1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Glaube

Mit der Geduld am Ende!

12. Mai 2021

Mit der Geduld am Ende. Wer ist das in diesen Tagen nicht. Und dennoch muss es ja irgendwie weitergehen?! Wie soll das gleichzeitig gehen: ungeduldig sein und dabei die Ruhe bewahren?

https://p.dw.com/p/3qeDA
Symbolbild | Stoppuhr
Bild: Gero Breloer/dpa/picture-alliance

 „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie die Geduld verloren! – Weil ich gar keine besitze.“ Dieses Sätzchen gefällt mir. Denn es erzählt, wie es mir manchmal geht. Hin und wieder kann ich sehr ungeduldig sein. Und ich gehe meinen Mitmenschen damit sicher furchtbar auf die Nerven. Aber was ist falsch daran, im richtigen Augenblick auch einmal ungeduldig zu sein? Gerade in diesen Tagen.

Es gibt so viele Dinge, die einen ungeduldig zurücklassen können: Wann ist das endlich mit den Einschränkungen durch Corona vorbei, wann werden wir endlich alle geimpft sein? Wie geht es weiter mit den großen gesellschaftlichen Fragen von der Klimakrise über die Flüchtlingsproblematik bis hin zu den neuen Herausforderungen durch die Digitalisierung. Und auch im persönlichen Leben gibt es unendlich oft Situationen, in denen man sagen könnte: Jetzt bin ich am Ende mit meiner Geduld. In der Ehe, mit den Kindern, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz.

Mich treibt in diesen Tagen als Kölner Innenstadtpfarrer ungeduldig die Frage um, wann die Missbrauchsfälle endlich umfangreich aufgeklärt sein werden. Viele engagierte Christen in meinen Gemeinden werden angegangen und angefragt, was denn da „bei uns“ los sei. Die engagierten Ehrenamtlichen aus meinen Pfarreien wollen endlich Klarheit und Aufklärung und in ihren Freundeskreisen wieder stolz von ihrem Engagement erzählen können. Und sie sehnen sich danach, dass die Kirche wieder Vertrauen zurückgewinnt. Und wirklich: Menschen können die Geduld anderer Menschen arg strapazieren und auf die Probe stellen. Manche sind mit der Geduld am Ende. Sie können oder wollen nicht mehr glauben an eine neue, kraftvolle Kirche. Und sie fragen sich, wie eine glaubwürdige Verkündigung des Glaubens morgen gehen kann. Damit auch noch die nächste Generation glauben kann.

Ja, so und so oft bin ich mit meiner Geduld am Ende. Und manchmal ist es auch notwendig, ungeduldig zu kämpfen für das, was mir wichtig ist. Aber gleichzeitig weiß ich, dass es ohne Geduld nicht geht. Immer wieder im Leben komme ich an Grenzen, immer wieder gibt es Situationen, in die ich ungewollt hineingerate, immer wieder Ereignisse, die über mich hereinbrechen und Herausforderungen, die mir aufgeladen werden. Und natürlich weiß ich: nicht selten sind Besonnenheit, Gleichmut und Beherrschung gefordert. Geduld trotz aller Ungeduld.

Ich habe mir vorgenommen, ungeduldig zu bleiben. Aber auch Geduld lernen zu wollen. Denn Geduld ist eine göttliche Tugend. Gott hofft, dass der Mensch umkehrt, sich zu ihm neu bekehrt.

Vielleicht ist das bei Gott und dem Menschen so ähnlich wie bei Eltern mit ihren Kindern und Jugendlichen. Denn gerade bei der Arbeit mit jungen Menschen lernt man Geduld. Immer und immer wieder muss man erklären, einladen, fordern, loben und ermutigen. Und immer fragt man sich: „Was wird dabei wohl herauskommen?“

In der Bibel wird von einem Gott erzählt, der sein Wort aussät. Und dann lässt Gott wachsen, in der Hoffnung, dass die Saat auf guten Boden gefallen ist. Anders formuliert: Die Dinge müssen keimen, treiben und knospen bevor sie blühen und Frucht tragen. Was wissen wir, was die Saat in den Herzen der Jugendlichen macht und wie sie Wurzeln schlägt und aufgeht. Das Gras wächst auch nicht schneller, wenn man dran zieht.

Wer keine Geduld mit anderen hat, kann ja einmal den Blick auf sich selbst wagen. Wie geduldig bin ich mit mir, meinen Schwächen, Unvollkommenheiten, Unausstehlichkeiten und seltsamen Eigenheiten? Nur im Prinzip sind wir Menschen mit uns selbst schnell ungeduldig und unzufrieden. Aber wenn Kritik von außen kommt, wenn es existentielle Anfragen gibt, sind die Menschen schnell bereit, mit sich selbst nachsichtig, großherzig und geduldig zu sein. Man gibt sich selbst doch gern immer wieder eine neue Chance. Und reklamiert für sich selbst den Anspruch, wachsen und reifen zu dürfen.

„Man muss den anderen Menschen so annehmen, wie er ist: unvollendet. Berufen, zu wachsen.“ So formuliert es Papst Franziskus in seiner Enzyklika Amoris Laetitia (AL 218) Das braucht Geduld. Immer wieder neu. Selbst wenn ich manchmal innerlich bete: „Herr, gib mir Geduld, aber bitte plötzlich!“

Ich möchte ungeduldig bleiben. Wenn es drauf ankommt. Immer dann, wenn Ungerechtigkeiten benannt werden müssen und wenn Dinge in Bewegung kommen müssen. Aber ich möchte auch Geduld lernen. Immer dann, wenn es die Liebe gebietet und es für den nächsten Schritt hilft.

Der liebe Gott hat uns ja beides ins Herz eingesenkt: die Ungeduld und dass wir geduldig sein können – jedenfalls wenn es dran ist. Nicht umsonst spricht der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer vom „Gott der Geduld und des Trostes“ - Herr, gib mir Geduld. Wenn möglich bald.

Köln Dominik Meiering
Bild: D. Meiering

Dr. phil. Dominik Meiering ist Leitender Pfarrer der Innenstadtgemeinden in Köln und Domkapitular am Kölner Dom.