1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kotz! Würg! Spuck!

Ruth Rach 13. Juli 2008

Immer mehr Jugendliche in Großbritannien sterben, weil sie exzessiv Alkohol trinken. Die britische Regierung hat dagegen nun eine Kampagne gestartet. Und die wendet sich nicht nur an junge Männer.

https://p.dw.com/p/EXa0
Bis zum letzten Bier: britische Jugendliche beim Komatrinken in der Londoner Metro.
Bis zum letzten Bier: britische Jugendliche beim Komatrinken in der Londoner Metro.Bild: picture-alliance/ dpa

Ein Werbespot flimmert am frühen Samstag Abend über den Bildschirm. Ein junges Mädchen macht sich darin für eine Party schick. Soweit alles in bester Ordnung, nur etwas stört: Ihre Leggings haben Laufmaschen, der Unterrock ist zerrissen, Haare und Gesicht sind verklebt. Das Mädchen spuckt durch den Raum, eine Rotweinflasche ist ausgegossen. Während sie aus dem Bild wankt blendet sich ein Schriftzug ein: "Du würdest eine Nacht kaum so anfangen, warum sie so beenden?"

Geht es nach der britischen Regierung, dann sollen mit gezielten Ekelvideos Teenager vom Komatrinken abgehalten werden. Sie sollen helfen, die Zahl der Betroffenen deutlich zu reduzieren. Bislang ein bloßer Wunschtraum, denn ihre Zahl steigt in Großbritannien nach wie vor, und im Durchschnitt werden die Trinker immer jünger. Ärzte sehen immer mehr Patienten mit Leberzirrhose, die erst 20 oder 30 Jahre alt sind. Früher war das eine Krankheit älterer Menschen.

Mit Schock und Eckel gegen die Alkohol-Sucht

Auch er will mit Ekel gegen Komatrinker kämpfen: Londons neuer Bürgermeister Boris Johnson.
Auch er will mit Ekel gegen Komatrinker kämpfen: Londons neuer Bürgermeister Boris Johnson.Bild: picture-alliance/ dpa

Nun setzt man auf Schock und Ekel und zeigt in Werbespots betrunkene Jungen, die sich selbst bepinkeln und Mädchen, die sich verletzen und mit Erbrochenem beschmieren. Die Botschaft lautet: Das ist absolut nicht cool. Zwei Wochen lang wurden diese Werbespots in einem Schaufenster im angesagten Londoner Covent Garden gezeigt: unter dem ironischen Logo "The Nightlife Collection". Nun sind sie auch im Rundfunk, Fernsehen und Internet zu sehen, und als Anzeigen in Bushaltestellen, sowie in Musik-, Männer- und Modezeitschriften. Fünf Millionen Pfund hat das Innenministerium für die neue Werbe-Kampagne hingeblättert, die bis in den Herbst laufen soll und sich vor allem an 18-24-jährige Trinker richtet. Doch die Ekel-Kampagne ist umstritten. Viele halten sie für geschmacklos und bezweifeln, dass damit Jugendliche vom Komatrinken abgehalten würden. Komatrinken ist Teil der britischen Jugendkultur geworden. Und der allgegenwärtige Gruppenzwang erlaubt es vielen nicht, zum hemmungslosen Besäufnis "Nein" zu sagen.

In einem Punkt sind sich alle Seiten einig: Die Situation ist ernst. Bei 46 Prozent der Gewaltverbrechen ist Alkohol mit im Spiel. Bei der Polizei führt das oft zu Überforderung, denn die Notfallstationen sind brechend voll. Im Londoner Stadtteil Camden sind an Wochenenden sogar besondere Alkoholambulanzen unterwegs, um Notstationen zu entlasten. "Viele Briten haben eine besondere Einstellung gegenüber dem Alkohol", meint Peter Fahy, der Polizeipräsident von Cheshire: "Erstens gilt es als cool, möglichst schnell und viel zu trinken. Und sobald sie dann betrunken sind, werden viele aggressiv." Ein Drittel der 15- bis 16-Jährigen betrinkt sich – nach offiziellen Statistiken – regelmäßig, viele haben schon mit 10 oder 12 Jahren begonnen. Das schockierende Resultat: 14 Prozent der 16- bis 19-Jährigen gelten als alkoholsüchtig.

Alkohol muss teurer werden

Nicht wenige Jugendliche trinken - sprichwörtlich - bis zum Umfallen.
Nicht wenige Jugendliche trinken - sprichwörtlich - bis zum Umfallen.Bild: AP

Vor zweieinhalb Jahren wurden die Sperrstunden in Großbritannien aufgehoben. Wenn Kunden nicht unter Zeitdruck stünden, würden sie weniger schnell bechern, lautete damals das Argument. Dabei geht das an der Realität der Jugendlichen vorbei, denn die beziehen Wodka, Bier und Wein nicht aus Kneipen, sondern aus Supermärkten und Eckläden. Und dort wird Alkohol nach wie vor zu Schleuderpreisen verkauft. Getrunken wird dann gemeinsam in Parks, auf der Straße oder auf Spielplätzen. Wer zu jung ist, schickt einfach einen älteren Freund vor. "Internationale Recherchen zeigen, dass Alkoholkonsum weitgehend von Preis und Verfügbarkeit abhängig ist", betont Polizeipräsident Peter Fahy. Er fordert deshalb strengere Kontrollen an den Kassen und drastische Preiserhöhungen. Außerdem gebe es haufenweise drogen- und alkoholsüchtige Promis, die den britischen Jugendlichen öffentlichkeitswirksam mit schlechtem Beispiel vorangingen.

Obwohl soziale Brennpunkte vom Komatrinken besonders betroffen sind, zieht sich das Phänomen durch alle Schichten. Insgesamt hat das britische Innenministerium umgerechnet 12 Millionen Euro für die Alkohol-Informationskampagne bereitgestellt. Die Schockspots für Teenager sind nur der Anfang. Jüngsten Zahlen zufolge blicken auch britische Rentner immer tiefer ins Glas. Man darf gespannt sein, welche Werbespots das britische Innenministerium sich für diese Zielgruppe einfallen lässt.