinstrumente lassen sich unter dem Begriff Fintech zusammenfassen. Dazu gehören Hunderte von Start-ups, aber auch Ableger der Giganten Apple, Google und Amazon. Sie alle haben die etablierte Finanzwelt bereits mächtig durcheinandergewirbelt. Dabei verändert und vereinfacht sich vor allem die Art und Weise, wie die Menschen bezahlen, sich Geld leihen und es anlegen. Die schnell wachsende Industrie hat seit 2010 rund 100 Milliarden Dollar in Investitionen gebunden - umgerechnet knapp 86 Milliarden Euro. 

Einer von drei digital aktiven Menschen in den 20 größten Volkswirtschaften nutzt bereits Fintech-Dienstleistungen, so eine Studie der Unternehmensberatung EY. Im sogenannten "Fintech Adaption Index" liegen China und Indien an der Spitze. Dort nutzen mehr als die Hälfte aller digital aktiven Menschen auch digitale Finanztechnologien.

Infografik FinTech Adoption Rates DE

Traditionelle Banken - für die Armen zu teuer

Experten sehen den Erfolg der Fintechs darin, dass sie einfacher, transparenter und personalisierter sind als die traditionellen Angebote der Banken. "Es gibt geschätzt 1,7 Milliarden Menschen weltweit ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen, für sie können Fintechs eine wichtige soziale und ökonomische Rolle spielen", so die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, unlängst bei der Vorstellung einer Studie. Mit der "Bali Fintech Agenda" will der IWF Staaten Empfehlungen bei der Regulierung von Fintechs an die Hand geben.

Laut Weltbank geben zwei Drittel der Erwachsenen ohne Bankkonto an, nicht das nötige Geld dafür zu haben. Das gibt eine Vorstellung, wie unbezahlbar die bestehenden Finanzlösungen für Menschen mit wenig Einkommen sind. Weitere Gründe sind außerdem fehlende Dokumente und mangelndes Vertrauen in ihre Banken und Finanzdienstleister.

Bank vs. Fintech - Konkurrenten oder Partner

Gerade diese Barrieren soll die junge Industrie nun einreißen. So zumindest sehen es IWF und Weltbank. In ihrer Fintech-Agenda sehen die beiden Organisationen große Chancen der Fintech-Branche bei der Bekämpfung von Armut und bei der Wertschöpfung.

Alte Bedürfnisse, neue Angebote

Ein Beispiel ist M-Pesa in Kenia. Das 2007 gestartet SMS-Bezahlsystem ermöglicht, Geld auf dem Handy abzulegen und auszutauschen. Rund 96 Prozent der Familien in Kenia nutzen es bereits. Noch 2006 hatte nur ein Viertel der Bevölkerung Zugang zu Finanzdienstleistungen - heute sind es in Kenia bereits drei Viertel. Eine Studie, an der auch der Ökonom Tavneet Suri vom Massachusets Institute of Technology beteiligt war, ergab, dass M-Pesa zwei Prozent der Bevölkerung aus der extremen Armut geholt hat. Außerdem hätten Frauen durch den Dienst die Landwirtschaft aufgegeben und Kleinstunternehmen gegründet. Das zeige, dass mobile Finanzdienstleistungen nicht nur Komfort bedeuteten, sondern auch das Leben der Menschen verbesserten, so Suri.

Auch in Indien gibt Paytm Millionen Menschen Zugang zu Gelddienstleistungen, die vorher vom traditionellen Bankensystem komplett ausgeschlossen waren. Paytm hat mächtige Investoren. Dazu gehören der chinesische Alibaba-Konzern, der japanische Konzern Softbank und Waren Buffets Investmentholding Berkshire Hathaway.

Fintechs spielten eine große Rolle bei der Bekämpfung von Armut, sagt auch Julia Skan, Banken und Kapitalmarkt-Experte beim Beratungsunternehmen Accenture. "Nicht nur durch die bezahlbaren Möglichkeiten von Geldtransfers und Krediten, sondern durch die Schaffung neuer Geschäftsmodelle wie beispielsweise im Falle von M-Pesa." Diese Modelle bedienten Bedürfnisse, die bereits voll digitalisierte Banken gar nicht erreichen konnten.

Die größten Herausforderungen

Doch nur wenige Länder lockern die Regulierungen im Finanzsektor. Damit bleiben einfachere und innovative Ansätze häufig außen vor: Stabilität geht oft vor Neuerung. "Es stellt sich wirklich die Frage, ob die Staaten Innovation in dem Sektor fördern wollen, wenn es anderen Interessen der Regierungen widerspricht", sagt Kurosch Habibi, Gründer und Geschäftsführer von Carl Finance, einem Berliner Online-Marktplatz für den Verkauf von kleinen und mittelständischen Unternehmen. "Einige, meist kleine und agile Länder, bewegen sich in diese Richtung. Viele große Länder nicht. Wer Fintechs erlaubt, nimmt auch in Kauf, dass bestehende Unternehmen untergehen."

Dänemark Kopenhagen Money 20/20 Europe FinTech Event
Wie sieht die Zukunft des Bezahlens aus? Und welche Vorteile könnte das für Entwicklungsländer haben. Bild: picture-alliance/ZUMA PRESS/A. Upton

Die Europäische Union führte im Januar eine neue Zahlungsdienste-Richtlinie ein. Diese soll im europäischen Wettbewerb die Teilnahme auch von Nichtbanken - darunter auch Fintechs - erleichtern. "Es kommt nun darauf an, wie die Gesetze in die Praxis umgesetzt werden", sagt die Sprecherin des schwedischen Bezahldienstleisters Klarna. "Jetzt dürfen sich die Regierungen und internationale Behörden nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen, um Innovation in einem kompetitiven Umfeld zu ermöglichen."

Auch die Risiken für die Branche sind klar. Dazu gehört vor allem der Datenschutz: Je mehr Firmen sich digitalisieren, desto höher ist das Risiko von Cyberattacken und Datenklau. Auch nimmt der Besitz von Kryptowährungen zu und stellt den Finanzsektor vor neue Herausforderungen.

Für IWF-Chefin Lagarde besteht eine zentrale Herausforderung darin, dass die neuen Technologien auch die Armen erreichen. "Wir brauchen mehr internationale Zusammenarbeit, um sicherzustellen, dass die Fintech-Revolution nicht nur wenigen, sondern möglichst vielen zugutekommt."